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Schuldgefühle sind miserable Wegweiser

Einen Konsens, einen gemeinsamen Weg finden. (Foto: © Oliver Thaler/ pixelio.de)

Wie gelingt es, die eigenen Grenzen in Beziehungen oder im Dienst für Gott und Mitmenschen zu schützen? Die Familientherapeutin Luitgardis Parasie rät, häufiger „Ja“ zu sagen und damit Grenzen mit gutem Gewissen zu setzen.

Anita ist unglücklich. „Mein Mann hat vor drei Jahren den Wohnwagen seiner Eltern geerbt. Nun will er damit immer in Urlaub. Er findet das herrlich: Spontan entscheiden, wo man hinfährt, wenn es auf Fehmarn regnet, geht‘s ans Mittelmeer, wo es uns gefällt, da bleiben wir. – Aber ich kann das gar nicht genießen. Dieses Kochen und Aufräumen auf engstem Raum. Ich schlafe auch schlecht. Etwa letztes Jahr auf einem Campingplatz an der Nordsee: Neben uns feierten sie bis Mitternacht Party. Und die Camper auf der anderen Seite hatten kleine Kinder, da war ab sechs Uhr morgens Halligalli. Meinen Mann stört das nicht, der kann immer schlafen. Aber ich war total genervt.“

„Was sagt denn ihr Mann dazu?“, frage ich sie. „Ach, er meint, ich solle nicht so empfindlich sein. Jetzt plant er den Osterurlaub. Das ist ja dieses Jahr Ende März. Wenn ich nur daran denke, friere ich schon. Aber seine Augen leuchten. Mir fällt es so schwer, eine Grenze zu ziehen. Ich käme mir als Spielverderberin vor und hätte ein total schlechtes Gewissen.“

Nicht zuerst die anderen

Ja, so ist Anita von Kind an gepolt: Die anderen gehen vor. Die eigenen Bedürfnisse müssen zurückgestellt werden. Nur ja nicht egoistisch sein. Ihre Freundin rät oft: „Anita, du musst lernen, Nein zu sagen.“ Das fällt ihr schwer. Ich empfehle Anita stattdessen, zwei Mal „Ja“ zu sagen: Zum einen, Ja zu sich selbst. Ja zu dem, was sie braucht und sich wünscht. Ja zu ihren Träumen vom Urlaub. Ja zu dem, was sie leisten kann und will. Ja zu ihren Grenzen. Das ist nicht egoistisch: Das ist fundamental wichtig.

So oft lassen Menschen sich von ihrem schlechten Gewissen hin und her schieben. Schuldgefühle sind jedoch miserable Wegweiser. Man ist wie angekettet. Kann nicht mutig nach vorne gehen. Man handelt nicht aus freiem Herzen. Genötigt, nicht gerne. Weil gar nicht danach gefragt wird, was man selbst will und braucht. Es ist für Anita wichtig, sich ihre eigene Position bewusstzumachen – und sie zu bejahen. Dazu zu stehen. Gerade dann kann sie auch ihrem Mann mehr bedeuten. Denn wenn sie bei jedem Wohnwagen-Urlaub gegen ihre innere Abwehr kämpfen muss, ist es schwer, ihm locker und warmherzig zu begegnen. Anita guckt mich groß an: „Ja sagen zu meinen Grenzen, das hat auch etwas mit Demut zu tun“, meint sie. „Ich muss mir nicht einbilden, dass ich alles leisten kann und muss.“ Ja, so ist es.

Nicht alle Wünsche erfüllen

Dazu gehört nun noch ein zweites Ja: das Ja zu ihrem Mann. Urlaub mit dem Wohnwagen kennt er von klein auf. Schon das Ankommen war ein Fest – jedenfalls für die Kinder. Sie bauten mit dem Vater das Vorzelt auf, Mutter machte Bratkartoffeln. Nachts schliefen alle eng gekuschelt beieinander. Er fand’s herrlich. Von seiner Kindheit aus betrachtet, sind seine Sehnsüchte nachvollziehbar. Er darf sie haben. Hier kommt das zweite Ja zum Einsatz: Anita sollte Ja sagen zur Geschichte ihres Mannes. Ja zu dem, wovon er träumt. Aber: Anita ist nicht dafür zuständig, alles zu erfüllen. Sie muss seinen Wünschen nicht eins zu eins nachkommen, sondern so, wie sie es kann und will. Die Ansprüche des anderen von seiner Geschichte her verstehen und damit eine Außenperspektive einnehmen, hilft, sie einzuordnen, verständnisvoll mit ihm umzugehen – und sich gleichzeitig klarer abzugrenzen. Dem anderen seine Wünsche zugestehen und sie auch bei ihm lassen: Das ist die Kunst.

Zwei Mal Ja ist das neue Nein

Bei unserem nächsten Treffen strahlt Anita: „Mein Mann und ich hatten ein gutes Gespräch. Wir sind wirklich extrem unterschiedlich geprägt. Meine Mutter hatte das Motto: Im Urlaub will ich’s nicht unbequemer haben als zu Hause. Deshalb kam für meine Eltern nur Hotelurlaub infrage. Meine Schwester und ich fanden es wunderbar, uns im Urlaub bedienen zu lassen. Also alles total anders als bei meinem Mann. Wir konnten das jetzt gegenseitig so stehenlassen. Keiner hat versucht, am anderen herumzuzerren. Das fühlte sich so entlastend an. Und dann haben wir rumfantasiert, wie wir das mit unserem Urlaub lösen. Jetzt fahren wir über Ostern in ein Wellnesshotel und lassen uns verwöhnen. Und im Sommer geht’s mit dem Wohnwagen ins Blaue – mit der Option, auch mal im Hotel zu übernachten, wenn es anstrengend wird.“ Anita wirkt mit sich im Frieden. Von schlechtem Gewissen ist keine Rede mehr. Sie erzählte mir: „Das mit dem zwei Mal Ja sagen habe ich gleich einer Freundin empfohlen, die Probleme mit ihrer Mutter hat. Sie hat das ausprobiert und schrieb mir: Es funktioniert. Zwei Mal Ja ist das neue Nein!“

Tipps: Wie grenze ich mich ab?

Grenzen setzen mit gutem Gewissen fällt auch manchen Ehrenamtlichen schwer. Thea leitet seit zehn Jahren den Kindergottesdienst, parallel zum Gottesdienst. Das war perfekt, denn ihre eigenen Kinder kamen mit. Nun fühlen sie sich zu groß – und bei Thea ist die Luft raus. Sie hat Lust auf etwas anderes. Aber sobald sie es in der Gemeinde andeutet, heißt es: „Ohne dich geht es nicht. Die Kinder lieben dich. Und bei Gott geht‘s ja schließlich nicht nach dem Lustprinzip.“ Puh. Thea fühlt sich moralisch unter Druck gesetzt. Andererseits ist ihr klar: Sie muss eine Grenze ziehen. In der letzten Zeit geht ihr oft eine Liedzeile durch den Kopf: „Ich darf leben in den Grenzen, die mir Gott gegeben hat.“ Thea spürt: Für sie ist jetzt etwas anderes dran. Wie kann sie das den gemeindeleitenden Personen vermitteln? Ein paar Tipps: Sprich aus, was du willst. Da steckt viel mehr Kraft drin als in dem, was du nicht willst. Also: „Ich habe es geliebt, den Kindergottesdienst zu leiten. Jetzt möchte ich etwas Neues beginnen: Ich mache eine berufliche Fortbildung.“ Begründe dein Anliegen kurz: „Meine Kinder sind inzwischen groß, und ich möchte in meinem Job mehr durchstarten.“ Aber fang nicht an, dich in Details zu verzetteln oder dich zu rechtfertigen. Biete eventuell Alternativen an: „Es würde mir Freude machen, einmal im Monat nach dem Gottesdienst den Büchertisch zu betreuen.“ Thea sagte mir: „Das klingt gut. Ich schreib mir gleich ein paar Stichpunkte auf. Wenn ich das so in Gedanken durchgehe, merke ich: Ein schlechtes Gewissen wollen andere mir einreden. Aber ich selbst habe meinen inneren Frieden mit meiner Entscheidung. Und ich glaube, Gott hat das auch.“

Die Autorin, Luitgardis Parasie (Northeim in Niedersachsen), ist Autorin und Familientherapeutin. Vom 1. bis 4. Februar gibt sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Allgemeinmediziner und Psychotherapeuten Jost Wetter-Parasie, im Kloster Volkenroda (Thüringen) das Seminar „Mutig Grenzen setzen mit gutem Gewissen“. Ihr gleichnamiges Buch erschien im Brunnen Verlag.


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