(Adventisten heute-Aktuell, 2.10.2015) Die Bundesregierung rechnet damit, dass dieses Jahr mindestens 1 Million Flüchtlinge – überwiegend Muslime – nach Deutschland kommen. Andere europäische Länder weigern sich, viele oder überhaupt Asylsuchende aufzunehmen, oder wollen nur Christen Schutz gewähren. Soll also Deutschland möglichst viele Zuwanderer ins Land holen?
PRO
Wer die Bibel aufmerksam liest, wird feststellen, dass das Thema “fremd und auf der Flucht sein” immer wieder eine wichtige Rolle spielt. Abraham macht sich wegen einer Hungersnot auf den Weg nach Ägypten, wo er sich als “Fremdling” aufhält. Israel flieht vor politischer Unterdrückung durch den Pharao. Maria und Josef flüchten mit dem Jesuskind nach Ägypten, um der Willkür eines Herrschers zu entgehen. Immer wieder erzählt die Bibel die Geschichte vertriebener Menschen aus der Perspektive der Flüchtlinge und dabei von der besonderen Sorge Gottes um und dem Schutz für flüchtende Menschen. Der daraus abgeleitete Auftrag, Fremden Aufnahme und Schutz zu gewähren, ist tief verankert in der biblischen Tradition. Gott legt es Menschen besonders ans Herz, sich um diejenigen zu kümmern, die fremd sind und Hilfe brauchen. Das ist sogar noch mehr als ein Gebot der Menschlichkeit. Wenn Christus sagt: “Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen”, dann erinnert er an das, was geboten ist, und er sagt zugleich, dass in der Hilfe für Fremde Begegnung mit ihm und damit Begegnung mit Gott geschieht.
Viele Menschen – gerade in den Kirchengemeinden – kümmern sich zurzeit darum, Hilfe für Flüchtlinge zu organisieren. Dafür bin ich sehr dankbar. Natürlich geht es jetzt darum, politisch klug Migration und Integration zu gestalten. Das ist keine einfache Aufgabe. Es ist auch keine vorübergehende Aufgabe, sondern eine, die uns für die nächsten Jahrzehnte herausfordern wird. Viele humanitäre, ökonomische und demografische Gründe sprechen dafür, diese Aufgabe zuversichtlich anzugehen. Wer sich der jüdisch-christlichen Tradition verbunden weiß, kann auch Glaubensgründe nennen und vor allem zeigen, wie diese wirksam werden können, damit Fremde neue Heimat finden.
(Der Autor, Volker Jung (Darmstadt), ist Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der EKD.)
KONTRA
Politisch: Schon der Nestor der Soziologie, Max Weber (1864-1920), hat darauf hingewiesen, dass zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik zu unterscheiden ist. Verantwortungsethik bedeutet, über den Tag hinauszudenken und die langfristigen Folgen heutiger Entscheidungen zu beachten. Werden uns einst Kinder und Enkel verurteilen, weil wir zwar “lieb”, aber auch verblendet sind?
Ein Bild: Da sind drei Nachbarhäuser, eines dunkelgrün, eines hellgrün und ein drittes. Die Menschen im dunkelgrünen und hellgrünen bekämpfen sich bis aufs Blut. Das dritte Haus nimmt die vielen, die aus beiden Häusern fliehen, ins eigene Heim auf, ohne sie auf die hier geltenden Friedensregeln fest zu verpflichten. Kann das gutgehen?
Kirchlich: Europa ist nicht mehr christlich (Abtreibung, Gender-Ideologie usw.). Aber es gibt kulturelle Errungenschaften aus jüdisch-christlicher Tradition, die zuwandernden Muslimen fremd sind. Nur einige Probleme seien kurz angedeutet: Wollen wir Mehr- und Zwangsehen dulden? Gleichberechtigung abschaffen? Körperstrafen einführen? Freitag statt Sonntag feiern? Tiere schächten? Den Muezzin-Ruf mit dem Bekenntnis zu Allah statt Kirchenglocken hören? Vor allem: Wollen wir, dass es keine Trennung von Politik und Religion mehr gibt, dass die Religionsfreiheit aufhört, weil auf Abfall vom Islam die Todesstrafe steht? Wenn wir das nicht wollen, kann die christliche Antwort auf den Asylantenstrom nur lauten: zum Glauben an Jesus Christus rufen! In Galater 6,10 heißt es: “Tut Gutes an jedermann, vor allem aber an den Hausgenossen des Glaubens.” Die christlichen Kirchen im Orient sind inzwischen fast ausgerottet. Niemand garantiert, dass es in Europa nicht ähnlich kommt, wenn wir weiterhin so lau bleiben (Offenbarung 3,16).
(Der Autor, Rainer Mayer, ist Professor i. R. für Systematische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Mannheim, zugleich Experte für Bonhoeffers Theologie im Widerstandskampf gegen die NS-Ideologie.)