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Interview ICF München – „Unsere Gottesdienste sind für Nichtchristen attraktiv“

Von: nicole Datum Beitrag: 04.07.2025 Kommentare: Keine Kommentare Tags: , , , , ,

Mit 1.800 Gottesdienstbesuchern gehört die ICF-Gemeinde in München zu den meistbesuchten in Deutschland. Mit ihrem Pastor Tobias Teichen sprach IDEA-Reporter Karsten Huhn über lautstarke Gottesdienste, die Probleme schnellen Wachstums und warum er über Hexen und Dämonen predigt.

IDEA: Herr Teichen, Glückwunsch, Ihre Kirche ist jetzt 20 Jahre alt, also erwachsen!

Teichen: Erwachsen sein kann ja Verschiedenes bedeuten: Man kann als Erwachsener festgefahren und nicht mehr veränderungsfähig sein, oder man kann reif sein – ich hoffe natürlich, wir sind Letzteres.

IDEA: Die ICF gilt als hippe Jugendkirche.

Teichen: Diesen Ruf haben wir. Vielleicht liegt das daran, dass man mit vielen jungen Leuten in einer Kirche nicht so sehr rechnet. Wer aber genauer hinschaut, stellt fest, dass bei uns alle Altersgruppen vertreten sind. Unser Wunsch ist, dass in unserer Kirche alle Generationen die Bedeutung der Kinder- und Jugendarbeit sehen.

IDEA: Mein erster Eindruck von einem ICF-Gottesdienst: Es ist krachend laut – gerne auch mal über 100 Dezibel.

Teichen: Das sollte nicht passieren. Unsere Gottesdienste finden in einer Disco statt, und wir halten uns an die Lärm- und Vibrationsarbeitsschutz-Verordnung. Wir haben einen Dezibelmesser im Raum und achten darauf, dass es nicht zu laut wird. Es sollte für die Ohren weder schmerzhaft noch ungesund werden. Unser  Abendgottesdienst für Jugendliche ist sicher etwas lauter als unser Morgengottesdienst, aber Lautstärke ist für uns kein Qualitätsmerkmal. Ein gewisses Lautstärke-Level sollte aber schon da sein, dann trauen sich auch die Leute, die vielleicht ein bisschen schief klingen, von Herzen mitzusingen.

IDEA: Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen schreibt, die ICF-Bewegung folge „den gesellschaftlichen Trends der Eventisierung und Verszenung“.

Teichen: Jeder hat seine eigene Perspektive. Neulich sprach ich mit jemandem, der fand ICF ganz schlimm und fragte: „Warum müsst ihr so cool sein?“ Er trug einen Anzug und Dolce & Gabbana-Schuhe. Ich sagte zu ihm: „Wenn du in unsere Kirche gehst, brauchst du dich nicht verkleiden. Du kannst genauso kommen, wie du jetzt aussiehst.“ Ich verkleide mich nicht für den Sonntagsgottesdienst – ich laufe immer so rum. Und was die Verszenung betrifft: Die hat schon der Apostel Paulus praktiziert. Er war „den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche“ (1. Korinther 9,20). Und wir bei ICF sind eben den Münchnern ein Münchner.

IDEA: Das Zweite, was vielen zu ICF einfällt: Die machen eine große Bühnenshow!

Teichen: In dem Wort Show steckt für mich ein Vorwurf.

IDEA: Was stört Sie an dem Wort?

Teichen: Show klingt für mich oberflächlich, nicht echt und nicht Jesus-zentriert – also das Gegenteil von dem, wie wir unsere Gemeinde bauen wollen. Bei unserer Kirche ist es wie mit einem Eisberg: Man sieht am Sonntag nur die zehn Prozent, die über der Wasseroberfläche liegen. Entscheidend für unsere Kirche ist aber, was unter der Oberfläche liegt: ein authentischer christlicher Lebensstil und liebevolle Beziehungen.

IDEA: Wenn der ICF-Gottesdienst keine Show ist: Was ist er dann?

Teichen: Uns treibt der Wunsch, dass Menschen, die Jesus Christus nicht kennen, Zugang zu ihm bekommen und seine Veränderungskraft erleben können. Unsere Gottesdienste sind so aufgebaut, dass sie für Nichtchristen attraktiv sind. Warum feiern wir in einer Disco? Weil es vielen jungen Leuten leichter fällt, in einem Raum Gottesdienst zu feiern, den sie als Disco kennen. Warum haben wir eine Band und keine Orgel? Weil die meisten lieber eine Band hören als eine Orgel. Warum ist es in unserem Raum dunkel? Weil jemand, der zum ersten Mal da ist, sich in einem hellen Raum eher beobachtet fühlt. Warum haben wir Lieder, die einfach sind? Weil man die Melodie schnell verstehen soll und leicht mitsingen kann. Wir sind mit dieser Einstellung sehr nah an Martin Luther dran …

IDEA: … diese Aussage überrascht!

Teichen: Luthers Wunsch war, dass das normale Volk ihn versteht. Er sah, dass es für die Bibel keine gute deutsche Übersetzung gab – also machte er eine. Statt auf Latein feierte er die Gottesdienste auf Deutsch, und er dichtete auf Kneipenmelodien Kirchenlieder, damit die Leute mitsingen können. Luthers Grundsatz war: „Man muss dem Volk aufs Maul schauen.“ Etwas frech formuliert: Wenn Luther heute leben würde, hätte er auch eine Band, und er wäre auf YouTube und Instagram aktiv.

IDEA: Ich halte fest: Tobias Teichen versteht sich als Lutheraner.

Teichen: Es gibt viele Punkte, in denen ich mit Luther übereinstimme. Wenn ich mir allerdings anschaue, was aus Luthers Kirche geworden ist – da würde Luther vermutlich im Grabe rotieren.

IDEA: Woran denken Sie?

Teichen: Luther war es sehr wichtig, dass das Volk Gottes Wort liest und daran wächst. In einer Mehrzahl der evangelisch-lutherischen Kirchen habe ich den Eindruck, dass man eher vom Wort Gottes weggeht und stattdessen Politik macht.

IDEA: ICF versucht, „am Puls der Zeit zu sein“. Wie messen Sie diesen Puls?

Teichen: Ich habe den Anspruch, meine Generation zu verstehen. Unser Sohn ist jetzt 16 Jahre alt, und seine Generation sieht die Welt schon wieder völlig anders. Deswegen darf unsere Jugend auch andere Wege gehen als wir Älteren – das ist so gewollt. Am Puls der Zeit zu sein bedeutet aber nicht, dem Zeitgeist hinterherzulaufen. Der Zeitgeist bringt manches Gute mit sich, aber auch manches Fragwürdige. Am Puls der Zeit zu sein bedeutet für mich, dass ich die Fragen meiner Generation kenne: Wie sieht ein Atheist heute Gott, die Bibel und die Kirche? Ich kann nur zu meiner Zielgruppe predigen, wenn ich sie kenne und liebe. Also will ich wissen, was in Fernsehshows gezeigt wird, wie sich die Werbung entwickelt und worüber gerade diskutiert wird. Ein Beispiel: Ein großer Trend auf TikTok ist mit mehr als 40 Milliarden Aufrufen #WitchTok, also Hexerei, Zaubersprüche, Pendeln und Okkultismus. Deshalb machen wir gerade eine Predigtserie über Hexen und Dämonen.

IDEA: Ein heikles Thema!

Teichen: Die Kirche darf sich nicht um die heiklen Themen drücken, sondern muss Stellung beziehen und Orientierung geben. Das ist unsere Aufgabe.

IDEA: Für Ihre Kritiker ist ICF eine Anti-Sex-Kirche: kein Sex vor der Ehe, kein Sex außerhalb der Ehe und kein homosexueller Sex.

Teichen: Für eine säkulare Weltsicht ist unsere Haltung anstößig. Denn der Zeitgeist sagt etwas völlig anderes: Sex, so viel du willst, mit wem du willst und so queer, wie du willst. Jesus Christus sagt aber etwas anderes. Er fordert uns auf, uns nicht mit der Welt gleichzustellen, sondern unser Denken zu erneuern. ICF steht für eine erfüllte, aufblühende Sexualität, bei der niemand Schaden nimmt. Sexualität ist wie ein Feuer: Man kann sich daran wärmen, wenn man es aber nicht unter Kontrolle bringt, kann es das ganze Haus abfackeln. Mit dieser Botschaft sind wir extrem weit vom Zeitgeist weg, aber das gilt auch für andere Themen wie Großzügigkeit oder Vergebung. Ich kann noch so viel über diese Themen predigen, oft werde ich dennoch falsch verstanden. Kürzlich beschäftigte sich ein Medienbericht mit der Frage, ob ICF homophob sei.

IDEA: Ist ICF homophob?

Teichen: Für mich ist entscheidend, dass ich Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung mit Liebe und Respekt begegne. Unsere Kirche ist genau das Gegenteil von homophob: Bei uns gibt es Menschen, die homosexuell oder transgender leben, es gibt ehemalige Homosexuelle, die heute verheiratet sind und Kinder haben, und es gibt Leute, die im Zölibat leben. Für sie alle ist unsere Kirche ein Ort, an dem sie geliebt und wertgeschätzt werden. Als homophob gilt heute aber jeder, der eine vom Mainstream abweichende Meinung hat. Nach dieser Logik wäre aber auch jeder christophob, der das Christentum kritisiert.

IDEA: In Predigten lehnen Sie praktizierte Homosexualität ab. Zugleich sind in Ihrer Gemeinde alle willkommen. Wie passt das zusammen?

Teichen: So wie es auch bei allen anderen Themen zusammenpasst. Die Bibel will, dass wir großzügig sind. Gibt es Geizige in unserer Gemeinde? Definitiv. Wir schließen niemanden aus. Wichtig ist nur: Gott darf eine andere Meinung über unseren Lebensstil und unsere Sexualität haben als wir. Wenn das nicht mehr sein darf, stellt sich die Frage: Glaube ich eigentlich noch an Gott, oder glaube ich nur an mich selbst?

IDEA: Sie treffen sich regelmäßig zum Austausch mit den Landeskirchlichen Beauftragten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für geistige und religiöse Strömungen der Gegenwart. Mit welchem Ziel?

Teichen: Die Beauftragten bekommen relativ viele Anfragen zu uns, und ich finde es besser, wenn man miteinander redet als übereinander. So lassen sich Missverständnisse am schnellsten auflösen. Wir schätzen die beiden Beauftragten – Haringke Fugmann und Matthias Pöhlmann – sehr. Sie sind fachlich fit und in einem positiven Sinne kritisch. Wir lieben Feedback, lernen durch die Begegnungen viel und haben auch schon kritische Anregungen aufgenommen. Für die Beauftragten wiederum ist interessant, dass wir mit manchen Dingen selbst nicht zufrieden sind und nach einer besseren Lösung suchen.

IDEA: Womit sind Sie nicht zufrieden?

Teichen: Ich sage immer: Wer vor der eigenen Tür kehrt, hat genug zu kehren. Wenn ich über meine eigene Familie nachdenke, habe ich keine Zeit mehr, schlecht über andere zu reden. Wenn eine Kirche schnell wächst, gibt es mehr Probleme zu lösen, als wenn sie langsam wächst. Man muss immer wieder Strukturen anpassen, gleichzeitig wollen wir unseren Ehrenamtlichen maximale Freiheit geben, so dass sie zügig Entscheidungen treffen können.

IDEA: Haringke Fugmann sagt über ICF, die Kirche stehe für „klare Lehre und zeitgemäße Inszenierung“ – das ist ein ungewöhnlich wohlwollendes Urteil.

Teichen: Die Beauftragten sind nicht unsere Fans, aber es macht natürlich einen Unterschied, ob man sich schon jahrelang kennt oder nicht. Wir sind als Kirche sehr transparent, wir verstecken nichts. Deshalb finde ich es auch absurd, wenn ein Fernsehteam vom Bayerischen Rundfunk meint, in unseren Gottesdiensten mit versteckter Kamera drehen zu müssen.

IDEA: Ihre Gemeinde hat jeden Sonntag in vier Gottesdiensten etwa 1.800 Besucher. Dazu kommen etwa 2.300 Zuschauer, die den Livestream der Gemeinde verfolgen. Ist das Wachstum damit ausgeschöpft?

Teichen: Wir merken, dass so viele Menschen für den lebendigen Glauben offen sind wie niemals zuvor. Zugleich gibt es eine große Sehnsucht nach Orientierung. Ein aktuelles Jugendwort lautet „lost“ – in einer Welt, in der alles erlaubt ist, geht man verloren. Man kann sein Geschlecht ändern, in einer offenen Beziehung leben und sich in den Medien alles reinpfeifen, was nur denkbar ist.

IDEA: Sie schränken die vielen Optionen wieder ein und machen den Weg schmal?

Teichen: Das machen nicht wir, sondern Jesus Christus. Er sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch mich“ (Johannes 14,6). Das ist schon recht schmal und diesen Weg gehen wir.

IDEA: Vielen Dank für das Gespräch.

Tobias Teichen (47) startete 2005 die ICF München und ist leitender Pastor der Gemeinde. Im ICF Movement-Gesamtleitungsteam ist er zuständig für Kirchengründung und Training von Pastoren und Leitern. Teichen arbeitete zwölf Jahre als Hauptschullehrer. Er ist verheiratet und Vater eines Sohnes.

ICF (International Christian Fellowship) ist eine überkonfessionelle Freikirche charismatischer Prägung. Die ersteGemeinde entstand 1996 in Zürich. Inzwischen gibt es weltweit 81 ICF-Gemeinden, darunter 34 in Deutschland. ICF München wurde 2005 gegründet. Die Gemeinde beschäftigt 82 Menschen in Teil- und Vollzeit. Sie hat Jahreseinnahmen in Höhe von 6,7 Millionen Euro.

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