Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) empfiehlt wegen der Corona-Pandemie, in Gottesdiensten vorerst nicht zu singen. Das gemeinsame Singen berge „besonders hohe Infektionsrisiken“. Sollte man derzeit auf das Singen im Gottesdienst verzichten? Zwei Kirchenmusiker, ein Pro & Kontra
PRO
Auf das Singen verzichten? Da sage ich erst mal entschieden: Nein, nie! Warum sollte man das tun? Die Singerei ist mit das Schönste, was ich kenne. Und es erfreut und verbindet die Herzen der Menschen. Und es macht – meistens zumindest – den Kantor glücklich. Und es ist – für mich – einer der Wege zu Gott. Und dann – wer hätte das gedacht? Ich setze mich tatsächlich und entschieden dafür ein, dass in unseren Gottesdiensten, Chorproben und Konzerten vorerst nicht gesungen wird. Was kann mich zu solch unglücklichem Engagement verleiten?
Uns umgibt eine schwere, für manche tödliche und weltweit verbreitete Krankheit, die sich besonders dann überträgt, wenn Menschen körperlich nah beieinander sind und tief ein- und ausatmen. Es ist das Gebot der Menschenliebe, andere möglichst wenig in Gefahr zu bringen. Und es ist sicherlich auch die Unsicherheit, mit nur ersten Forschungsergebnissen die Lage einzuschätzen und entscheiden zu müssen. Und so sage ich: Handelt verantwortlich und wartet ab! Feiert schöne Gottesdienste! Wir Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker werden alles dafür tun, dass auch diese fein klingen. Und dann, wenn der Spuk vorüber ist, wird es wunderbar tönen! Und wir werden einfach weiter singen und wissen, was es heißt, eine Zeit lang sinnvoll und deswegen gerne zu verzichten. Und nach dieser Art sängerischen Fastens wird sich der Gesang besonders gut anhören.
(Der Autor, Uwe Maibaum (Marburg), ist Landeskirchenmusikdirektor der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.)
KONTRA
Wenn man sich für das Singen in geschlossenen Räumen ausspricht, setzt man sich über derzeitige Ordnungen hinweg und missachtet das Votum vieler Berater, die es (ohne eine einzige belastbare Studie bisher) als erwiesen sehen, dass Ansteckungsgefahr trotz Einhaltung von Hygienevorschriften (z.B. Mund-Nasen-Schutz, Abstände) sehr wahrscheinlich ist.
Ich erkenne an, wie wichtig alle Schutzmaßnahmen sind. Aber es geht um Verhältnismäßigkeit. Denn eine derartige Diskussion wurde bei keiner der bisherigen Grippewellen oder anderen viralen Infekten jemals geführt, war doch das Singen im evangelischen Gottesdienst – nach reformatorischer Tradition im Sinne des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen – Verkündigung seitens der versammelten Gemeinde und bislang unbestrittener, unabdingbarer Bestandteil. Im Singen antwortet die Gemeinde auf die Predigt, im geistlichen Lied wird „genau so wie in der Predigt und wie im Sakrament, nur nun eben als Antwort der Gemeinde, das Wort Gottes verkündigt und gehört“ (Karl Barth). Singen ist Verkündigung, Bekenntnis und Zeugnis der Gemeinde, sie vergewissert sich ihres eigenen Glaubens und trägt das Lob Gottes lauthals nach außen. Die Gemeinde mundtot zu machen, ihr das Singen zu verbieten, nimmt dem Gottesdienst ein wesentliches Element, degradiert die Gemeinde zum Passivisten und beraubt sie jeglicher aktiven Beteiligung (vom Vaterunser abgesehen). Als singender Christ hielt man sich bislang für systemrelevant, seit einigen Tagen ist man ein Risikofaktor. Das Singen im Gottesdienst ist nicht verzichtbar! Wem das zu riskant ist, der feiere vor seinem Bildschirm zu Hause und singe da von Herzenslust mit.
(Der Autor, Kirchenmusikdirektor Peter Ammer (Nagold), ist einer der beiden Vorsitzenden des Verbandes Evangelische Kirchenmusik in Württemberg.)