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"Schuld und Versagen": Erklärung der Siebenten-Tags-Adventisten zum 1. Weltkrieg

("Adventisten heute"-Aktuell, 2.5.2014) Eine Erklärung zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren hat die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland herausgegeben. Die Stellungnahme, welche die Ausschüsse des Süd- und Norddeutschen Verbandes der Freikirche am 6. und 13. April 2014 beschlossen, wurde in der Gemeindezeitschrift "Adventisten heute", Mai 2014, unter dem Titel "Schuld und Versagen" veröffentlicht.

In der Erklärung erinnern die beiden Vorsitzenden der Freikirche in Deutschland, die Pastoren Johannes Naether (Hannover) und Günther Machel (Ostfildern bei Stuttgart), daran, dass damals viele Adventisten im Ausbruch des Ersten Weltkriegs "ein Zeichen des Weltendes" gesehen hätten. Während vor dem Krieg nicht wenige Adventisten den Dienst beim Militär am Sabbat (Samstag) verweigert und dafür teilweise drastische Strafen in Kauf genommen hätten, sei von manchen die Meinung vertreten worden, zur Vorbereitung auf die unmittelbar bevorstehende Wiederkunft Jesu gehöre es, auch den Gebrauch der Waffe oder die Impfung beim Militär abzulehnen.
Doch kurz nach der allgemeinen Mobilmachung habe am 2. August 1914 die mitteleuropäische Leitung der Siebenten-Tags-Adventisten in Hamburg in einem Rundschreiben den einberufenen Adventisten empfohlen, ihre "militärischen Pflichten freudig und von Herzen [zu] erfüllen", von den Kriegswaffen Gebrauch zu machen und auch am Sabbat den Kriegsdienst zu versehen. Das Schreiben und weitere derartige Veröffentlichungen hätten in den Gemeinden einen vielschichtigen Protest hervorgerufen, der zu Spannungen und zur Spaltung geführt habe. Daraus hätte sich ab 1915 eine eigene Organisation mit der Selbstbezeichnung "Reformationsbewegung" entwickelt, die ihrer Muttergemeinde, als sogenannter "großen Gemeinde", einen "babylonischen Abfall vom wahren Adventglauben vorwarf".
"Heute erkennen und bekennen wir", so die beiden deutschen Leiter der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten, "dass unsere Väter in diesen Auseinandersetzungen oftmals nicht im Geist der Liebe und Versöhnung gemäß dem Vorbild Jesu gehandelt haben." Aus Sorge um den Bestand der Glaubensgemeinschaft seien Ratschläge erteilt worden, die dem Wort Gottes widersprochen und zur Spaltung sowie zu tiefgreifenden Verletzungen geführt hätten. Die damalige adventistische Leitung sei ihrer Verantwortung gegenüber den Gemeinden nicht gerecht geworden. Sie habe Glaubensgeschwister, die ihrer Meinung widersprachen, zu Unrecht des "Abfalls" vom wahren Glauben bezichtigt und in einzelnen Fällen sogar von staatlichen Behörden verfolgen lassen.
Bereits während der Verhandlungen mit der Reformationsbewegung vom 21. bis 23. Juni 1920 in Friedensau habe Pastor Arthur G. Daniells, der Präsident der Generalkonferenz (Weltkirchenleitung) der Siebenten-Tags-Adventisten, die Stellungnahme der deutschen Leitung der Gemeinschaft zum Kriegsdienst beanstandet und betont: "Wir hätten eine solche Erklärung nicht abgegeben." Bei der Predigertagung, die unmittelbar vor den Verhandlungen in Friedensau stattfand, hätten auch die für die Schriftstücke Verantwortlichen ihre Erklärungen als "fehlerhaft" zurückgenommen, und am 2. Januar 1923 erneut bedauert, "dass solche Dokumente herausgegeben worden sind".
Für das damalige Versagen entschuldigen sich die Pastoren Naether und Machel im Namen ihrer Freikirche mit den Worten: "Auch wenn heute niemand der damals Beteiligten mehr am Leben ist, so bitten wir doch ihre Kinder und Nachkommen sowie die beiden existierenden Gruppen der Reformationsbewegung um Entschuldigung für unser Versagen. Wir haben aus unserer leid- und schmerzvollen Geschichte gelernt, dass Kinder Gottes berufen sind, Menschen des Friedens zu sein und jede Form von Gewaltanwendung gegenüber Unschuldigen abzulehnen. Wir glauben, dass Nachfolger Jesu den Aussagen der Heiligen Schrift am besten Folge leisten, wenn sie in ihrer Umgebung als Botschafter des Friedens und der Versöhnung wirken."
Die beiden Freikirchenleiter erinnern an die "Erklärung zum Frieden" des früheren Präsidenten der Generalkonferenz, Pastor Neal C. Wilson, vom Juni 1985: "In einer Welt voller Kampf und Hass, einer Welt ideologischer und militärischer Konflikte, möchten Siebenten-Tags-Adventisten als Friedensstifter bekannt werden und sich für weltweite Gerechtigkeit und Frieden unter Christus als dem Oberhaupt einer neuen Menschheit einsetzen."

Die adventistische Reformationsbewegung

Als im August 1914 zu Beginn des Ersten Weltkrieges von den 15.000 deutschen Adventisten 3.000 Wehrpflichtige einberufen wurden, sei es unter ihnen zu einer unterschiedlichen Beurteilung gekommen, wie man sich in dieser Krisensituation zu verhalten habe. Während die Mehrheit dem durch ein Rundschreiben verbreiteten Aufruf ihrer Kirchenleitung folgte und der Einberufung zum Militär nachkam, äußerten Kritiker dieser Entscheidung deutlich ihr Missfallen.
Aus diesen Kritikern, die ihre Opposition teilweise damit begründeten, dass sie für den Frühsommer 1915 die Wiederkunft Jesu erwarteten, bildete sich im Laufe des Jahres eine feste Gruppe. Während einige Kritiker später wieder ihren Platz in den Adventgemeinden fanden, sammelte sich die Mehrheit der Widerständler in einer Gruppe, die sich selbst "Reformationsbewegung der Siebenten-Tags-Adventisten" nannte und den Militärdienst schließlich grundsätzlich ablehnte.
Das Rundschreiben vom 2. August 1914 wurde von der adventistischen Weltkirchenleitung mit Sitz in den USA kritisiert und mit ähnlichen Verlautbarungen von der deutschen Freikirchenleitung bereits 1920 und nochmals 1923 mit "Bedauern" zurückgezogen. Doch das schlug genauso fehl, wie Versöhnungsversuche von beiden Seiten nach dem Ersten Weltkrieg. Schließlich standen sich während der Weimarer Republik zwei adventistische Lager gegenüber: die traditionelle Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten und die Reformationsbewegung, die allerdings durch interne Auseinandersetzungen in verschiedene Gruppen zerfiel. Die meisten lösten sich noch vor Beginn der NS-Herrschaft auf. Die verbliebenen Gruppen kamen schon bald in das Visier der neuen Machthaber, da sie auch die Beteiligung an Wahlen ablehnten. 1936 löste die Gestapo die Reformationsbewegung auf. Für kleinere Gruppen kam das Verbot noch im gleichen Jahr, beziehungsweise 1937 und 1942.
Heute gehören zur Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten weltweit über 18 Millionen erwachsen getaufte Mitglieder; in Deutschland sind es rund 35.000. Die Reformationsbewegung erlebte 1951 eine Spaltung, sodass es seitdem weltweit zwei Gruppen mit jeweils etwa 30.000 Mitgliedern gibt. In Deutschland zählt die "Internationale Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Reformationsbewegung" (IMG) circa 350 Mitglieder. Die "Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten Reformationsbewegung" (STAR) ist mit etwa 200 Mitgliedern in der Bundesrepublik etwas kleiner. (APD)


Der Wortlaut der Erklärung


Schuld und Versagen. Erklärung der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren

Am 28. Juli 1914 brach in Europa ein Krieg aus, der alle bisherigen Dimensionen in den Schatten stellte. Viele Adventisten sahen in diesem "Großen Krieg" ein Zeichen des Weltendes. Während bis dahin nicht wenige Adventisten den Dienst beim Militär am Sabbat verweigert und dafür teilweise drastische Strafen in Kauf genommen hatten, wurde jetzt von manchen die Meinung vertreten, zur Vorbereitung auf die unmittelbar bevorstehende Wiederkunft Jesu gehöre es, auch den Gebrauch der Waffe oder die Impfung beim Militär abzulehnen.
Demgegenüber sandte die Leitung der Mitteleuropäischen Division der Siebenten-Tags-Adventisten in Hamburg am 2. August 1914 - kurz nach der allgemeinen Mobilmachung - ein Rundschreiben an die Gemeinden in Deutschland, in dem sie empfahl: "Soweit wir im Heer stehen oder ins Heer eintreten müssen, [sollten wir] unsere militärischen Pflichten freudig und von Herzen erfüllen [...] Aus Josua 6 ersehen wir, dass die Kinder Gottes von den Kriegswaffen Gebrauch gemacht und auch am Sabbat den Kriegsdienst versehen haben." Dieses Schreiben und weitere Veröffentlichungen riefen in den Gemeinden einen vielschichtigen Protest hervor, der zu Spannungen und zur Spaltung führte. Daraus entwickelte sich ab 1915 eine eigene Organisation, die sich als "Reformationsbewegung" bezeichnete und der "großen Gemeinde" babylonischen Abfall vom wahren Adventglauben vorwarf.
Heute erkennen und bekennen wir, dass unsere Väter in diesen Auseinandersetzungen oftmals nicht im Geist der Liebe und Versöhnung gemäß dem Vorbild Jesu gehandelt haben. Aus Sorge um den Bestand der Gemeinschaft wurden Ratschläge erteilt, die dem Wort Gottes widersprechen und zur Spaltung sowie zu tiefgreifenden Verletzungen führten. Wir bekennen auch, dass die Leitung der Europäischen Division ihrer Verantwortung gegenüber den Gemeinden nicht gerecht wurde und Glaubensgeschwister, die ihrer Meinung widersprachen, zu Unrecht des "Abfalls" bezichtigte und in einzelnen Fällen sogar von staatlichen Behörden verfolgen ließ.
Bereits während der Verhandlungen mit der Reformationsbewegung vom 21. bis 23. Juni 1920 in Friedensau hatte Arthur G. Daniells, der Präsident der Generalkonferenz der Siebenten-Tags-Adventisten, die Stellungnahme der deutschen Leitung der Gemeinschaft zum Kriegsdienst bedauert und betont: "Wir hätten eine solche Erklärung nicht abgegeben." Bei der Predigertagung, die unmittelbar vor den Verhandlungen in Friedensau stattfand, zogen auch die für die Schriftstücke Verantwortlichen ihre Erklärungen als "fehlerhaft" zurück. Zudem brachten sie am 2. Januar 1923 erneut ihr Bedauern darüber zum Ausdruck, "dass solche Dokumente herausgegeben worden sind".
Auch wenn heute niemand der damals Beteiligten mehr am Leben ist, so bitten wir doch ihre Kinder und Nachkommen sowie die beiden existierenden Gruppen der Reformationsbewegung um Entschuldigung für unser Versagen. Wir haben aus unserer leid- und schmerzvollen Geschichte gelernt, dass Kinder Gottes berufen sind, Menschen des Friedens zu sein und jede Form von Gewaltanwendung gegenüber Unschuldigen abzulehnen. Wir glauben, dass Nachfolger Jesu den Aussagen der Heiligen Schrift am besten Folge leisten, wenn sie in ihrer Umgebung als Botschafter des Friedens und der Versöhnung wirken.
Das brachte auch der Präsident der Generalkonferenz der Freikirche, Neal C. Wilson, in seiner "Erklärung zum Frieden" während der Generalkonferenz-Vollversammlung in New Orleans, Louisiana/USA, am 27. Juni 1985 zum Ausdruck: "In einer Welt voller Kampf und Hass, einer Welt ideologischer und militärischer Konflikte, möchten Siebenten-Tags-Adventisten als Friedensstifter bekannt werden und sich für weltweite Gerechtigkeit und Frieden unter Christus als dem Oberhaupt einer neuen Menschheit einsetzen."
Im Namen der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland
Johannes Naether, Vorsitzender Günther Machel, Stellvertretender Vorsitzender

Diese Erklärung wurde am 6. und 13. April 2014 durch die Ausschüsse des Süddeutschen und Norddeutschen Verbandes der Freikirche beschlossen und in der Ausgabe Mai 2014 der Gemeindezeitschrift "Adventisten heute" veröffentlicht.

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