("Adventisten heute"-Aktuell, 14.8.2015) Menschen, deren Mütter in der Schwangerschaft Alkohol konsumiert haben, leiden meist ihr ganzes Leben unter den Folgen. Sie haben ein erhöhtes Risiko, obdachlos, drogenabhängig und straffällig zu werden. Darauf machen Experten aufmerksam, wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtet.
Jährlich 10.000 Kinder mit FASD
Laut der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, kommen jährlich schätzungsweise 10.000 Kinder mit einer Fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD) auf die Welt. Sie zählt damit zu den häufigsten angeborenen Behinderungen in Deutschland. Je nach Schwere können die Betroffenen leichte kognitive Störungen bis hin zu schwerwiegenden Einschränkungen haben - daher der Begriff Spektrumstörung. Sie leiden häufig unter Herzfehlern und Schädigungen des zentralen Nervensystems, die zu Gedächtnis- und Konzentrationsschwächen sowie Wahrnehmungsstörungen führen können. Mit einer geregelten beruflichen Tätigkeit sind sie häufig überfordert. Dem Bericht zufolge haben Studien gezeigt, dass 80 Prozent der Menschen mit FASD nicht in der Lage sind, ein eigenständiges Leben zu führen. Es fehle aber an Einrichtungen, die sie betreuen und begleiten.
Nicht nur ein Problem der Unterschicht
Laut der Kinder- und Jugendärztin Mirjam Landgraf (München) kommt es nicht selten vor, dass Personen mit FASD irgendwann in ihrem Leben obdachlos und drogenabhängig werden, weil sie aus dem Kreislauf von Überschätzung, Überforderung und Scheitern nicht herauskommen. Landgraf leitet in München eine Spezialambulanz für Kinder, die während der Schwangerschaft Giftstoffen ausgesetzt waren. Nach ihren Angaben ist FASD nicht nur ein Problem der Unterschicht. Auch unter Akademikern komme es häufig vor. Gerade diese Mütter gäben aber selten zu, in der Schwangerschaft Alkohol konsumiert zu haben. Ihre Kinder erhielten deshalb häufig keine Diagnose oder die Verlegenheitsdiagnose ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung). Die Kinder fragten sich dann bis ins Erwachsenenalter hinein: "Was ist nur los mit mir, warum bin ich so anders?". Landgraf zufolge müssen FASD-Betroffene gezielt gefördert und versorgt werden.
Eine evangelische Einrichtung hilft
Zu den wenigen Einrichtungen in Deutschland, die sich ihnen zuwenden, gehört der Evangelische Verein Sonnenhof in Berlin. Er bietet unter anderem Wohngemeinschaften an. Fachliche Leiterin ist die Diplom-Psychologin Gela Becker. Nach ihren Worten ist die primäre Hirnschädigung bei FASD von sekundären Störungen wie Depression, Selbstmordgefährdung und Aggressivität überschattet. Dies sei ein Ergebnis von Fehlbetreuung und Überforderung. Becker zufolge haben 60 Prozent der FASD-Patienten im Laufe ihres Lebens Probleme mit dem Gesetz. 55 Prozent seien in Haft, in einer psychiatrischen Einrichtung oder in einer Suchtklinik. Doch die Frage nach der Schuld- und Prozessfähigkeit werde nur selten gestellt. Kanada könne da für Deutschland zum Vorbild werden. Denn dort habe die Justiz begonnen, sich mit FASD auseinanderzusetzen. (idea)