Er gilt als Ursprung aller Weihnachtssterne – der Herrnhuter Stern. Vor über 160 Jahren trat er seinen Siegeszug aus dem kleinen Ort in der Lausitz an. Längst hängen Exemplare auch in Skandinavien, Asien und den USA. Welch erstaunliche Entstehungsgeschichte hinter dem berühmten „Herrnhuter“ liegt und wie er heute noch in Handarbeit gefertigt wird, hat sich idea-Redakteurin Lydia Schubert angesehen.
Die außergewöhnliche Erfolgsgeschichte des berühmten Herrnhuter Weihnachtssterns begann Mitte des 19. Jahrhunderts an einem sehr gewöhnlichen Ort: in einem Klassenzimmer. Genauer gesagt, in einem Internat der Herrnhuter Brüder-Unität. Hier lernten größtenteils Kinder aus Missionarsfamilien. Während der Novemberfrost die Wiesen bereits weiß färbte und an den Fenstern die ersten Schneekristalle zu sehen waren, mussten sich die Schüler im Mathematikunterricht mit Geometrie beschäftigen. Und vielleicht waren es genau die Eiskristalle, die einen Erzieher schließlich auf eine Idee brachten. Er ließ seine Schützlinge im Mathematikunterricht Sterne aus Papier und Pappe bauen, um ihnen ein Verständnis für geometrische Formen näherzubringen. Die Schüler machten sich fleißig ans Werk – und schmückten mit den Ergebnissen später ihre Internatsstuben. Damit begann eine Tradition – fortan bastelten die Kinder stets am 1. Sonntag im Advent ihre Sterne und trugen damit diesen Brauch in ihre Familien. 1897 erfand der Geschäftsmann Pieter Hendrik Verbeek schließlich das erste Modell, das sich zusammensetzen und auseinanderlegen ließ und so auch verschickt werden konnte. Ursprünglich in Weiß und Rot, für die Reinheit und das Blut Christi, gehalten, bot die Manufaktur bereits im Jahr darauf Modelle in mehreren Farbvarianten und Größen an. In den folgenden Jahren wurden sie immer weiter verbessert und erweitert. So gab es 1982 erstmals Sterne aus Kunststoff, die wetterfest waren. Nach der deutschen Wiedervereinigung konnten weitere neue Materialien eingesetzt und die Abläufe modernisiert werden.
Leim und Lötkolben statt Nadel und Faden
Einen echten „Herrnhuter“ erkennt man auch heute noch auf den ersten Blick: Er hat immer 25 Zacken: 17 viereckige und acht dreieckige. Langweilig wird es aber trotzdem nicht – neben der Wahl zwischen Sternen aus Papier oder Kunststoff bietet das Unternehmen mittlerweile die verschiedensten Größen und Farben an. Pressesprecherin Marie-Luise Kellner weiß (fast) alles, was es über den besonderen Weihnachtsschmuck zu wissen gibt: „In der traditionellen Herstellung aus Papier oder Pappe und sogar in den Anfängen der Kunststoffsterne wurden die Zacken der 1,30 Meter großen Sterne noch von Hand genäht.“ Das ist heute – dank Kleber beziehungsweise Löt- und Schweißgeräten – nicht mehr erforderlich. Und das ist auch gut so, denn sonst würden die Näherinnen mit der Produktion wohl gar nicht hinterherkommen. Die Nachfrage steigt laut Aussagen der Pressesprecherin nämlich stetig. Waren es 2010 noch 300.000 hergestellte Exemplare im Jahr, erhöhte sich die Zahl auf zuletzt 700.000. „Dabei halten die Sterne bei guter Pflege eigentlich ein Leben lang“, schmunzelt die junge Frau. Um die hohe Nachfrage bedienen zu können, werden heute teilweise Maschinen eingesetzt, unter anderem für die Fertigung der Kunststoffzacken. „Sie laufen 350 Tage im Jahr rund um die Uhr und stellen pro Stunde 200 Zacken her“, schildert Kellner. Trotzdem lege das Traditionsunternehmen Wert darauf, die Automatisierung weitestgehend in Grenzen zu halten.
Zacke für Zacke echte Handarbeit
Ganz herkömmlich geht es noch in der Schaumanufaktur zu. Fünf Frauen in roten Blusen sitzen im Halbrund, über ihnen eine Wolke aus Herrnhuter Sternen. Sie arbeiten zügig und routiniert, der Besucher merkt sofort: Hier sitzt jeder Handgriff. Zwischendurch bleibt Zeit für einen kurzen Scherz oder Plausch. Noch deutet nichts an den flachen bunten Papierbögen darauf hin, dass aus ihnen bald ein festlicher, dreidimensionaler Weihnachtsstern entstehen wird. Doch das ändert sich schon bei der ersten Station. Dort arbeitet die Zackendreherin. Flugs greift sie sich eines der Blätter, leimt es rasch ein und legt es dann an einen kegelförmigen Kolben an. Kurz glattgestrichen ist das Papier nun selbst spitz und hohl wie eine Zuckertüte, kann abgezogen werden und wandert zu vielen anderen in eine Kiste. Wieder und wieder wiederholt die Arbeiterin die eingespielten Handgriffe: leimen, anlegen, glattstreichen – insgesamt etwa 2.500-mal am Tag. Für die Zacke geht es dann weiter durch die Qualitätskontrolle und in eine metallene Form. Hier werden aus einer abgerundeten Kante vier eckige. Die nächste Station ist die der Rahmenkleberin. Sie befestigt mit Knochenleim kleine Papprähmchen an den Rand. An ihnen wird der Stern später zusammengesteckt. Jede der Frauen ist eine Meisterin ihres Fachs. Ein halbes Jahr brauchen sie, um die Geschwindigkeit und Qualität der Produktion leisten zu können. Eine besonders feine Arbeit ist das Herstellen kleiner Papiersterne. Selbst die erfahrenste Arbeiterin schafft hier nur etwa 12 Exemplare am Tag. Zum Vergleich: Bei den ebenfalls handgesteckten Exemplaren aus Kunststoff sind es 90.
Sonderwünsche? – kein Problem!
Und dann gibt es da noch die „ganz Großen“: Sterne mit einem Durchmesser von 1,90 Metern (beispielsweise in der Dresdener Frauenkirche und im Berliner Dom) oder gar 2,50 Metern. Um Letztere muss man sich bei dem Unternehmen extra bewerben – nicht jeder bekommt sie. Bislang wurden darum nur wenige von ihnen hergestellt. Einer davon hängt direkt in seinem „Elternhaus“, der Herrnhuter Manufaktur, der andere schmückt das Berliner Kanzleramt. Den Überblick über spezielle Kundenwünsche und Sonderanfertigungen hat Sabine Zeisig. Die Zittauerin arbeitet bereits seit 16 Jahren in der Herrnhuter Manufaktur. „Angefangen habe ich damals als Näherin für die Zacken“, erinnert sie sich. An ihrem Arbeitsplatz stehen ganze Berge von ihnen – gelb und in verschiedenen Größen. „Die sind für das Rathaus in Zittau vorgesehen.“ Sie selbst mag allerdings die weißen am liebsten: „Die sind so edel, so elegant.“ Aber egal, wie groß, welche Farbe und welches Material – die Sterne haben es ihr angetan. „Das ist doch die schönste Arbeit“, sagt sie mit leuchtenden Augen. „Das ganze Jahr über Sterne fertigen – was will man mehr?“
Rot-gelb im Osten, blau-weiß im Norden
Damit diese dann auch in den Wohnzimmern landen können, braucht es den Vertrieb. Neben dem klassischen Verkauf auf Messen und Weihnachtsmärkten bietet das Unternehmen seine Produkte mittlerweile auch zum Bestellen im Internet an. Damit kein Paket an die falsche Adresse geht und die zahlreichen Anfragen zügig beantwortet werden können, braucht es eine gute Logistik – und viel Platz. Auf knapp 400 Quadratmeter erstreckt sich allein das kleine Lager. Drahtkörbe und Metallstiegen reichen bis an die hohen Decken. „Weil die warmen Temperaturen in diesem Jahr so lange anhielten, sind die Bestellungen bislang noch etwas verhalten“, berichtet Kellner. „Erfahrungsgemäß steigen sie aber gerade um den ersten Advent herum schlagartig an, wenn alle ihren Weihnachtsschmuck herausholen und durchsehen.“ Was viele nicht wissen: Die Vorlieben der Kunden unterscheiden sich nicht nur nach Land oder Kontinent, sondern auch nach Region. „Die skandinavischen Länder bevorzugen ganz klar weiße Exemplare. Die sind universell einsetzbar und strahlend“, zählt die Pressesprecherin auf. „In Amerika dagegen werden richtige Themenkonzepte um die einzelnen Farben entwickelt. So dekoriert man auch außerhalb der Adventszeit: zum Valentinstag mit roten, zur Hochzeit mit weißen Sternen.“ Und während in Deutschlands Norden vor allem die Herrnhuter in blau/weiß oder grün/ weiß gefragt sind, verwendet man in Bayern und im Osten hingegen lieber rote Zacken – beispielsweise in Kombination mit weiß/gelben. Für die ganz Experimentierfreudigen bringt das Unternehmen außerdem jedes Jahr eine limitierte Sonderedition auf den Markt. Zacken in Orange und Türkis waren schon dabei – in diesem Jahr ist die Trendfarbe Magenta.
Ein ostdeutsches Erfolgskonzept mit 25 Zacken
Beliefert werden Privatkunden ebenso wie Händler, die Bestellungen kommen mittlerweile auch aus Südamerika, Japan oder den Arabischen Emiraten. Doch wie erklärt sich das Unternehmen den großen Erfolg seines Produktes? „Zum einen ist der Herrnhuter ein typisch ‚ostdeutsches Produkt‘ “, erklärt Pressesprecherin Kellner. „Auch als nach 1989/90 viele aus der ehemaligen DDR ausgereist sind, haben sie doch eines mitgenommen: ihre Traditionen. Natürlich nach Westdeutschland, aber eben auch bis in die USA.“ Ein weiterer Grund ist der optische Charakter – kein anderer Stern sei so geometrisch gleichmäßig und spiegelbar. Mit Blick auf das Ausland spielt nicht zuletzt aber auch seine Herkunft eine große Rolle. Kellner: „Das Prädikat ‚deutsche Handarbeit‘ ist nach wie vor hochangesehen.“
Tradition im modernen Rahmen
Die Brüdergemeine ist bis heute Eigentümer des Unternehmens, und auch seine Entstehungsgeschichte spielt nach wie vor eine Rolle. Auf jedem der Kartons, auf der Internetseite und in der hauseigenen Ausstellung finden sich Texte, die einen Bezug zu Jesu Geburt oder der Geschichte der Brüdergemeine herstellen. Denn: Der Ursprung des Herrnhuter Sterns liegt in der christlichen Weihnachtsgeschichte, dem Stern von Bethlehem. Doch trotz Traditionsbewusstsein machen die gesellschaftlichen Veränderungen auch vor Herrnhut nicht halt. „Unsere Käufer gehören verschiedenen Konfessionen an oder sind konfessionslos“, erklärt Kellner. Das Gleiche gelte für die rund 120 Mitarbeiter. Zur Symbolik des Sterns zählt mittlerweile also nicht mehr nur die christliche Assoziation. „Statt dem schnelllebigen Alltag lieber Ankommen, Innehalten und Besinnung in der Adventszeit, sich den Wert der Familie in Erinnerung rufen – diese Botschaft wollen wir weitertragen.“ Als „Tradition im modernen Rahmen“ war und ist der Stern somit damals wie heute viel mehr als bloß eine Dekoration.