(“Adventisten heute”-Aktuell, 26.12.2014) Soll im Gottesdienst ein muslimisches Lied gesungen werden? Ist Gott ein Vulkan? Enttäuscht das Christentum alle Hoffnungen? Und welche Folgen haben die zahlreichen Kirchenaustritte? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Zeitungen und Nachrichtenmagazine anlässlich von Weihnachten. Eine Presseschau von Karsten Huhn.
DIE ZEIT: Das Tröstliche der Weihnachtslieder
Die Wochenzeitung DIE ZEIT (Hamburg) beschäftigt sich mit der Bedeutung von Weihnachtsliedern: “Dass man sein Herz öffnen und irgendetwas (na ja, den Heiland halt) freudig empfangen solle, ist in vielen Weihnachtsliedern die Hauptmessage: âMacht hoch die Tür, die Tor macht weitâ – das ist ein Kommando an unsere Seelengüte. Schon sehr früh hat man als Kind die Phase hinter sich gelassen, in der man jauchzend und frohlockend sein Herz offenlegen will. Man will auch nicht unbedingt den Vater und die Mutter segnen, wie es in Süßer die Glocken nie klingen verlangt wird. Laut schmetternd zu singen âAlle dann jauchzen mit frohem Gesangâ hat so etwas peinlich Verstörendes wie der Moment in der Kirche, wenn man dem Unbekannten Banknachbarn zu den Worten âFriede sei mit dirâ die Hand reichen muss.
Kurz, um das Weihnachtsliedgut liegt sehr bald ein Bannkreis der Scham und des Peinvollen, den man nur durch erzieherischen Zwang durchschreitet. Es folgen dann die Jahre der Abwehr, der Ablehnung und des Widerstands, wenn man lieber ernst und cool als âfroh und munterâ sein möchte. Das sind die Jahre des Leidens an den Familienritualen. Und dann, kaum ist man erwachsen, und die Kindheit ist für immer verloren, begreift man, dass man sich durch nichts mehr bei sich fühlt als durch das, was die eigenen Eltern einen einst gegen den heftigsten Widerstand zu singen genötigt haben … Das Tröstliche der Weihnachtslieder, das einem einst so peinlich war, rührt einen nun selbst. Übrigens, falls das noch nicht klar wurde: Weihnachtslieder, und hier vor allem die älteren, sind einfach sehr schön.”
GEO: Nur noch dünne Mehrheit für Religiöse
“Brauchen wir Gott?” fragt das Wissenschaftsmagazin GEO (Hamburg) in seiner Titelgeschichte und gibt als Antwort: “Eher nicht, befinden immer mehr Menschen. Ihren Glauben aber geben sie deshalb nicht auf. Sie suchen für ihn nur neue Formen: als spirituelle Atheisten, als Erfinder von Ritualen, in Gemeinden ohne Religion.” Das Magazin beruft sich dabei auf Zahlen des “Globalen Index für Religiosität und Atheismus 2012”, der Menschen aus 57 Ländern befragte, ob sie sich als religiös, nicht religiös oder als Atheisten beschreiben: “In Deutschland haben die Religiösen noch eine dünne Mehrheit von 51 Prozent, in der Schweiz bezeichnen sich 50, in Österreich 42 Prozent als religiös. Der Trend weist, wie in fast allen Industrieländern, steil nach unten: Sieben Jahre zuvor lag der Anteil der Gläubigen in Deutschland noch bei 60, in Österreich bei 53 und in der Schweiz bei 71 Prozent.”
DER SPIEGEL: “Gott war ein Vulkan”
Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL (Hamburg) sinnt in seinem Titel über “Die Geburt Gottes” nach. Ihm zufolge begann “der Gott der Bibel seine Karriere wohl als Götze auf dem Vulkan Hala al-Badr im Nordwesten Saudi-Arabiens”: “Die Idee: Gott war ein Vulkan”. Mose habe bei seiner ersten Gottesbegegnung in Midian geweilt, einer Landschaft mit gewaltigen Lavafeldern im Nordwesten Saudi-Arabiens: “Jahwe ein Gott der heißen Gase? Auch die Theologin Margot Käßmann unterstützt die Kratertheorie, ebenso der Schweizer Alttestamentler und Ägyptologe Othmar Keel, eine weltweit anerkannte Koryphäe seiner Zunft.” Mose könne am Vulkan gestanden haben, als er von Gott die Moralgesetze erhielt. Andererseits: “Es ist nicht mal klar, ob der biblische Prophet überhaupt jemals lebte.” Auch am Wahrheitsgehalt anderer biblischer Geschichten nimmt DER SPIEGEL Anstoß: “Die Bibel ist Menschenwerk, teils von großer grandioser literarischer Qualität, teils mit trügerischer Absicht verfasst. Letzteres gilt vor allem für die chronologischen Angaben der Bibel. Sie haben sich als falsch entpuppt … Überall wird enttarnt, entzerrt, zurechtgerückt. Die moderne theologische Forschung gleicht einer einzigen Desillusion.” Als Kronzeuge dient dem SPIEGEL der Direktor des Archäologischen Instituts der Universität von Tel Aviv, Israel Finkelstein: “Bei Finkelstein schrumpft das strahlende Jerusalem zum schlichten Dorf. David wird zum Räuber Hotzenplotz, umgeben von âMännern mit Knüppeln, die herumbrüllten, fluchten und spuckten.â”
DIE WELT: Christen, Juden und Muslime haben wenig gemeinsam
In DIE WELT (Berlin) kritisiert der Kolumnist Henryk M. Broder Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke). Dieser hatte gefordert, im Gottesdienst “ein gemeinsames Gebet aus dem gemeinsamen Vorrat der abrahamitischen Religionen” zu singen. Die Zentralräte der Juden und Moslems könnten dadurch mit den Kirchen ein Zeichen des Glaubens setzen. Dazu Broder: “Über Ramelow heißt es immer wieder, er sei ein gläubiger und praktizierender Christ. Allerdings muss er öfters im Konfirmandenunterricht gefehlt oder geschlafen haben. Von seinem eigenen Glauben hat er wenig Ahnung, von dem der anderen noch weniger… Zum Wesen jeder Religion gehört es, dass sie sich von anderen Religionen abgrenzt. Es ist auch jedem Gläubigen unbenommen, seinen Glauben für den besseren zu halten – solange er nicht versucht, ihn den Anders- oder Ungläubigen aufzuzwingen. Das ist eine der Säulen der Religionsfreiheit: Ein jeder diene seinem Gott und lasse die anderen in Ruhe ihrer Wege gehen. Christen, Juden und Muslime haben auch weniger gemeinsam, als immer behauptet wird. Ihre Anschauungen vom Monotheismus sind sehr verschieden; Juden missionieren überhaupt nicht, Christen nur verhalten, Muslime recht aggressiv. Das Judentum ist eine Kultur der Fragen, das Christentum eine der Antworten und der Islam eine der Unterordnung. Der gemeinsame Nenner ist eher vegetativer Natur: Alle essen, trinken und verdauen. Aber reicht das, um an Heiligabend gemeinsam ein Lied zu singen?”
WESTFALEN-BLATT: Muslimische Lieder im Weihnachtsgottesdienst sind unnötig
Auch das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) äußert sich zum Streit um muslimische Lieder in Weihnachtsgottesdiensten: “Wer ernsthaft fordert, muslimische Lieder in Weihnachtsgottesdiensten zu singen, braucht sich nicht zu wundern, dass die wirre âPegidaâ-Schar immer mehr Zulauf erhält. Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. So auch hier. Niemandem ist mit sentimentaler Harmonieduseligkeit geholfen. In einer Demokratie gilt es, Unterschiede zu benennen und zuzulassen. Zwischen Christen und Muslimen, Juden und Atheisten. Man muss nicht gemeinsam singen, um sich gegenseitig zu respektieren.”
tageszeitung
: Das Christentum erstickt die Hoffnung
In der tageszeitung (Berlin) rechnet der Bonner Professor für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit, Markus Gabriel, mit dem Christentum ab: “Das Christentum hat sich, historisch betrachtet, die Hoffnung gehijackt, wie es das mit so vielen Begriffen getan hat. Es sagt jedoch nichts darüber, dass die Dinge anders sein können, im Gegenteil. Das Christentum ist kein Denken der Hoffnung – sondern der Versuch, die Hoffnung zu ersticken durch die Notwendigkeit des Realistischen… Jesus sagt: Übermorgen bin ich wieder da – nicht in zigtausend Jahren am Ende der Geschichte, sondern übermorgen. Hoffnung ist im Christentum insofern erst einmal die Zuversicht genau darauf. Und dann kommt die Enttäuschungserfahrung: Alle warten, und nichts passiert. Schließlich liest man Paulus so: Du sollst Hoffnung haben auf eine immer ausstehende Endzeit. Und in der Moderne hat das Christentum dann eben behauptet, die Hoffnung verdankt ihr mir … Hier in Deutschland hat sich das Christentum so festgefressen, als gäbe es neben der Demo- auch noch eine Theokratie – Bundespräsident Theologe, Christentum im Titel der Regierungspartei. Bei uns herrscht eine extrem weichgespülte Vorstellung vom Christlichen. Vielleicht wäre es besser, wenn wir eine Debatte darüber hätten, was das Christentum wirklich sagt: Zum Beispiel, dass man Homosexuelle töten soll, Levitikus 20:13.”
StZ: Christliche Hoffnung ist unverzichtbar
Die STUTTGARTER ZEITUNG (StZ) schreibt: “Die Hoffnung auf eine bessere Welt, wie sie in der biblischen Weihnachtsgeschichte zum Ausdruck kommt, steht indes seit ihrer Niederschrift in krassem Widerspruch zur irdischen Realität. Die Menschheit hat in ihrer Entwicklungsgeschichte grandiose Fortschritte gemacht, sie hat die Welt zwar auch geschädigt, im Großen und Ganzen aber gewaltig vorangebracht – doch sie hat es nie vermocht, dem Ideal âFriede auf Erdenâ, das nicht nur die christlichen Religionen zeichnen, entscheidend näher zu kommen… Eine hohle Phrase aus einer irrealen Welt? Keineswegs. Es ist ein unverzichtbarer Gegenentwurf zur realen Welt.”
F.A.Z.: Die innere Kündigung der Kirchenmitglieder
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) macht darauf aufmerksam, dass die Kirchen im Jahr 2014 so viel Geld zur Verfügung hatten wie nie. Zugleich hätten sie zusammen durch Austritte etwa 350.000 Mitglieder verloren; seit der Deutschen Einheit lägen die Verluste bei etwa acht Millionen: “Tatsächlich reicht oft der kleinste Anlass, um der oft lange zurückliegenden inneren Kündigung die äußere folgen zu lassen. Wobei die üppige Alimentierung der Kirchen wie ein Betäubungsmittel wirkt und den Schmerz unterdrückt, der mit dem Verlust der Kirchenbindung, ja noch mehr der Verdunstung des Glaubens einhergehen müsste. Mehr noch: Mittlerweile bindet die Organisation von Seelsorge, Glaubenszeugnis und Diakonie vielerorts mehr Kräfte, als sie freisetzt. Das ist nicht paradox, sondern pervers… Alleine die Alterung der Bevölkerung führt dazu, dass immer mehr Gemeinden zum Leben längst zu klein, aber zum Sterben noch lange nicht klein genug sind. Noch schwimmen die Kirchen im Geld. Aber die Zeiten sind nicht mehr fern, in denen rapide sinkende Einnahmen und exponentiell steigende Pensionslasten viele Planungen zur Makulatur machen könnten.”
NZZ: Fußball statt Kirche
Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) geht der Frage nach, warum sich die Schweizer Kirchen leeren: “Die heutige Schweizer Glaubenslandschaft ist das Resultat einer fundamentalen Umwälzung in den letzten gut 50 Jahren. Vor 1960 verstand sich die Gesellschaft noch als genuin christlich. 97 Prozent der Bevölkerung gehörten einer Kirche an. Taufe und kirchliche Hochzeit waren unhinterfragter Teil des Lebens. Doch mit dem steigenden Wohlstand der Nachkriegszeit und der sexuellen Revolution von 1968 lösten sich die alten Großmilieus auf, das Individuum gewann zunehmend an Bedeutung. Es entstand laut Stolz die Ich-Gesellschaft – gerade auch in religiöser Hinsicht. Unmittelbarer Ausdruck des Wandels war der Boom der alternativen Spiritualität in den 1970er Jahren, Stichwort New Age. Doch die größten Verschiebungen gab es vom institutionellen zum distanzierten Milieu. Die Kirchen haben in den letzten Jahrzehnten die Autorität verloren, ihre Dogmen durchzusetzen. Ein Ausscheren aus dem religiösen Verbund führt – zumindest außerhalb der Freikirchen – nicht mehr zu einer Ächtung im sozialen Umfeld. Zunehmend entscheidet jeder selber, was er glauben und praktizieren will. So ist auch im religiösen Bereich eine Konsummentalität entstanden. Der Einzelne fragt sich: Was bringt mir diese oder jene religiöse Praxis? … Am Sonntagmorgen spielt der Jugendliche Fußball, statt in die Kirche zu gehen. Der Vater bespricht seine Probleme mit dem Psychotherapeuten und nicht mit dem Pfarrer. Und die Mutter singt im Gesangsverein statt im Kirchenchor. Die Säkularisierung, die in den Städten ihren Ausgang nahm, hat sich somit fast flächendeckend durchgesetzt.”
SZ: Josef, ein Held des Alltags
Die Süddeutsche Zeitung (SZ, München) denkt über die Rolle von Josef in der Weihnachtsgeschichte nach: “Josef ist von Beruf Zimmermann, und ein mutiger Mann ist er nicht nur deswegen, weil er zupackend ist und die Mutter und ihr Kind schützt – erst vor dem Gesetz, das mit der Steinigung der ungetreuen Frau drohte; dann vor König Herodes und seinen Todesschwadronen, die das Neugeborene umbringen wollten. Josef floh deswegen mit Maria und dem Kind nach Ägypten. So steht es in der Bibel. Die Evangelien legen Wert darauf, ihn als beherzten Mann zu zeigen. Deswegen ist Josef ein Held des Alltags. Aber er ist noch viel mehr: Diese Revolution ist der verborgene Kern des unwahrscheinlichsten Teils der Weihnachtsgeschichte – der Erzählung von der Jungfrauengeburt.”
Der Tagesspiegel: Zu Weihnachten gehören Luxus und Verschwendung
Der Tagesspiegel (Berlin) sieht Weihnachten als Festtag, “um aus dem Vollem zu leben und hemmungslos zu schwelgen”: “Jesus wurde in einem Stall geboren und in eine Krippe gelegt. Ärmlicher geht es kaum. Trotzdem feiern Christen seine Geburt nicht mit Knäckebrot, sondern mit Schweinebraten, Rotkohl und Klößen. Zu Weihnachten gehören Luxus und Verschwendung wie Ochs und Esel. Die heiligen drei Könige haben es vorgemacht. Sie haben dem Kind in Bethlehem keine Windeln mitgebracht, sondern kostbare Güter: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Denn sie waren überzeugt, dass sich etwas ganz Besonderes ereignet hat: dass sich in dem Kind in der Krippe das Göttliche offenbart. Das wollten sie auf besondere Art feiern. Kosten spielten keine Rolle, sie fragten auch nicht nach dem Nutzen und ob die Rechnung aufgehen würde. Bisweilen braucht es diesen Überschwang und solche Anlässe zum Prassen. Bisweilen tut es gut, maßlos und verschwenderisch zu sein.”
FOCUS: Glaube heißt für mich Trost
Im Nachrichtenmagazin FOCUS (München) schreibt der Unterhaltungskünstler Harald Schmidt warum er angesichts von Leid und Terror auf Gott vertraut: “Nietzsche? Hegel? Shakespeare? Nicht schlecht, aber funktionieren die auch am Sarg? … Auf den letzten Metern ruft selten einer nach dem Übermenschen, aber doch vereinzelt nach dem Pfarrer. Glaube heißt für mich Trost. âWir sind nur Gast auf Erdenâ, âWenn mein Stündlein vorhanden istâ, âO Mensch, bewein dein Sünden großâ, âWenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mirâ schon die Titel vieler Choräle können lindern, wo Kauflaune und Wachstum nicht mehr helfen.” (idea)