Kaum ein anderes Wort ruft so starke Emotionen hervor, erfährt engagierten Zuspruch oder heftige Ablehnung wie “Mission” oder – noch schlimmer – “missionieren”. Die einen sehen Mission als unverzichtbaren Bestandteil ihres Glaubens, andere als Ausdruck von religiösem Fanatismus. Was ist nun eigentlich Mission? Wie sollte sie heute erfolgen? Dazu Dr. Detlef Blöcher, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen (AEM) und Direktor der Deutschen Missionsgemeinschaft (DMG, Sinsheim bei Heidelberg).
Der Begriff “Mission” kommt aus dem Lateinischen und bedeutet “Sendung”: Christen sind gesandt in die Welt mit der guten Nachricht von Jesus Christus. Diesen Auftrag hat Jesus selbst vor 2.000 Jahren seinen Jüngern gegeben, quasi als Vermächtnis. Die bekannteste Form des “Missionsbefehls” finden wir am Ende des Matthäusevangeliums (28,19-20): “Geht nun zu allen Völkern der Welt und macht die Menschen zu meinen Jüngern! Tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch aufgetragen habe.”
1. Missverständnis: Mission ist nur ein Auftrag von Jesus.
Nach seiner Auferstehung ist Jesus seinen Jüngern mehrfach begegnet, und stets sprach er mit ihnen über das eine Thema: Mission. Tatsächlich durchzieht dieses Thema die gesamte Bibel! Von den ersten Seiten an geht es um Gottes Sehnsucht nach Gemeinschaft mit uns Menschen (1. Mose 1,27) und darum, wie viel Gott es sich kosten lässt, uns aus unserer Selbstzerstörung zu retten. Gott selbst ist der große Missionar. Er suchte bereits Adam (1. Mose 3,9); später sandte er seinen Sohn, an Pfingsten den Heiligen Geist – und er sendet alle Christen in die Welt.
Die Botschaft von Jesus ist so einzigartig, dass alle Menschen sie erfahren sollen. Die modernen Medien bieten dazu Gelegenheiten wie nie zuvor: vom Radio über das Satellitenfernsehen bis zu sozialen Medien und Internet-Chats, wo sich Interessierte für die christliche Botschaft in “verschlossenen” Ländern wie Nordkorea zum virtuellen Hauskreis treffen, weil sie zu Hause keine Fremden empfangen können. Viele Menschen im islamischen Orient laden die Bibel aus dem Internet auf ihr Handy. So können sie Gottes Wort diskret lesen, während ein Buch in ihrer Wohnung viel zu gefährlich wäre.
2. Missverständnis: Mission ist etwas für starke Christen.
Unmittelbar vor dem “Missionsbefehl” heißt es (Matthäus 28,17): “Einige aber zweifelten.” Obwohl Jesus seinen Jüngern bereits mehrfach erschienen war, etwa den Frauen am Grab oder dem ungläubigen Thomas, zweifelten einige immer noch. Und genau diesen verunsicherten Jüngern gibt Jesus den Missionsauftrag! Er gilt den Glaubensstarken und den Glaubensschwachen, den Mutigen und den Zweifelnden.
Gesucht sind also nicht Experten, sondern alle Christen. In unserer nachchristlichen Gesellschaft haben viele Mitbürger eine Abneigung gegen das traditionelle Christentum. Sie reagieren geradezu allergisch auf “Kirche” und fürchten religiöse Propaganda. Sie werden nur dann Interesse an der christlichen Botschaft bekommen, wenn sie bei uns Christen einen glaubwürdigen Lebensstil erleben.
3. Missverständnis: Mission gilt es im Gehorsam auszuführen.
Jesus beginnt mit den Worten: “Mir ist gegeben alle Gewalt …” Er zeigt sich als der auferstandene Herr und Herrscher des Universums. Er öffnet Türen, heilt zerbrochene Herzen und schenkt neue Hoffnung. Es ist seine Mission – doch erstaunlicherweise bezieht er uns Menschen in sein kraftvolles Wirken in der Welt mit ein. Darum ist Mission kein menschlicher Gehorsamsakt, sondern Teilhabe an “Gottes Mission”, wie der lutherische Theologe Karl Hartenstein (1894-1952) es nannte. Gott ist Ausgangspunkt, Kraftquelle und Ziel. Er gibt uns Mut beim Reden, Kraft zum Schweigen und Liebe für den Nächsten.
In vielen Ländern erleben wir heute eindrucksvoll, wie Gemeinden wachsen: in Nepal und Indien, Iran, Äthiopien, Kambodscha und unter den Berbern in Algerien. Es kommen heute mehr Menschen zum Glauben an Jesus Christus als je zuvor. Oft wirkt Gott dabei – besonders unter Muslimen – durch Träume oder Wunder und zieht so Menschen zu sich. Allerdings wächst auch die Weltbevölkerung so schnell wie nie zuvor! Es gibt also noch viel zu tun bei Gottes Mission.
4. Missverständnis: Mission bedeutet vor allem evangelisieren.
Wörtlich übersetzt lautet jedoch der Missionsauftrag: “Macht zu meinen Jüngern, indem ihr hingeht und lehrt und tauft.” Jesus will nicht nur Retter, sondern Herr in unserem Leben sein. Das ist der Kernauftrag, dem alle anderen Tätigkeiten untergeordnet ist: hingehen, evangelisieren, lehren und anderes mehr. Der Glaube soll alle Lebensbereiche durchdringen. Dann wird unser Leben zum Schaufenster von Gottes Kraft – und wirkt ansteckend.
Christsein kann man nicht in erster Linie aus Büchern oder von Websites lernen; es muss konkret erlebt werden. Gott sandte nicht ein “goldenes Buch” vom Himmel, sondern seinen Sohn. Jesus kam nicht nur für einen Kurzeinsatz, sondern lebte 36 Jahre lang unter uns. Darum ist es notwendig, dass Christen hingehen und bei den Menschen leben – also Missionare werden. In vielen klassischen Missionsländern wie Brasilien, Kenia und Äthiopien sind inzwischen große, eigenständige Kirchen herangewachsen. Sie brauchen nicht mehr Missionare für Evangelisation und Gemeindebau – das können Einheimische oft besser. Diese Partnerkirchen bitten jedoch um Fachmitarbeiter etwa für Finanzverwaltung, Sozialarbeit, Kinder- und Jugendarbeit, Sportprogramme, Aidsprävention, Hilfe bei Alkoholsucht, theologische Lehre, Medienarbeit – und vor allem sollen sie einheimische Mitarbeiter in diesen Bereichen ausbilden. Andere Missionare gehen in Staaten, wo die christliche Botschaft noch völlig unbekannt ist. Theologen erhalten dort oft kein Visum – jedoch andere Fachkräfte, auch wenn sie Christen sind. Sie leben das Evangelium in Wort und Tat. Sie können Gottes Liebe durch praktische Hilfe und die Ausbildung einheimischer Mitarbeiter weitergeben. Christen, die beim Aufbau ihres Gastlandes helfen, werden überall geschätzt. Für sie gibt es keine “verschlossenen” Länder.
5. Missverständnis: Mission geschieht vor allem im Ausland.
Der Missionsauftrag schließt mit der Zusage: “… und ich bin bei euch jeden Tag.” Jesus sagt uns seine Gegenwart und Hilfe fest zu – denn aus eigener Kraft können wir seinen Auftrag nicht tun. Dieses Versprechen gilt allen, die zu ihren Nachbarn, Arbeitskollegen, Bekannten, Angehörigen gehen – selbst wenn die Knie schlottern, wir unbeholfen Worte stammeln und Fehler machen. Mission heißt: Grenzen überschreiten vom Glauben zum Unglauben. Alle Christen sind gesandt – mindestens zur Welt vor ihrer Haustür! Ihnen hat Jesus seine Hilfe zugesagt – nicht jenen, die ängstlich schweigen, die nichts tun, aber nachher alles besser wissen, oder die einfach nur abwarten, bis Jesus wiederkommt.
Mission ist keine Einbahnstraße, sondern geschieht von überall nach überall. Viele ehemalige Missionsländer wie Korea, die Philippinen, Brasilien und Nigeria senden heute eigene Missionare aus. Sie stellen inzwischen die Mehrheit der evangelischen Missionare weltweit! Einige senden auch Missionare nach Europa, um ihre hier lebenden Landsleute zu erreichen – und uns Deutsche, Schweizer oder Österreicher. Suchen wir die Zusammenarbeit mit ihnen? Bieten wir fremdsprachigen Gemeinden unsere Gemeindehäuser an, die viele Stunden in der Woche leer stehen? Lassen wir uns anstecken von ihrem Mut und inspirieren von ihrem fröhlich gelebten Glauben?
6. Missverständnis: Mission ist ein Auftrag für Einzelne.
Mission ist kein spezieller Auftrag an Einzelne, sondern an die ganze Gemeinde – lokal und global. Jeder Christ soll gehen – zum Nachbarn oder auch in fremde Länder, ob privat, im Beruf oder als Missionar. Dabei kenne ich nur ganz wenige Gemeinden, die mehr als 3 % ihrer Gemeindeglieder als Missionare entsenden. Damit bleiben mindestens 97 % der Mitglieder zu Hause – für die Mission vor der eigenen Tür. Nur gemeinsam kommen wir ans Ziel! Das ist ein zentrales biblisches Prinzip.
Gemeinden senden heute ihre Missionare vermehrt selbstständig aus – ohne Missionswerk, weil sie meinen, es lasse sie nicht genug am Leben ihrer Missionare teilhaben. Doch fehlt es vielen Gemeinden am Wissen in der Betreuung ihrer Missionare – dann gibt es bittere Enttäuschungen. Heute ist es einfach, eigene Beziehungen zu Partnerkirchen zu knüpfen und dort Projekte zu unterstützen – doch werden die jeweiligen Erwartungen nicht immer erfüllt. Wie wertvoll ist da eine effektive Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Missionswerk als “Kompetenzzentrum”, damit es ein fruchtbarer Lernprozess für alle Beteiligten wird!
7. Missverständnis: Der Missionsauftrag ist bereits ausgeführt.
Der “Missionsbefehl” schließt mit den Worten “… bis ans Ende der Welt” – räumlich und zeitlich. Manche Christen behaupten, dieses Wort habe nur den ersten Aposteln gegolten oder sei von ihnen bereits ausgeführt worden. Doch was nützt es etwa den Menschen in der Türkei, dass es dort vor Jahrhunderten lebendige Kirchen gab – wenn sie in der Gegenwart noch nie das Evangelium in einer verständlicher Form gehört haben? Gott will, “dass alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen” (1. Timotheus 2,4)!
Fachleute schätzen, dass es noch 6.650 Völker ohne eigene christliche Gemeinde gibt (www.JoshuaProject.net) – das sind 2,8 Milliarden Menschen! Viele Völker leben kulturell oder geografisch isoliert – sonst hätte das Evangelium dort schon lange Fuß gefasst. Deshalb braucht es Menschen, die ihre Heimat verlassen und zu ihnen gehen. In den meisten Großstädten der Welt gibt es inzwischen christliche Gemeinden – doch sind sie nur auf wenige Sprachgruppen beschränkt. Auch ist es absurd, ein Volk als “erreicht” zu erklären, wenn es dort nur eine kleine Gemeinde unter Millionen Einwohnern gibt – die zudem vielleicht sogar im Untergrund lebt.
Globalisierung, Verstädterung, Naturkatastrophen, Flüchtlingsströme, religiöser Extremismus, neuer Atheismus in Europa – das sind nur einige Themen, die uns in der Mission gegenwärtig beschäftigen. Die Schwerpunkte der Mission verschieben sich auf den Aufbau einheimischer Missionsbewegungen sowie christlicher Unternehmen, übergreifende Kooperationen, nebenberufliche Missionare, Lobbyarbeit für verfolgte Christen, eine wirkungsvolle Zusammenarbeit mit sendenden Gemeinden. Das erfordert angepasste Arbeitsweisen, veränderte Ausbildungskonzepte – und neue Missionswerke. Weltmission braucht mehr Mitarbeiter mit einer tiefen Liebe zu Jesus und einem Herz für die Mitmenschen; Mitarbeiter mit der Bereitschaft zum Dienen und einer demütigen Haltung. Einsatzmöglichkeiten gibt es für jeden von uns. (idea)