Die Adventgemeinde Leipzig der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten hat einen Stolperstein für Manfred Wachenheimer vor ihrem Adventhaus in der Karl-Heine-Straße 8 verlegt. Es handelt sich dabei um eine kleine Gedenktafel, mit der an das Schicksal von Menschen erinnert werden soll, die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Wachenheimer wurde 1942 im KZ Buchenwald ermordet.
Geboren 1886 in Karlsruhe, verbrachte Wachenheimer dort seine Kindheit und Jugend. Später war er als Kaufmann und Korrespondent in mehreren Firmen tätig. So kam er nach Leipzig. 1934 heiratete er seine Frau Maria, geb. Hass. Laut einem Bericht von Dieter Wache in der August-Ausgabe der Kirchenzeitschrift Adventisten heute war Manfred Wachenheimer von 1933 bis 1939 wegen seiner jüdischen Abstammung erwerbslos. Am 4. Februar 1939 wurde er für zehn Tage wegen des Nichttragens des Jugendsterns inhaftiert. Ab 1939 musste er Zwangsarbeit verrichten.
Durch Giftspritze ermordet
In seiner Leipziger Zeit kam er mit der Adventgemeinde in Kontakt und wurde Siebenten-Tags-Adventist. Auch seine Frau gab nach 1945 an, dass sie Adventistin sei. Auf Drängen einzelner Gemeindemitglieder wurde Manfred Wachenheimer aus der Adventgemeinde Leipzig ausgeschlossen. Es wurde behauptet, dass dieser Schritt nur „pro forma“ sei, um den staatlichen Vorschriften zu genügen. Wachenheimer besuchte aber weiterhin den Gottesdienst. Als ihm auch das verwehrt werden sollte, intervenierte der Pastor der Gemeinde, Hermann Kobs. Daraufhin wurde auch er aus den Reihen seiner eigenen Gemeinde denunziert. Kobs wurde am 18. März 1942 von der Gestapo inhaftiert, blieb bis zum 7. April 1942 im Gefängnis und wurde anschließend mit anderen Häftlingen dienstverpflichtet. Dabei begegnete er Manfred Wachenheimer erneut. Hermann Kobs wurde von seinem Dienst als Pastor in Leipzig suspendiert. Die Entlassung wurde von der Gemeindeleitung veranlasst und – so die offizielle Begründung – als „Vorsichtsmaßnahme“ deklariert.
Am 21. März 1942 wurde für Manfred Wachenheimer „Schutzhaft“ durch die Gestapo Leipzig angeordnet. Grund: Unerlaubte religiöse Betätigung, da er als „Nichtarier“ unter „arischen Menschen“ am Gottesdienst teilgenommen habe. Am 4. Juni 1942 kam er in das KZ nach Buchenwald. Dort starb er am 4. Juli 1942 um 7:55 Uhr an einer Gelbkreuzgiftgas-Spritze.
2012 hatten Mitglieder der Adventgemeinde Leipzig die Idee, einen Stolperstein für Manfred Wachenheimer zu verlegen, nachdem sie sich mit der Geschichte der Adventisten im „Dritten Reich“ befasst hatten. Durch einen Vortrag des Kirchenhistorikers Dr. Johannes Hartlapp, Dozent an der adventistischen Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg, nahm das Projekt an Fahrt auf, denn Hartlapp stellte der Gemeinde auch Kopien von hilfreichen Dokumenten zur Verfügung. Am 16. Juni 2021 konnte die Gedenktafel mit Unterstützung der „AG Stolpersteine in Leipzig“ in einem „würdigen Rahmen“ auf dem Gehweg vor dem Adventhaus verlegt werden.
Geschichtlicher Hintergrund
Im November/Dezember 1933 wurde die Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten von der Gestapo in Preußen, Hessen, Sachsen und anderen Ländern verboten. Zwar wurde das Verbot bereits am 6. Dezember 1933 wieder aufgehoben, doch ab Januar 1934 wurden die Adventgemeinden verstärkt polizeilich überwacht. Dazu schreibt Johannes Hartlapp in Siebenten-Tags-Adventisten im Nationalsozialismus (V & R unipress Göttingen, 2008): „Die Angst bestimmte von nun an alle weiteren Entscheidungen … Die Gemeinschaft als Ganzes war damit – in der Terminologie des Nationalsozialismus – weitgehend gleichgeschaltet. Dass es Einzelne gab, die sich diesem Trend widersetzten und ungeachtet der Konsequenzen die Kurskorrektur nicht mitmachen konnten oder wollten, zeigte sich schon bald“ (S. 321–322). Hartlapp erläutert: „Gemeindemitglieder wie Alexander Mannesmann gehörten zu den Siebenten-Tags-Adventisten, die später die brutale Macht des Staates zu spüren bekamen und für ihr Glaubenszeugnis den Verlust der Arbeitsstelle oder Inhaftierung in Kauf nehmen mussten“ (S. 322). Hartlapp erinnert ebenfalls stellvertretend an zwei adventistische Pastoren, die für ihre Worte mit dem Leben bezahlten: Rudolf Harreß aus Oldenburg starb am 6. Juli 1942 im KZ Groß-Rosen bei Breslau und Rudolf Schäfer kam im Februar 1945 im Zuchthaus in Dresden ums Leben. Doch „alle, die sich gegen jede Form von Anpassung und damit ‚Gleichschaltung‘ innerhalb der eigenen Kirche wehrten, standen plötzlich weitgehend allein da“ (S. 472), beklagt Hartlapp.
Erklärung der Freikirche der STA zur NS-Zeit
In einer gemeinsamen Erklärung zum 60. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges haben die Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland und Österreich 2005 Stellung zum Verhalten der Freikirche im „Dritten Reich“ genommen. Darin wird beklagt, dass auch Siebenten-Tags-Adventisten an „diesem furchtbaren Krieg beteiligt waren“. Der Charakter der NS-Diktatur sei nicht rechtzeitig und deutlich genug erkannt worden. In adventistischen Veröffentlichungen hätten sich Aussagen befunden, „die Adolf Hitler huldigten und der rassistischen Ideologie des Antisemitismus in einer Weise Ausdruck gaben, die aus heutiger Sicht unfassbar ist“. Deutsche und Österreicher seien zu „Komplizen des Rassenwahns geworden“; auch „viele Siebenten-Tags-Adventisten“ hätten „an der Not und dem Leid ihrer jüdischen Mitbürger keinen Anteil“ genommen, so dass sie „von uns ausgegrenzt und ausgeschlossen, sich selbst überlassen und so der Gefangenschaft, Vertreibung oder dem Tod ausgeliefert wurden“.
„Aufrichtig“ werde bekannt, „dass wir gegenüber dem jüdischen Volk, allen Verfolgten und vom Krieg Betroffenen und darüber hinaus auch gegenüber Adventisten in anderen Ländern durch unser Versagen schuldig geworden sind“. Auch hätten „wir als Siebenten-Tags-Adventisten in jenen notvollen Zeiten trotz unserer Erkenntnis aus der Heiligen Schrift und dem prophetischen Wort nicht mutiger und konsequenter gehandelt und so in der Nachfolge unseres Herrn versagt“. Adventisten seien denjenigen, „die in unseren Reihen mutig Widerstand geleistet haben und sich der Nazidiktatur weder gebeugt, noch mit ihr gemeinsame Sache gemacht haben, nicht mutig entschlossen genug gefolgt“.
Die Freikirche wolle deshalb „nachdrücklich“ dafür eintreten, dass nie wieder ein Krieg gegen andere Völker von Deutschland oder Österreich ausgehe und dass niemand aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität oder Geschlecht ausgegrenzt oder benachteiligt werde. Die Vergangenheit dürfe nicht in Vergessenheit geraten und der Gehorsam, „den wir der staatlichen Obrigkeit schulden, nicht zur Preisgabe von biblischen Überzeugungen und Werten“ führen. Es gelte, den Glauben auch dann mutig zu bekennen und konsequent zu leben, „wenn wir unsererseits in die ‚Stunde der Versuchung‘ geraten“.