(“Adventisten heute”-Aktuell, 10.12.2010) Bei der diesjährigen (regulären) Sitzung des Leitungsausschusses der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland (FiD), die am 6. und 7. Dezember 2010 in Freudenstadt stattfand, gab es neben den klassischen Agendapunkten wie Personalanliegen, Anpassung der Arbeits- und Finanzrichtlinien und Berichte der Abteilungen und Institutionen ein Thema, das alles andere überragte: die Besprechung des Dokumentes “Quo vadis, Adventgemeinde?”.
Quo vadis, FiD?
Mit “Adventgemeinde” ist in diesem Fall weder die Ortsgemeinde noch die Weltkirche der Siebenten-Tags-Adventisten gemeint, sondern es geht schlicht um die Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland – ca. 35.000 erwachsen Getaufte, die sich in etwa 600 Adventgemeinden versammeln, organisiert in zwei “Verbänden” (Nord-/Ostdeutschland und Süddeutschland), untergliedert in sieben “Vereinigungen” (vier im nord-/ostdeutschen, drei im süddeutschen Bereich). Im weltweiten Vergleich völlig überorganisiert im Verhältnis zur geringen, seit Jahren stagnierenden Gliederzahl in Deutschland.
Welche geschichtlichen Entwicklungen hat unsere Freikirche genommen und was bedeuten sie? Worin besteht die adventistische Identität? Welche Rolle spielen Strukturen im Prozess der Veränderungen? Zu diesen und anderen grundsätzlichen Fragen hatte der so genannte Beirat “Zukunftsperspektiven” ein Gesprächspapier erarbeitet, das allerdings in die adventistische (und Welt-)Öffentlichkeit durchs Internet gelangte, bevor sich der Leitungsausschuss der FiD damit auseinandersetzen konnte (“Adventisten heute”-Aktuell berichtete am 4.6.2010).
So viel Aufmerksamkeit erlangte keine der vorausgegangenen Arbeitshilfen (“Handreichungen”), die der Beirat erarbeitet hatte. So viel Kritik auch nicht – sachliche wie auch verletzende. Bei so viel Spannung im Vorfeld fiel die Atmosphäre umso wohltuender auf, die während der Aussprachen herrschte. Sie war vom spürbaren Bemühen geprägt, einander zu respektieren und aufeinander zu hören (die Moderatoren bescheinigten den Teilnehmern eine “hohe Gesprächskultur”). Und dies nicht nur bei diesem Thema, sondern während der gesamten Sitzungszeit (eineinhalb Tage).
Nach der halbtägigen Aussprache über das Papier, an der auch zwei Beiratsmitglieder teilnahmen, ging es darum, eine Stellungnahme abzugeben und zu klären, wie mit den offenen Grundsatzfragen vorzugehen sei. Mit einer Zweidrittelmehrheit wurde beschlossen, den Entwurf des Beirats nicht weiter zu bearbeiten und auch nicht als offizielles Dokument der Freikirche zu verabschieden.
In der Stellungnahme, die hier abrufbar ist und in der Januar-Ausgabe von “Adventisten heute” erscheint, werden einige der offenen “Problemfelder” genannt: die rechte Glaubensvermittlung an unsere Kinder, die Suche nach der “theologischen Mitte” und nach der bestmöglichen Struktur unserer Organisation, sowie das Spannungsfeld zwischen Einheit und Vielfalt.
Leider ist die jährliche FiD-Sitzung anscheinend nicht der Ort, wo man über diese Grundsatzfragen nachdenken kann – die gedrängte Agenda lässt kaum Pausen zum Lüften der Räume, geschweige denn der Köpfe zu. Aus diesem Grund werden sich die Vorstände der Freikirche bei ihrer nächsten Klausurtagung in wenigen Wochen weiter damit befassen.
Personalwechsel
Aus diesem Leitungsgremium wurden einige Personen verabschiedet und deren Nachfolger begrüßt:
- Christian Goltz, bisher Schatzmeister der Freikirche im Norddeutschen Verband (NDV), wechselt zum 1. Januar 2011 zur Revisionsabteilung der Weltkirchenleitung. Seine Aufgabe übernimmt Günter Brecht (61, verheiratet, drei erwachsene Kinder), seit 1997 Schatzmeister der Hansa-Vereinigung.
- Annekatrin Blum (verheiratet, eine zweijährige Tochter) leitet seit dem 1. November 2010 die Abteilung Frauen im NDV als Nachfolgerin von Rita Pütz. Annekatrin Blum hat in der Theologischen Hochschule Friedensau Soziale Verhaltenswissenschaften studiert und arbeitet u. a. im Beirat “Sexueller Gewalt begegnen” mit. Sie wohnt mit ihrem Mann, der Pastor der Freikirche ist, in Oldenburg.
- Für Prof. Dr. Johann Gerhardt war dies die letzte Sitzung der FiD, da er als Rektor der Theologischen Hochschule Friedensau im März 2011 in Rente geht. Sein Nachfolger, Dr. Friedbert Ninow, wurde als Gastmitglied im Leitungsausschuss der FiD begrüßt.
- Als neuer Bundesgeschäftsführer des Adventwohlfahrtswerkes (AWW) ab Mitte 2011 wurde Lothar Scheel (Dresden) vorgestellt, der das AWW in der Berlin-Mitteldeutschen Vereinigung leitet.
Berichte
Zu den Finanzberichten gehört jedes Jahr die Entwicklung der Versorgungskasse für pensionierte Pastoren und Angestellte in Deutschland (ZVK), die durch die übergeordnete Dienststelle, die Euro-Afrika-Division in Bern, verwaltet wird. Markus Zettl, assoziierter Schatzmeister der EUD, legte für den Zeitraum 2003 bis 2009 Zahlen vor, die zeigen, dass die Freikirche – trotz der Finanzkrise – bei ihren Geldanlagen auf ein äußerst erfolgreiches Jahrzehnt zurückblicken kann, da sie im Vergleich zu Indizes bzw. Anleihefonds von Banken eine deutlich überdurchschnittliche Rendite erzielte.
Betroffenheit löste der Bericht von Jugend-Abteilungsleiter Martin Knoll (Hannover) über die Arbeit im Bereich “Sexueller Gewalt begegnen” aus. Sowohl er als auch die anderen Mitglieder des Fachbeirats werden immer wieder mit Fällen sexuellen Missbrauchs in den Reihen der Freikirche konfrontiert. Wenn man bedenkt, dass in Deutschland jährlich ca. 15.000 Kinder unter 14 Jahren sexuell missbraucht werden (die Dunkelziffer schätzt man bei 150.000 bis 300.000!), so ist von fünf bis zehn Betroffene pro Vereinigung auszugehen (bzw. von einer Dunkelziffer von einem Missbrauchsopfer je 33 Gemeindeglieder)!
Sehr erfreulich war der Bericht über die Resonanz auf die “Nimm Jesus”-Gutscheinhefte mit den Angeboten für Korrespondenzkurse zu Gesundheitsthemen (DVG Ostfildern) bzw. biblischen Themen (IBSI, Alsbach-Hähnlein).
Rückbesinnung aufs Wesentliche
Gegen Schluss gab es ein “Bonbon” für alle Adventgemeinden in Deutschland: das Projekt “Offene Türen” der Freikirchenleitung in Deutschland. Gemeinden und Gruppen erhalten die Chance, ein missionarisches Projekt durchzuführen, zu dem sie unter normalen Umständen aus finanziellen Gründen nicht fähig wären. Eine halbe Million Euro, zur Verfügung gestellt von der DE-VAU-GE-Stiftung, werden in den nächsten fünf Jahren fließen, damit jede Vereinigung in dieser Zeit 75.000 Euro in diese Projekte investieren kann. Näheres darüber sowie über die Bewerbungsmodalitäten wird in der Februar-Ausgabe von “Adventisten heute” zu lesen sein.
Am Schluss der oben genannten Erklärung wird auf den “Aufruf zur Erweckung und Reformation” der Weltkirchenleitung hingewiesen (Näheres in der Januar-Ausgabe von “Adventist World”). Diese Besinnung auf die geistliche Komponente (Erweckung und Reformation) und eine Konzentration auf den Missionsauftrag (Projekt “Offene Türen” und Großevangelisation HERBST 2011) – beides zusammen könnte die beste Antwort auf einige der im Zusammenhang mit dem Papier “Quo vadis, Adventgemeinde?” offen gebliebenen Fragen sein! (edp)
Draußen kalt, drinnen herzlich
– Einige Impressionen von der FiD-Sitzung 2010 (Fotos: edp)