(“Adventisten heute”-Aktuell, 18.7.2014) Verständnis, aber auch Kritik haben Äußerungen des EKD-Ratsvorsitzenden, Nikolaus Schneider (Berlin), und seiner schwer erkrankten Frau Anne zur Sterbehilfe ausgelöst. Der 66-Jährige hatte Ende Juni bekanntgegeben, dass seine Gattin an Brustkrebs leidet. Er werde deshalb zum 10. November vorzeitig zurücktreten, um sich ganz um sie zu kümmern.
Er würde seiner erkrankten Frau bei der Selbsttötung beistehen
In einem Interview mit der Wochenzeitung “Die Zeit” sagte der EKD-Chef, er würde seine Frau notfalls zur assistierten Selbsttötung in die Schweiz begleiten. Es wäre zwar völlig gegen seine Überzeugung, und er würde sicher noch mit Anne diskutieren: “Aber am Ende würde ich sie wohl gegen meine Überzeugung aus Liebe begleiten.” Anne Schneider äußerte in dem Interview die Erwartung, dass ihr Mann sie im Ernstfall bei der Sterbehilfe unterstützt: “Ich hoffe, wenn ich selber an den Punkt kommen sollte, sterben zu wollen, dass mein Mann mich dann in die Schweiz begleitet.” Sie wünsche sich außerdem, “dass er neben mir sitzt und meine Hand halten würde, wenn ich das Gift trinke”. Anne Schneider, die als Religionspädagogin tätig war, hält im Gegensatz zu ihrem Mann organisierte Sterbehilfe für legitim. Es gehöre zur Verantwortung des Menschen zu entscheiden: “Jetzt gebe ich mein von Gott geschenktes Leben dankbar an ihn zurück.” Das Ehepaar ist seit 44 Jahren verheiratet. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor. Die jüngste – Meike – starb 2005 im Alter von 22 Jahren an Leukämie.
EKD: Es bleibt beim Nein zu organisierter Sterbehilfe
Der Präsident des EKD-Kirchenamts, Hans Ulrich Anke (Hannover), erklärte auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea zu den Äußerungen: “Über Sterben und Leiden auch persönlich zu sprechen, ist für Anne und Nikolaus Schneider kein Tabu, sondern Teil ihres öffentlichen Glaubenszeugnisses.” Man habe angesichts der aktuellen Lebenssituation des Ehepaares hierfür großen Respekt. Auch in den aktuellen Mediengesprächen unterstreiche der Ratsvorsitzende, dass er organisierte Suizidbeihilfe grundsätzlich ablehne. Unter seinem Vorsitz habe der Rat der EKD bereits Ende 2012 festgehalten: “Aus christlicher Perspektive ist die Selbsttötung eines Menschen grundsätzlich abzulehnen, weil das Leben als Gabe verstanden wird, über die wir nicht eigenmächtig verfügen sollen.” Die generelle Ablehnung schließe, so die Erklärung, nicht aus, “dass Menschen in einer extremen Not- und Ausnahmesituation zu einer anderen Entscheidung kommen können, die ein Außenstehender nicht ermessen kann und die es zu respektieren gilt”. Ein moralisches Urteil darüber stehe niemandem zu.
Evangelikaler Ethiker widerspricht Schneider
Auf Widerspruch stoßen die Äußerungen des Ehepaares Schneider beim Leiter des Instituts für Ethik und Werte, dem evangelikalen Theologen Stephan Holthaus (Gießen): “Bei allem Respekt für Frau Schneider in ihrer höchst bedrängenden Situation, aber aktive Sterbehilfe ist kein Ausweg, auch nicht die âBeihilfe zum Suizidâ in der Schweiz.” Das Leben sei eine gute Gabe Gottes und deshalb nicht vollständig in die eigene Verfügbarkeit gestellt. Aktive Sterbehilfe bringe Ärzte, Apotheker und Angehörige in Konflikte, und sie untergrabe “den ohnehin schon brüchigen Lebensschutz”. Holthaus: “Liebevoller Beistand im Sterben tut not, am besten im Sinne einer ganzheitlichen, palliativ-unterstützten Sterbebegleitung, aber nicht einer fragwürdigen und auch in der Schweiz hoch umstrittenen sogenannten Sterbehilfe.”
Stiftung Patientenschutz: Schneider spielt Sterbehelfern in die Hände
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch (Dortmund), nahm ebenfalls gegenüber idea Stellung: “Die Eheleute Schneider denken über nichts Verbotenes nach. Der Suizid und dessen Begleitung stehen nicht unter Strafe. Sie stehen auch nicht unter kirchlichem Bann – aber im Spannungsfeld von Ethik und Liebe.” Allerdings müsse Schneider wissen, dass in einer Medienwelt seine differenzierte Sichtweise allein auf die Aussage “er würde seine Frau auch in die Schweiz zur Sterbehilfe begleiten” verkürzt werde. In der Öffentlichkeit werde aber kaum noch diskutiert, dass er alles versuchen würde, seine Frau “für einen anderen Weg zu gewinnen”. Der Pragmatiker und Medienprofi Schneider müsse die Folgen von verkürzten Wiedergaben verantworten: “Er spielt den Sterbehelfern in die Hände.” (idea)