In der Debatte um die notwendige Neuregelung der Suizidbeihilfe sind kirchliche Vertreter und christliche Mediziner mit Eckpunkten an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) herangetreten. Die Neuregelung ist erforderlich, weil das Bundesverfassungsgericht im Februar das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe gekippt hat. Spahn bat die beiden großen Kirchen sowie weitere Institutionen, Organisationen und Einzelpersonen daraufhin im April um ihre Vorschläge. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) legte am 12. Juni eine ausführliche Stellungnahme unter dem Titel „Evangelische Perspektiven für ein legislatives Schutzkonzept bei der Regulierung der Suizidassistenz“ vor. Darin wird betont, dass zu einem präventiven Schutzkonzept immer auch die Sorge um ein entsprechendes gesellschaftliches Klima gehöre. „Aus diesem Grund setzen sich die Kirchen entschieden dafür ein, kein gesellschaftliches Klima entstehen zu lassen, in dem der Suizid als eine normale Weise, das Leben zu beenden, empfunden wird.“ Weiterhin werden zwei Punkte angeführt, die bei einer anstehenden Gesetzgebung vermieden werden müssen. So darf es laut EKD „nicht geschehen, dass Menschen sich aufgrund von körperlichen oder psychischen Erkrankungen, Behinderungen oder wegen als verzweifelt empfundener Situationen das Leben nehmen“. Auch dürfe es nicht dazu kommen, dass sich eine Entscheidung für einen Suizid „als Anpassung an eine empfundene oder sozial vermittelte Normalität darstellt“. Ein besonderes Augenmerk sei zudem auf die staatliche Pflicht einer umfassenden Suizidprävention zu richten, zu der neben einem breitgefächerten Beratungsangebot auch der Ausbau an Hospizen und palliativmedizinischer Betreuung gehöre. „Deshalb treten die Kirchen – z. B. durch die Bereitstellung palliativer Versorgung, Seelsorge, Beratung und die Arbeit der Hospize – dafür ein, alles dem Menschen Mögliche zu tun, dass der Grenzfall vermieden werden kann, bei dem aufgrund von Erkrankung oder einer anderen Notsituation vermeintlich kein anderer Ausweg als die Selbsttötung bleibt.“
Ursprünglicher Entwurf soll laut FAZ umstrittene Formulierung enthalten haben
Einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) zufolge war in einem ursprünglichen Entwurf des Schreibens die Formulierung enthalten, es sei ein „Gebot der Humanität, Menschen, die sich zu diesem letzten Schritt entschieden haben, zu einem auf menschenwürdige Weise vollzogenen Suizid zu verhelfen“. Die laut FAZ maßgeblich auf den Münchener Theologieprofessor Reiner Anselm zurückzuführende Passage sei jedoch auf Drängen des EKD-Ratsvorsitzenden, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (München), der SPD-Politikerin Kerstin Griese (Berlin) sowie des ehemaligen Vorsitzenden des Ethikrats, Peter Dabrock (Erlangen), entfernt worden. Auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea äußerte ein EKD-Sprecher dazu: „Der Stellungnahme vorausgegangen war, wie in solchen Fällen üblich, die Zuarbeit einer Arbeitsgruppe. Dass am Ende der über den Inhalt entscheiden muss, der die Stellungnahme abgibt, ist eine Selbstverständlichkeit.“ Auch von katholischer Seite gibt es bereits Wortmeldungen. So lehnt etwa ein Bündnis von 13 katholischen Trägern – unter anderem von Krankenhäusern und Altenheimen – eine Beihilfe zum Suizid in ihren Einrichtungen ab. Vielmehr solle die Suizidprävention und Palliativversorgung ausgebaut werden. Zu den Unterzeichnern des Papiers gehören auch Sozialunternehmen der Caritas sowie die Malteser Deutschland.
Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner fordert Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen
Ebenso wandte sich die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner (ACM), ein überkonfessioneller Zusammenschluss von über 450 Ärzten und Medizinstudenten, in einem Schreiben an Spahn und warnte vor einem unzureichenden Schutz der Schwachen. So gebe es in Deutschland jährlich rund 100.000 Suizidversuche mit etwa 10.000 vollzogenen Selbsttötungen. Davon seien rund 90 Prozent Ausdruck einer psychiatrischen Erkrankung oder akuten Belastung. In einem Eckpunktekatalog fordert die ACM darum eine deutliche Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen. Zugleich tritt sie für klare Regelungen der Suizidbeihilfe zur Sicherstellung einer tatsächlich autonomen Entscheidung ein, die nicht manipuliert werden darf oder aus einer Belastungssituation heraus getroffen wird. Einen konkreten Gesetzesvorschlag für eine gesetzliche Neuregelung zur Suizidbeihilfe legten vier weitere Wissenschaftler aus dem medizinischen Bereich vor. Ihre Fassung sieht vor, dass Sterbehilfevereine keinen assistierten Suizid durchführen dürfen. Stattdessen soll ein Arzt den Suizidwunsch prüfen, über Alternativen informieren und dann auch für die Verschreibung des tödlich wirkenden Mittels verantwortlich sein. Zuvor bedarf es stets der Zweitmeinung eines weiteren Mediziners. Zwischen Gespräch und Rezeptvergabe müssen außerdem mindestens zehn Tage liegen. Anfang Juni hatte der vom früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründete „Verein Sterbehilfe“ (Hamburg/Zürich) auf seiner Internetseite mitgeteilt, erstmals bei einem Bewohner eines deutschen Altenheims Suizidbeihilfe geleistet zu haben.