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Zwei Jahre Corona: Ein Arzt zieht Bilanz

Bilanz nach zwei Jahren mit dem COVID-19-Virus. (Foto: adam niescioruk/ unsplash.com)

Der Ausbruch der Corona-Pandemie vor zwei Jahren hat das Leben der Menschen verändert. Die Evangelische Nachrichtenagentur IDEA hat Prof. Markus Steffens gebeten, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Der evangelische Christ ist Chefarzt der Abteilung Allgemeine Psychiatrie, Psychotherapie, Sozialpsychiatrie und Suchtmedizin an der Klinik Hohe Mark (Oberursel). Prof. Steffens schildert, wie er die Pandemie erlebt und vor welche Herausforderungen die Pandemie Mitarbeiter sowie Patienten in der Klinik stellt.

Wir haben in den vergangenen zwei Jahren im Krankenhaus mehrere Corona-Wellen erlebt. Die Zeit im ersten Lockdown 2020 war geprägt von einer hohen Kollegialität und großer Rücksichtnahme. Die neue Situation hat die Teams noch enger zusammengeschweißt, und die Gesellschaft hat die Leistung der Ärzte und Pfleger wertschätzend begleitet, was sich etwa beim „Klatschen auf dem Balkon“ zeigte. Für unsere Patienten war die Pandemie von Anfang an mit großen Veränderungen verbunden. Besuchsmöglichkeiten waren massiv eingeschränkt und mit hohen Auflagen verbunden. Komplette Besuchsverbote wie es sie viele andere Häuser hatten, gab es allerdings bei uns nie. Komplementäre Angebote fanden nur äußerst reduziert statt oder fielen vollständig weg. Das führte dazu, dass bei manchen z. B. die Depression so stark wurde, dass wir sie stationär aufnehmen mussten. Das wiederum haben manche als hilfreich erlebt, weil sie hier vor Ort auf ihrer Station dann der privaten und professionellen Einsamkeit entkommen konnten, natürlich unter Einhaltung der AHAL-Regeln.

„Long Covid“: Psychische Erkrankungen als Folge der Pandemie

Einige Monate später machte sich auch bei uns im Haus „Long Covid“ bemerkbar. Dieses Phänomen kann auch im Bereich der psychischen Gesundheit auftreten. Das drückt sich dann zum Beispiel in einem „Fatigue-Syndrom“ aus, wenn also Patienten dauerhaft erschöpft, müde und antriebslos sind. Manche entwickelten Schlafstörungen, andere wurden immer einsamer. Bei einigen nahmen Spannungen in den Familien zu, es kam zu verbaler und körperlicher Gewalt. Auch der drohende Jobverlust brachte manche an die Schwelle der Depression oder der Angststörung.

Erschöpfung und Hilflosigkeit nehmen zu

Vor Corona waren Nähe und menschliche Beziehungen auch als Resilienzfaktoren – also als Faktoren, die die Widerstandskraft stärken – für die psychische Gesundheit wichtig. Seit der Pandemie ist Nähe aber häufig mit Gefahr verknüpft. Die Summe dieser lang andauernden Belastungen führte auch bei manchen Teammitgliedern zu Erschöpfung und zu einem Gefühl von Hilflosigkeit. Das Selbstwirksamkeitsgefühl ging etwas verloren. Gleichzeitig erkrankten Kollegen an Corona und fielen aus, oder mussten als enge Kontaktpersonen in Quarantäne, was uns immer wieder bei der Versorgung herausgefordert hat. Dieses kleine Virus hat gezeigt, dass wir – strukturell im Gesundheitswesen, aber auch ganz persönlich – verletzlich sind. Der Lyriker Eugen Roth hat es einmal so ausgedrückt: „Ein Mensch sagt – und ist stolz darauf – Er geh in seinen Pflichten auf.“ Das war auch in den ersten Wellen der Pandemie im Gesundheitswesen so. Bald aber, so heißt es bei Roth weiter, geht er in seinen Pflichten unter. Das beschreibt auch in der Pandemie das Empfinden bei manchen Krankenhausmitarbeitern ganz treffend.

Nächste Welle: Tendenz zur Polarisierung nimmt zu

Im Laufe der vergangenen Monate hat dann die Tendenz zur Polarisierung zugenommen. Das war auch im Gesundheitswesen zu spüren. Die eine Seite hat weiterhin Katastrophenszenarien vor Augen und ist extrem vorsichtig, die andere Seite neigt dazu, Corona-Gefahren zu verdrängen.

Wir schauen jetzt auf den 16. März

Hinzu kommt die ab dem 16. März geltende einrichtungsbezogene Impfpflicht. Bislang hatten wir deswegen noch keine Kündigungen in unserem Haus, aber im Krankenhauswesen haben wir rund fünf Prozent unter den Mitarbeitern, die nicht geimpft sind. Da die pflegerische und ärztliche Personaldecke im Gesundheitswesen teilweise sehr dünn ist, wären auch fünf Prozent weniger Mitarbeiter sehr viel. Aber noch sind da manche Dinge offen: Wir wissen nicht, ob sich manche Kollegen noch für eine Impfung entscheiden, ob sie vorzeitig in den Ruhestand gehen oder sich beruflich umorientieren. Auch die exakten Zeiträume des Vollzugs dieser Impfpflicht sind noch nicht ganz sicher. Aber das beschäftigt dann natürlich ganze Teams, in denen manche Kollegen jetzt schon aufgrund der langdauernden Corona-Belastungen erschöpft sind.

Die Politik ist auf einem guten Weg

Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass die Gesundheitspolitik auf einem sinnvollen und guten Mittelweg ist. Im Schnitt findet eine gute Abwägung statt – zwischen der Vorsicht, die Infektionsketten nicht groß werden zu lassen, und dem Blick auf diese vielen zuvor geschilderten Stressoren, die jenseits der virologischen Seite auf jeden Fall vorhanden sind.

Warum Religiosität eine wichtige Rolle spielt

Wichtig ist bei den Entscheidungen immer zu analysieren: Was hilft dem Einzelnen, was hilft dem System? Aus der Resilienzforschung wissen wir, dass Optimismus und eine positive Lebenseinstellung wichtige individuelle Schutzfaktoren sind. Religiosität kann neben diesen individuellen Resilienzfaktoren auch weitere familiäre und soziale Schutzfaktoren positiv moderieren: Eine gelebte Gottesbindung kann eine frühere unsichere familiäre Bindung ausgleichen, und eine Einbindung in eine religiöse Gemeinschaft kann Halt bieten. Deswegen machen wir in der Klinik auch seelsorgerliche Angebote. Sie sind nicht Teil der Therapie, sondern zusätzliche und freiwillige Möglichkeiten. Wir bieten regelmäßig Gottesdienste an, jeden Morgen und an einigen Abenden laden wir zu einer Andacht ein, jeder kann Einzelseelsorge in Anspruch nehmen. Neben den Hauptamtlichen bringen sich auch viele Ehrenamtliche bei den Angeboten ein.

Der „sinkende Petrus“: Wir können auf Wellen gehen

Mir persönlich ist in den vergangenen Wochen die Geschichte vom sinkenden Petrus (Matthäus 14,22 ff.) wichtig geworden: Petrus stieg aus dem Boot, wollte zu Jesus gehen, erschrak vor dem Sturm und den Wellen, begann zu sinken und wurde dann von Jesus gerettet. Ich würde es jetzt nach längerem Betrachten nicht mehr als eine Geschichte des Sinkens sehen, sondern als ein Beispiel, dass wir auf Wellen gehen können – sowohl auf den Wellen des Sees Genezareth als auch auf den verschiedenen Corona-Wellen.  Gelebter Glaube an und der Blick auf Jesus Christus kann uns helfen, diese Wellen emotional und seelisch stabil zu überstehen. Es ging damals wie heute auch nicht um Leistung: Petrus schaute auf die Wellen und ist dann gesunken. Aber Jesus hat ihm sofort seine Hand entgegengestreckt. Er hat ihn rausgezogen. Ein schönes Bild für eine sichere Bindungsbeziehung: Da ist jemand, der mich trägt und hält. Auch wenn noch weitere (Corona)-Wellen kommen sollten.

Aufgezeichnet und zusammengefasst von Daniela Städter

Über die Klinik Hohe Mark

Die Klinik Hohe Mark verfügt über 259 Betten und 20 Tagesklinikplätze sowie eine Tagesrehaklinik für Suchtmedizin mit 20 Plätzen. Die Klinik gliedert sich in drei Abteilungen. Zu der von Prof. Steffens verantworteten Abteilung gehören neun Stationen mit unterschiedlichen Schwerpunkten (u. a. Mutter-Kind-Behandlung, Stationäre Traumatherapie für Männer, Gerontopsychiatrie, Suchtmedizin) mit gut 150 Betten. Die Klinik Hohe Mark ist eine von sechs DGD-Kliniken.

Führungsgesellschaft ist die DGD-Stiftung mit Sitz in Marburg. Sie gehört zur Diakonie Deutschland und zum Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband. „DGD“ steht für „Deutscher Gemeinschafts-Diakonieverband“. www.dgd-kliniken.de


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