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Werner Leich: Umgeben von der Stasi, gehalten von Gott (Porträt)

("Adventisten heute"-Aktuell, 31.03.2017) "Werner Leich gilt als "Bischof der Friedlichen Revolution". Als Vorsitzender des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR unterzeichnete er Anfang 1990 zusammen mit dem damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Martin Kruse die "Loccumer Erklärung", in der sich EKD und DDR-Kirchenbund für eine Vereinigung aussprachen. Von Matthias Pankau"Vor wenigen Wochen - kurz vor seinem 90. Geburtstag - haben Werner Leich und seine Frau Trautel Eiserne Hochzeit gefeiert. 65 Jahre sind sie miteinander verheiratet. Beide sehen darin ein außergewöhnliches Geschenk Gottes. Zwar nähmen Schwäche und Vergesslichkeit zu, sagt der Altbischof, "aber solange wir als Ehepaar zusammen sind, geht's mir gut." Werner Leich ist im Reinen mit sich und mit der Welt, blickt dankbar auf sein Leben zurück. "Gott hat seine schützenden Hände stets über mich gehalten", sagt er. Mehr als einmal war sein Leben in Gefahr.

Mit 18 Jahren den Tod an der Ostfront erlebt

Im Januar 1945 wurde Leich als 18-Jähriger von der Schule an die Ostfront versetzt. Seinen Eltern schrieb er noch einen Brief, der mit dem Satz endete: "Mein Leben steht in Gottes Hand." Es war wohl die Ahnung dessen, was ihn in den darauffolgenden vier Monaten erwartete. "Es war furchtbar", erinnert sich Leich. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines deutschen Soldaten an der Ostfront lag im Januar 1945 bei vier Wochen, die eines Offiziers bei wenigen Tagen. Um ihn herum starben Kameraden wie die Fliegen. Leich verliert auch einen seiner besten Freunde: "Er lag da, und ich konnte das Einschussloch auf seiner Stirn deutlich sehen." Er selbst blieb verschont: "Wie durch ein Wunder verfehlten mich die Geschosse von Tieffliegern und Maschinengewehren."

Theologie studiert und im Bergwerk gearbeitet

Schließlich kam Leich in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Dort wuchs der Wunsch, Pfarrer zu werden. Er hatte dort einen Gottesdienst erlebt, in dem ihm klarwurde, dass es Gott selbst gewesen war, der ihn bewahrt hatte. Fortan besuchte er regelmäßig die überfüllten Gottesdienste, nahm am Abendmahl teil - "auch wenn es in Ermangelung von Wein mit schwarzem Tee gefeiert wurde". Nach seiner Freilassung studierte er Theologie in Marburg und Heidelberg. Das Geld dafür verdiente er unter Tage. Denn nach der Währungsreform von 1948 waren sämtliche Stipendien erloschen: "Arbeit war schwer zu finden. Also ging ich mehrere Monate in ein Kohlebergwerk in Gelsenkirchen. Dort arbeiteten wir rund 800 Meter in der Tiefe." Was ihn an den Kumpeln am meisten beeindruckt hat: die Kameradschaft. Leich: "Da stand einer für den anderen ein. Für diese Erfahrung bin ich bis heute dankbar."

"Wir brauchen Pastoren, keine Doktoren"

Im westlichen Teil Deutschlands zu bleiben, war für Leich nie ein Thema: "Meine Braut wartete doch im thüringischen Gotha auf mich. Ich wollte so schnell wie möglich zu ihr zurück." 1952 heirateten die beiden, und Leich trat seine erste Pfarrstelle in Angelroda bei Arnstadt an. Parallel arbeitete er an seiner Promotion. Nur zwei Jahre darauf versetzte ihn der damalige Landesbischof Moritz Mitzenheim nach Wurzbach (Kreis Lobenstein), wo Leich mehr Verantwortung hatte. "Er sagte mir: Wir brauchen Pastoren, keine Doktoren", erzählt Leich schmunzelnd.

Drei Regeln für den Umgang mit der Stasi

Bereits in diesen ersten Jahren als Pfarrer erkannte Leich, dass die Staatssicherheit sämtliche kirchlichen Aktivitäten skeptisch beäugte. "Es kam immer mindestens ein Unbekannter in meine Gottesdienste." Sein Verdacht, dass es sich dabei um die Stasi handeln musste, bestätigte sich, als ein Spitzel den Zettel mit seinen Aufzeichnungen versehentlich in der Kirche verlor und Leich ihn fand. Als Leich 1964 Superintendent in Lobenstein wurde, stellte er für seine Pfarrer Regeln auf, wie sie mit der Staatssicherheit umgehen sollten. Diese Regeln schärfte er seinen Mitarbeitern auch als Bischof beständig ein: 1. Keine Gespräche unter vier Augen, es sollte immer eine weitere kirchliche Person dabei sein, um so Transparenz zu ermöglichen. 2. Keine Treffpunkte an "neutralen" Orten, die von der Staatssicherheit präpariert sein könnten, und 3. Keine Schweigegelöbnisse, sondern immer die Mitteilung: "Das melde ich meinem Bischof."

Die Stasi nahm den Tod des Landesbischofs in Kauf

Diese drei Regeln fanden sich später sogar in Leichs Stasi-Akte. Und die ist umfassend. In seiner Zeit als thüringischer Landesbischof ab 1978 waren 17 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) auf ihn angesetzt, die meisten von ihnen aus dem direkten kirchlichen Umfeld. Selbst Leichs Stellvertreter, Oberkirchenrat Martin Kirchner, arbeitete für "Horch und Guck" (er war nach dem Fall der Mauer 1989 bis zu seiner spektakulären Enttarnung im August 1990 Generalsekretär der CDU in der DDR - kurz vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober). Besonders die Kritik des Bischofs am Selbstverständnis der evangelischen Kirche in der DDR als "Kirche im Sozialismus" erregte den Unmut der Staatsmacht. Das ging so weit, dass die Stasi ("Schild und Schwert der Partei", also der SED, in die die PDS bzw. Linke aufgegangen ist) mehrfach versuchte, Leich in einen Verkehrsunfall zu verwickeln. "Kurz nach der Wahl zum Landesbischof stellte ich fest, dass die Radmuttern an meinem Auto gelockert waren", erinnert sich der 90-Jährige. Auch hätten mehrfach Lkws versucht, ihn mit seinem Auto von der Straße zu drängen. Das habe ihn beunruhigt, sagt Leich. Eine Zusammenarbeit mit der Stasi sei für ihn dennoch nie infrage gekommen. Kraft und neuen Mut habe ihm stets das Zwiegespräch mit Gott gegeben: "Ich habe jeden Tag mit Gebet begonnen und beendet. Das tue ich bis heute."

9. 11. 1989: "Wir sind wieder vereint. Das war wunderbar."

Als einen Höhepunkt in seiner Zeit als Landesbischof betrachtet Leich noch heute die Feierlichkeiten zu Martin Luthers (1483-1546) 500. Geburtstag 1983. Der zentrale Festgottesdienst auf der Wartburg wurde damals auch im DDR-Rundfunk übertragen. Leich: "Die Mitarbeiter meinten es sehr gut und haben ganz Eisenach beschallt. Das hat die Genossen natürlich furchtbar geärgert." Ein weiterer unvergesslicher Moment war der Fall der Berliner Mauer und die Monate danach. "Das Glücklichste war das Weihnachtsfest 1989. Ich habe damals in kleinen thüringischen Gemeinden an der Grenze zu Hessen Gottesdienste gehalten, weil die Pfarrer dort überlastet waren. Da kamen uns ganze Kolonnen von Autos entgegen. Die Menschen hupten und freuten sich. Die Thüringer boten Plätzchen und Tee an. Das war so eine echte Volksstimmung: Wir sind wieder vereint. Das war wunderbar."

Warum am 3. Oktober 1990 die Glocken läuten sollten

Und schließlich war da der 3. Oktober 1990, der Tag der deutschen Wiedervereinigung. Leich erlebte ihn bei einem Festakt auf der Wartburg. Vorher hatte er die Pfarrerschaft seiner Kirche darum gebeten, in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober die Kirchenglocken zu läuten. Das Geläut symbolisiere den Übergang in eine andere Epoche der Geschichte und rufe zum Gebet für den künftigen Weg des deutschen Volkes, schrieb er damals in einem Rundbrief. Der Bitte des Bischofs folgte eine breite öffentliche Debatte. Leich hatte die Basis auf seiner Seite, aber nicht die Spitze: Die EKD und der damals noch bestehende DDR-Kirchenbund waren dagegen. Die Glocken, so die Gegner, dürften nicht zu politischen Anlässen, sondern nur zur Ehre Gottes und dem Ruf zum Gebet geläutet werden. (Dabei hatte man in der EKD zuvor mehrfach zu politischen Aktionen läuten lassen.) Leich hielt an seiner Bitte fest: "Wir haben oft Angst gehabt. Aber Gott hat uns aufgerichtet. Wir wollten in einem Unrechtsstaat Reformen durchsetzen. Gott hat uns mehr geschenkt, als wir erwartet haben: Die Friedliche Revolution, die Freiheit und eine offene Zukunft. Wer wollte dafür Gott nicht von Herzen danken!"

DDR-Aufarbeitung: Nur ein Spitzel hat sich entschuldigt

Zur Frage der Aufarbeitung des DDR-Unrechts hat Leich eine klare Meinung: Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch der DDR sollte man die Vergangenheit ruhen lassen. "Es ist eine sehr deutsche Art, nicht aufhören zu können", sagt er. Er habe mit der Vergangenheit abgeschlossen. Man sollte sie nicht vergessen, aber vergeben können. Dass sich bis heute allerdings von den 17 Spitzeln nur ein Einziger entschuldigt hat, schmerze ihn schon, sagt der Altbischof.

Ein Rat an die Jungen: Bleibt im Gespräch mit Gott!

Welchen Rat aus seiner Lebenserfahrung hat Leich für die junge Generation%3F Dass sie im Gespräch und Austausch mit Gott bleibt. Leich: "Ich habe in meinem Leben gelernt, dass das, was ich versuchte, aus eigener Kraft zu schaffen, misslang. Aber was betend begonnen wurde, das gelang. Seither versuche ich, jeden Tag als Gabe Gottes anzunehmen." Und was empfiehlt der Altbischof der evangelischen Kirche%3F Dass sie sich wieder auf "das Eigentliche" ausrichtet, nämlich Wort und Sakrament. Gegenwärtig - das zeige sich auch an den Feierlichkeiten zum 500-jährigen Reformationsjubiläum in diesem Jahr - gebe es innerhalb der Kirche eine Tendenz dazu, alles zu einem öffentlichkeitswirksamen Ereignis zu machen. Leich: "Dass die Kirche aus der Heiligen Schrift lebt und aus dem Gebet, das ist unumgänglich. Sobald das vernachlässigt wird, schwindet auch die Kraft der Kirche."

Werner Leich: Der Bischof der Friedlichen Revolution

Die Friedliche Revolution in der Schlussphase der zusammenbrechenden DDR war die große Stunde der evangelischen Kirche. Ohne die zahllosen Friedensgebete in den überfüllten Kirchen wäre der Sturz der SED-Diktatur zumindest wohl nicht friedlich verlaufen. Der Bischof, der damals dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR vorstand, war Werner Leich - hauptamtlich Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen mit Sitz in Eisenach. Leich zählte zu den profiliertesten evangelischen Kirchenrepräsentanten in der DDR. Von 1980 bis 1983 war er auch Vorsitzender des dortigen kirchlichen Lutherkomitees und von 1983 bis 1986 Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche. Leich war der einzige evangelische Bischof, der am 3. Oktober 1990 zur deutschen Wiedervereinigung die Kirchenglocken läuten ließ. 1993 war Leich vorübergehend als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch. (idea)

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