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Wenn man sich für den Nabel der Welt hält

Ein Narzisst sei in gewissem Sinne jemand, der in einer frühkindlichen primären Narzissmus-Phase steckengeblieben sei: „Ich bin der Nabel der Welt.“ (Foto: Jeremy Beadle/ unsplash.com)

Einen zunehmenden Narzissmus (übersteigerte Selbstliebe) in der Gesellschaft beobachtet die französische Psycho- und Familientherapeutin Marie-France Hirigoyen (Paris). Nach ihrer Ansicht fördert die Devise „Schneller, höher, weiter“ diese Entwicklung. „Wir müssen immer gut aussehen, ästhetisch gut in den Sozialen Medien wirken. Diese narzisstische Welt hat uns verwandelt, wir befinden uns in einem schier endlosen narzisstischen Wachstum“, sagte die Bestsellerautorin in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Laut Hirigoyen besteht die politische Klasse vorwiegend aus Narzissten und Supernarzissten. Sie seien „brillante Verführer und Opportunisten“. Um ihre Ziele zu erreichen, setzten sie schamlos auf die Mittel Lüge und Manipulation. Ihren Wählern erzählten sie, was sie hören wollen: „Donald Trump beispielsweise ist der Idealtypus, geradezu die Karikatur des sogenannten ‚grandiosen Narzissten‘, da er von seiner Überlegenheit restlos überzeugt ist.“

„Perverse Narzissten“: Dazu gehört Wladimir Putin

Daneben gebe es „perverse Narzissten“. Sie eigneten sich ihr Gegenüber an „und saugen es aus wie Vampire, um die eigene Leere zu füllen“. Zu diesem Zweck vernichteten sie den anderen. Der russische Präsident Wladimir Putin sei von „dieser Sorte“. Alle perversen Narzissten gebärdeten sich als Opfer, „sobald sie demaskiert sind“. Das sei ihre Strategie: „Sie ertragen es nicht, fehlerhaft zu sein oder von anderen übertroffen zu werden.“ Ein Narzisst sei in gewissem Sinne jemand, der in einer frühkindlichen primären Narzissmus-Phase steckengeblieben sei: „Ich bin der Nabel der Welt.“

Deutschlands „Glück“: Merkel ist „überhaupt nicht narzisstisch“

Deutschland hat laut Hirigoyen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Hinsicht „Glück“. Sie sei „überhaupt nicht narzisstisch“. Das liege wohl an ihrer Ost-Sozialisierung mit verlässlichen Werten. Der Psychotherapeutin zufolge muss man die Arroganz der pathologischen Narzissten aufdecken, und zwar ohne selbst arrogant zu sein: „Ich denke, wir befinden uns an einem Wendepunkt unserer Gesellschaft. Wir sind abgeschreckt vom exzessiven Narzissmus. Aber Achtung, es ist noch nicht vorbei, noch gibt es genug zu tun!“ Bescheidenheit könne mäßigende Wirkung haben: „Nicht derjenige, der das lauteste Wort führt, hat auch das Wichtigste zu sagen.“ Corona werde die Menschen vielleicht zu mehr Bescheidenheit führen. „Das hoffe ich zumindest“, so Hirigoyen.

„Wir müssen wieder erwachsen werden“

Zur Frage, ob sie eine Rückwärtsentwicklung in Richtung einer infantilen Gesellschaft sieht, sagte die Therapeutin: „Absolut. Wir lassen uns von den Stärkeren ausnutzen. Wir möchten uns ständig in Sicherheit wiegen. Wir wollen keine Risiken eingehen.“ Covid-19 aber zeige dem Menschen, dass er nicht vor allem geschützt werden könne. Man müsse die Risiken des Lebens annehmen, den kritischen Verstand wiederfinden und auch die Konsequenzen der eigenen Aussagen tragen: „Wir müssen wieder erwachsen werden.“ Die 71-jährige Hirigoyen ist Autorin des Buches „Die toxische Macht der Narzissten und wie wir uns dagegen wehren“ (Verlag C.H. Beck/München). Von ihrem Buch „Die Masken der Niedertracht“ wurden in Frankreich über 400.000 Exemplare verkauft.


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