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Vom Wert kleiner Gemeinden

Bühnenblick beim Willow-Creek-Leitungskongress in Karlsruhe. (Foto: Screenshot: willowcreek.de)

In Karlsruhe fand zum 40. Mal ein Willow Creek-Kongress statt. Der Lobpreis war so lautstark wie eh und je. Viele Vorträge waren indes geprägt von leisen Tönen. Von IDEA-Reporter Karsten Huhn

Wer bisher einen Willow Creek-Leitungskongress besuchte, den erwartete lautstarker Lobpreis, Tanzeinlagen und Lichteffekte, dazu Vorträge, die für die Gemeindearbeit Inspiration liefern sollen. Alles das gab es auch diesmal und doch war diesmal etwas anders. Ein ganz neuer, ungewohnter Sound war in der Messehalle in Karlsruhe zu hören. Kein „schneller, höher, weiter“ wurde hier verkündet, keine Appelle zu Wachstum und Multiplikation. Stattdessen war von der Bühne eine neue Bescheidenheit zu vernehmen. Renke Bohlen, Pastor der pfingstkirchlichen „Kirche im Pott“ in Bochum, sagte in seiner Moderation, mancher Besucher denke vielleicht, Willow Creek sei eine Konferenz, „da kommt irgendein Amerikaner und erklärt mir wie man eine Mega-Church baut“. Und dann stellte er Karl Vaters vor, Pastor der Cornerstone Christian Fellowship-Gemeinde in Kalifornien, der über den „Wert kleiner Gemeinden“ sprach.

Vaters hat noch nie eine Mega-Kirche geleitet und wollte auch keine Tipps geben, wie aus einer kleinen Gemeinde eine große wird. Stattdessen wies er darauf hin, dass weltweit über 90% der Gemeinden weniger als 200 Gottesdienstbesucher haben und dass über die Hälfte aller Christen in eine solche kleine Gemeinde gingen. Er bat alle Konferenzbesucher aufzustehen, in deren Gemeinden weniger als 200 Besucher zum Gottesdienst kommen. Fast der ganze Saal stand auf, nur wenige blieben sitzen. „Größe ist eine Art Götze geworden“, sagt Vaters. Viele Gemeindeprogramme seien „besessen von Größe“ und wer nicht wachse, der habe ein Problem. Dabei seien kleine Gemeinden kein Problem, sondern ein wichtiger Bestandteil von Gottes Strategie. 17 Referenten gab es bei diesem Kongress. Sie sprachen über die Bedeutung von Jüngerschaft, über Vergebung und die Heilung innerer Verletzungen. Sie alle wären es wert, hier ausführlicher vorgestellt zu werden, aber es war der Vortrag von Karl Vaters, der wohl am stärksten den Nerv des Publikums traf.

Drei Gründe für kleine Gemeinden

Vaters zufolge löst Größe keine Probleme. Eine Gemeinde, die mehr Leute habe, habe nicht weniger Probleme, denn mit der Zahl der Gemeindeglieder wachse auch die Zahl der Probleme. Vaters: „Größer ist nicht besser und nicht schlechter: Es ist einfach größer.“ Dann stimmte er ein Loblied auf die gesunde, kleine Gemeinde an: „Egal, wie groß deine Gemeinde ist: Deine Gemeinde ist groß genug, um das zu tun, was Jesus von dir will.“

Häufig würden drei Gründe für den Besuch einer großen Gemeinde genannt: die hervorragende Predigt, hervorragende Programme und hervorragende Musik. Aber auch für kleine Gemeinden gebe es gute Gründe: die persönliche Beziehung zum Hauptpastor, die Möglichkeit, mit seinen Fähigkeiten etwas zu bewirken und dass sich kleine Gemeinden vertrauter anfühlten. Zudem könne der Pastor einer kleinen Gemeinde jede Person, die neu in die Gemeinde kommt, persönlich kennenlernen. Deshalb komme es in kleinen Gemeinden besonders darauf an, dass sich der Pastor die Namen neuer Besucher merkt und sich bei der nächsten Begegnung an das Gespräch erinnert. „Oft ist es wichtiger, was man im Eingangsbereich tut als das, was auf der Bühne geschieht.“ Es lohne sich, gut darin zu werden, eine kleine Gemeinde zu leiten, so Vaters. Denn kleine Gemeinden könnten ebenso zu Gottes Ehre dienen wie große Gemeinden, humorvoll gesprochen: „Eine kleine Gemeinde zu leiten, ist keine Strafe dafür etwas falsch gemacht zu haben.“

Unbequeme Fakten als Freunde

Mit dem Vortrag von Karl Vaters war ein Ton gesetzt, der sich durch weitere Vorträge zog. Der Theologieprofessor an der Freien Theologischen Hochschule Gießen (FTH), Philipp Bartholomä, warf einen „ernüchternden Blick auf die missionarische Realität“ in der freikirchlichen Landschaft. Er stellte „unbequeme Fakten“ vor, die aber „Freunde“ und „Impulsgeber“ werden könnten:

  • Nicht nur die beiden Volkskirchen verlieren in Deutschland Mitglieder. Auch die meisten Freikirchen stagnieren oder schrumpfen.
  • Die Mehrzahl der Entscheidungen für den christlichen Glauben gehen auf wenige Gemeinden zurück. Als Faustformel gelte: 20% der Gemeinde sorgen für 80% der Bekehrungen.
  • Nur 8% dieser Entscheidungen wurden von Menschen getroffen, die zuvor unkirchlich waren. Der Großteil hatte zuvor schon Kontakt zu einer Landes- oder Freikirche.
  • Gemeinden dürfen sich ihr Wachstum nicht schönreden, wenn es in Wirklichkeit „ein Transfer der Heiligen von einer Gemeinde in die andere“ ist.

Bartholomä schloss seinen Vortrag mit dem Wunsch nach einem „hoffnungsvollen Realismus“ und einer Theologie, die auch dann nicht aufgibt, wenn die Erfolge ausbleiben.

Der atheistischste Landstrich der Welt

Aus der landeskirchlichen Perspektive berichtete Justus Geilhufe. Er ist Pfarrer im sächsischen Großschirma (bei Freiberg). Die Region mit etwa 10% Kirchenmitgliedern bezeichnete er als „den atheistischsten Landstrich der Welt“. Die Menschen, mit denen er es zu tun habe, seien „die Enkel von Menschen, die schon in den 1950er-Jahren aus der Kirche ausgetreten sind“. Atheismus und Christentum seien häufig zwei Welten, die nichts miteinander zu tun hätten. Die größte Hürde in seiner Arbeit sei es häufig, in der eigenen Gemeinde die Vorstellungskraft dafür zu wecken, dass sich auch jemand taufen lässt, der bisher nicht zur Kirche gehört. Mit Glaubenskursen und Kinder- und Jugendarbeit versuche er, im 6000-Einwohner zählenden Großschirma Interesse für den christlichen Glauben zu wecken.

In den Beiträgen von Bartholomä und Geilhufe zeigte sich, was das große Zukunftsthema für künftige Leitungskongresse werden dürfte: die Auseinandersetzung mit einem bestenfalls gleichgültigen, vielleicht ablehnenden oder schlimmstenfalls sogar feindlichen Umfeld, das vom christlichen Glauben noch nie gehört hat oder ihn entschieden ablehnt.

„Unser Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“

„Hoffnung“ war das Thema des diesjährigen Kongresses. Hoffnung braucht auch die Willow Creek-Bewegung selbst, denn sie hat schwere Jahre hinter sich. 2018 überschattete der Rücktritt von Willow Creek-Gründer Bill Hybels wegen sexuellen Fehlverhaltens die Bewegung. 2020 musste der Willow Creek-Kongress in Karlsruhe wegen der Corona-Pandemie abgebrochen werden. Zum Kongress 2022 in Leipzig kamen nur 3.700 Besucher; die fehlenden Einnahmen wurden durch Spenden in Höhe von 600.000 Euro gedeckt. Diesmal kamen wieder deutlich mehr Teilnehmer nach Karlsruhe – in Karlsruhe gab es 5.720 Teilnehmer; weitere 1.250 hörten an zehn Übertragungsorten zu. Doch um die Willow Creek-Bewegung nachhaltig zu finanzieren, brauche der Kongress etwa 10.000 Teilnehmer, so der erste Vorsitzende von Willow Creek, Pastor Ulrich Eggers, gegenüber IDEA.

Um das Defizit zu decken, bat Eggers auch diesmal die Teilnehmer um eine Spende. Er sprach von einem „extrem gestiegenen Risiko“; die Kongresskosten seien gegenüber 2020 um 40% gewachsen. Bei seinem Aufruf verglich Eggers den Kongress mit „einem Mercedes, der der Unterbau eines Fahrrades hat.“ Jeder sehe den Mercedes, aber die PS fehlten. Deutlich äußerte sich auch der zweite Vorsitzende von Willow Creek, Pastor Stefan Pahl: „Unser Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr.“ Pahl verglich die Situation von Willow Creek mit einer Gipfeltour: „Wir als Willow stehen vor Bergen, von denen wir nicht wissen, wie wir hochkommen.“ Wie schon vor zwei Jahren besteht auch diesmal Hoffnung für eine erfolgreiche Bergbesteigung.


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