("Adventisten heute"-Aktuell, 6.1.2012) Soll Bundespräsident Christian Wulff im Amt bleiben oder zurücktreten? Diese Frage beherrscht zurzeit die öffentliche Diskussion in Deutschland. Der Druck auf Wulff - er ist bekennender Katholik - wächst angesichts immer neuer Vorwürfe um die Finanzierung seines Privathauses und Versuche, kritische Berichte über die Kreditaffäre in den Medien zu unterdrücken. Wie denkt Robert Spaemann (Stuttgart), einer der renommiertesten Philosophen Deutschlands, über die Frage? Auskunft gibt der 84-jährige Professor in einem Interview mit der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar).
Auch ein guter Christ kann ein sehr schlechter Politiker sein
Nach seinen Worten entsteht in jedem Fall ein Schaden für das Amt des Bundespräsidenten unabhängig davon, ob Wulff bleibt oder geht. Spaemann zufolge bringen Christen gute Voraussetzungen für das Amt eines Politikers mit. Allerdings könne auch ein guter Christ ein sehr schlechter Politiker sein - wenn er das Handwerk der Politik nicht beherrsche. Von christlichen Führungskräften müsse man verlangen, was man auch von jeder anderen Leitungspersönlichkeit erwarte: Kompetenz. Zudem komme repräsentativen Ämtern wie dem eines Bundespräsidenten eine Vorbildfunktion zu.
Kein Privatleben
Auch private Angelegenheiten hätten fast immer eine öffentliche Seite. Spaemann: "In gewisser Hinsicht hat ein Präsident gar kein Privatleben." So müsse besonders von Amtsinhabern ein striktes Einhalten der Gesetze verlangt werden. Im Falle von Wulff müsse geprüft werden, ob er gegen das Ministergesetz in Niedersachsen verstoßen hat. Dieses verbietet Ministern die Annahme von Vorteilen im Amt, etwa in Form zinsgünstiger Darlehen. Spaemann zufolge ist es zudem ein "grober Verstoß, der geahndet werden muss", wenn Wulff Druck auf Pressevertreter ausgeübt und gedroht haben sollte.
Bibel erlaubt Kritik am Staatsoberhaupt
Der Katholik Spaemann verteidigt das Recht auf Kritik am Staatsoberhaupt auch anhand der Bibel. Zwar müssten Christen gemäß Römerbrief 13,1-2 ihrer Obrigkeit gehorchen, man dürfe diese jedoch auch für Fehlverhalten kritisieren. So habe Johannes der Täufer den Ehebruch von König Herodes kritisiert (Markus-Evangelium 6,18) und der Prophet Nathan habe König David ins Gewissen geredet (2. Samuel 12). Zugleich übte Spaemann Kritik an der Berichterstattung im Fall Wulff. Die Medien hätten eine ungeheure Macht und inszenierten manchmal Kampagnen, die der Demokratie abträglich seien. Manche Medien seien nicht primär an Wahrheit und Information der Öffentlichkeit interessiert, sondern am Umsatz. Zur Frage, ob ein Volk die Politiker habe, die es verdient, sagte Spaemann: "Wahrscheinlich ist es so. Der Bundespräsident ist im Volk sehr beliebt." (idea - Stand: 3.1.2012)