("Adventisten heute"-Aktuell, 9.12.2011) Scharfe Kritik hat eine "Spiegel"-Publikation über Jesus bei einem führenden evangelikalen Theologen ausgelöst. Das Hamburger Nachrichtenmagazin hat vor Weihnachten in seiner Reihe "Geschichte" ein Sonderheft unter dem Titel "Jesus von Nazareth und die Entstehung einer Weltreligion" herausgebracht.
Auf die liberale historisch-kritische Forschung eingeschränkt
Wie der Vorsitzende des Arbeitskreises für evangelikale Theologie (AfeT), Rolf Hille (Heilbronn), der Evangelischen Nachrichtenagentur idea auf Anfrage sagte, sei es typisch, "dass die gesamte theologische Forschung der letzten 250 Jahre mit konsequenter Ausschließlichkeit auf die liberale historisch-kritische Forschung eingeschränkt wird". Die Beiträge seien allein durch Urteile über angebliche Mythen und Legenden bestimmt. Hille: "Gott als redende und handelnde Person wird dabei völlig ausgeschlossen. Alles wird säkular vom Menschen und seinen Möglichkeiten her bedacht." Doch gebe es auch "eine objektive Offenbarung Gottes in der Geschichte". Dies liege aber nicht im Horizont der Spiegel-Autoren. Aus dieser Perspektive sei auch die Behauptung zu verstehen, dass Jesus sich nie als Sohn Gottes verstanden habe. Entsprechendes gelte für die Deutung der Auferstehung sowie des Kreuzes als erlösendem Sühnetod. Diese werden in dem Spiegel-Heft nur als nachträgliche Interpretationen des Geschicks und Scheiterns von Jesus aus Nazareth dargestellt.
Spiegel-Redakteur: Jesus hatte die "Kraft der Anmaßung"
Spiegel-Redakteur Christian Schüle vertritt die Ansicht, dass man der "realen Person hinter dem theologisch-literarischen Jesus" nie näher gekommen sei als durch sozialwissenschaftliche Rekonstruktion. Jesus habe sich von anderen damaligen Predigern, die zuhauf durch Palästina gezogen seien, durch "die Kraft der Anmaßung" unterschieden. Mit "scheinbar unbeirrter Selbstsicherheit und unbeirrbarem Sendungsbewusstsein" habe er beansprucht, die Vollmacht Gottes zu besitzen. Schüle: "So viel Hybris irritierte und verstörte - hier sprach ja doch ein Mensch!" Da für Juden der Tod des verheißenen Messias nicht einsichtig gewesen sei, sei Jesus gescheitert. Erst im Nachhinein sei die christliche Sicht etabliert worden: "Wenig später hieß es auf einmal, Jesus, der Christus, sei für die Sünden der Menschen gestorben."
Theologieprofessor: Jesus war jüdischer Prophet
Der evangelische Theologe und Kirchenhistoriker Prof. Christoph Markschies (Berlin) vertritt in dem Heft die Auffassung, Jesus sei ein "antiker jüdischer Prophet" gewesen, "der mit Wort und Tat versuchte, Gesellschaft heil zu machen, und damit bis heute Gesellschaften gestaltet und Menschen hilft". Jesus habe tatsächlich Kranke heilen können. Auf die Frage, ob dies nicht konstruiert sei, antwortet Markschies: "Nein, dafür gibt es viel zu viele Überlieferungen davon. Ich glaube, man muss anerkennen, dass er bei bestimmten Krankheitsbildern eine signifikante Besserung erzielen konnte."
Hille: Jesus-Sicht wie im Islam
Nach Hilles Worten entspricht die Aussage des Theologieprofessors, dass Jesus nur ein Prophet gewesen sei, im Grunde der islamischen Auffassung. Hille: "Der Islam behauptet nämlich, erst die späteren Christen hätten die Botschaft des historischen Jesus verfälscht und aus ihm einen Gottessohn gemacht, obwohl er doch selbst nur ein Prophet sein wollte." Laut Hille sind die beiden Jesus-Bücher von Papst Benedikt XVI. ein "hilfreicher Gegenentwurf" zur rein säkularen Sicht im Spiegel-Heft. Auch in der seriösen evangelischen Forschung fänden sich gute Argumente für eine andere Sichtweise. Beispielhaft seien die historischen Forschungen der Professoren Martin Hengel (1926-2009), Roland Deines (Nottingham/England) und Rainer Riesner (Dortmund). Hille ist auch ehrenamtlicher Direktor für ökumenische Angelegenheiten der Weltweiten Evangelischen Allianz und stand von 1996 bis 2008 ihrer Theologischen Kommission vor. (idea)