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PRO & KONTRA: Musik von Missbrauchstätern spielen oder nicht?

In Kirchen werden auch Lieder von Musikern gesungen, die unter Missbrauchsverdacht stehen. In einem Interview auf katholisch.de wurde z. B. der Fall des 2019 verstorbenen früheren Präsidenten vom Kindermissionswerk „Die Sternsinger“, Winfried Pilz, diskutiert. Ihm werden Missbrauch sowie sexualbezogene Grenzverletzungen vorgeworfen. Pilz war u. a. Autor des Liedes „Laudato Si“. Sollten Lieder von Komponisten unter Missbrauchsverdacht nicht im Gottesdienst gespielt werden?

PRO

Dann darf man ja bald gar nichts mehr singen!“ – Eine verständliche Reaktion, wenn einem Vertrautes genommen wird. Das Nicht-Singen von Liedern von Täterinnen und Tätern bedeutet jedoch keine Cancel Culture, sondern Sensibilisierung. Liturgie ist Erinnerung und Vergegenwärtigung der Heilstaten Gottes in jeder und jedem Einzelnen. Kann das Gelingen, wenn das Lied eines Täters oder einer Täterin unheilvolle Erinnerung hervorruft? Wir reden nicht (nur) von jahrhundertealten Fällen, sondern von der Gegenwart. Beschuldigte oder gerichtlich verurteilte Personen, die Lieder geschaffen haben, sind gegenwärtig oder erst jüngst verstorben. Künstlerinnen und Künstler und Kunstwerk voneinander zu trennen funktioniert hier nicht. Wie soll eine Betroffene und ein Betroffener das Lob Gottes mit der Stimme einer Täterin, eines Täters anstimmen? Möchte ich in dieses Lob mit einstimmen, in einer solchen Kirche leben?

Für gegenwärtige Fälle von fraglichen Liedern wäre ein Moratorium eine erste Lösung: die Lieder mehrere Jahre nicht singen und dann neu bewerten. Solange der Elefant noch im Raum steht, sollte die (Kirchen)Musik die Stimme für die Betroffenen erheben. Statt canceln oder unbewusst weitersingen Vertrauen aufbauen.

Die Gründe, warum ein Lied für Personen nicht singbar ist, hören und nicht bagatellisieren. Die Musizierenden verstehen in ihrem Verlust an Repertoire. Jede und jeder mit musikalischer oder liturgischer Entscheidungsmacht sollte sich der Verantwortung bewusstwerden. Der bedachte Einsatz von Liedgut kann ein Impuls dazu sein, die geistliche Qualität von Liturgie zu heben, sie sensibler, transparenter zu machen. Der Auftrag „Sucht neue Worte“ lässt Zukunftsmusik anklingen, die abfärben kann auf die Suche nach neuer Gebetssprache und Glaubenskommunikation.

Autorin, Stefanie Lübbers, ist Theologin, Bildungsreferentin im katholischen Haus Ohrbeck (Georgsmarienhütte) sowie Geistliche Begleiterin des Verbandes für Christliche Popularmusik in den Diözesen Deutschlands

KONTRA

Vorab sei bemerkt: Ein Lied, das Gott ehrt und Menschen aufbaut, kann überall bedenkenlos gesungen werden. Aber jedes gute Lied kann auch missbraucht werden, wenn es etwa in einem diskriminierenden Kontext verwendet wird. Dass Täterinnen und Täter mit Betroffenen „vorher oder nachher“ gesungen oder gebetet haben, ist grauenhaft. Für diese Menschen sind bestimmte Lieder deshalb nicht mehr singbar. Um ihre dunklen Erfahrungen bearbeiten zu können, sind wir als Kirche in der Pflicht, Räume für einfühlsame Gespräche zu öffnen. Doch kann nun ein Lied, das ein Täter komponiert oder gedichtet hat, noch gesungen werden? Ist eine Trennung von Werk und Autor, die mir theologisch wichtig ist, möglich und angezeigt?

Ich meine, wir müssen aber nicht nur zwischen Person und Werk, sondern auch zwischen Werk und Werk unterscheiden, nämlich dem guten Werk einer evangeliumsgemäßen Liedkomposition und einer Tat, die im Licht Gottes und vor der Welt Sünde ist. Kann also ein Lied wie „Laudato si“, das auf den Sonnengesang des Franz von Assisi zurückgeht und wohl von einem „Täter“ stammt, prinzipiell weniger gesungen werden als ein Lied Luthers, der ja an seinem Lebensende hochproblematische Positionen gegenüber dem Judentum vertreten hat?

Ich meine: nein. Die Tatsache, dass ein Lied in einem menschenverachtenden Kontext gesungen worden ist oder von einem „Täter“ stammt, hebt seine Qualität nicht prinzipiell auf. Ich kann mir vorstellen, dass ein solches Lied weiter gesungen wird, wenn darüber in der Gemeinde gesprochen und ein Konsens erzielt wurde. Eine solch sensible Herangehensweise sind wir den Betroffenen und unserer eigenen christlichen Überzeugung schuldig. Eine Alternative ist, dass wir Lieder solcher Komponisten bis auf weiteres nicht mehr singen. Der Verlust wäre überschaubar.

Autor, Jochen Arnold ist Direktor des Michaelisklosters in Hildesheim. Der habilitierte Theologe und Kirchenmusiker wird ab September Theologischer Dezernent bei der Evangelischen Kirche von Westfalen


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