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Pfarrer in der Pandemie

„Mein Job als Pastorin hat sich stark verändert, ist medialer geworden und musste kreativer werden. Ich habe sehr viel Kraft gelassen, aber auch erlebt, dass Jesus neue Kraft gibt und ich ein richtig gutes Team in der Kirche habe.“ (Foto: Aka/ pixelio.de)

Auch an Pfarrern ist das Pandemiejahr nicht spurlos vorbeigegangen. Vieles hat sich in ihrer Tätigkeit wandeln müssen. Ein anfängliches Abenteuer-Gefühl ist der neuen Realität gewichen. Eine Arbeit zwischen Enthusiasmus und Erschöpfung. IDEA bat vier Geistliche um einen Einblick.

Das „James-Bond-Gefühl“ ist verflogen

Am Anfang der Pandemie fühlte ich mich ein bisschen wie James Bond: Meine Sonderlizenz war der Passierschein, mit dem ich sonntags zur Gottesdienstaufzeichnung fahren durfte, während alle anderen zu Hause bleiben mussten. Politisch schlug die Stunde der Exekutive, in der Gemeinde die Stunde der Pastoren. Die meisten Gruppen und Kreise konnten sich nicht mehr treffen, umso wichtiger wurden unsere Angebote. Meine Motivation war schier grenzenlos: Ich initiierte verschiedene Gebetszeiten über Skype, startete mit meinem Kollegen einen wöchentlichen Podcast, telefonierte durch die Gemeindeliste, leitete Bibelgespräche über Zoom und fühlte mich gebraucht wie selten zuvor.

Schwer zu ertragen

Ein Jahr später ist das James-Bond-Gefühl weitgehend verflogen. Stattdessen ist da vieles, was mir als Pastor Kummer macht: Einige Mitglieder habe ich seit über einem Jahr nicht mehr gesehen, weil sie sich aus dem Gemeindeleben zurückgezogen haben. Den Gemeindegesang, der jetzt besonders Hoffnung geben könnte, vermisse ich schmerzlich. In unsere Gottesdienste dürfen nur noch 80 Personen statt vorher über 300 kommen. Regelmäßig müssen wir Leute auf den nächsten Sonntag vertrösten, weil wir keinen Platz für sie haben. Hebräer 10,25 fordert Christen dazu auf, die Versammlungen nicht zu verlassen – und ich muss Christen dazu auffordern, nicht in den Gottesdienst zu kommen. Ich finde das nur schwer zu ertragen. Regelmäßig bete ich, dass Gott bald ein Ende mit dieser Corona-Zeit macht.

Glaube an Jesus Christus hat an Tiefe gewonnen

Und doch erkenne ich auch viel Gutes. Für mich besonders schön: Ich habe einige Gemeindemitglieder in diesem Jahr besser kennengelernt. Dachte ich bisher sehr programmorientiert, sind Hausbesuche und Telefonate jetzt deutlich wichtiger für mich. Ich freue mich, auf diese Weise für die Gemeinde da sein zu können, und ich bin ermutigt, wie viele Männer und Frauen mir da erzählen: „Bei allem Schweren, was Corona mit sich bringt, hat mein Glaube an Jesus Christus im letzten Jahr an Tiefe gewonnen.“ Meine Lehrverantwortung als Pastor ist mir noch bewusster geworden. Immer wieder höre ich von Christen, Theologie sei letztlich gar nicht so wichtig. In der Krise erlebe ich das Gegenteil: Diejenigen, die Gottes Wort gut kennen, kommen nach meiner Erfahrung am besten durch diese Zeit. Sie wissen, dass Gott souverän ist und deshalb auch der Herr über diese Pandemie – und dass seinen Kindern alle Dinge zum Besten dienen. Ihr Zeugnis motiviert mich noch mehr, die Bibel erwartungsvoll zu lesen und zu lehren.

Matthias Mockler ist Pastor der Freien Evangelischen Gemeinde München Mitte.

Eine göttliche Prüfung

Der Terminkalender ist zwar leer, aber der Kopf ist voll.“ Dieser Satz eines Kollegen spiegelt mein Empfinden beim ersten Lockdown im vergangenen Jahr wider. Der Schock des Unvorstellbaren sitzt mir noch immer in den Knochen. Die Quellen geistlichen Lebens, Gottesdienste und Gemeindeveranstaltungen, wurden durch staatliche Bestimmungen unterbunden. Termine wurden gestrichen. Doch statt erholsamer Ruhe war der Kopf voll beschäftigt mit der Frage: „Wie kann trotz Corona das Evangelium verkündigt und Gemeinde gelebt werden?“ Im Rückblick auf das Corona-Jahr bin ich dankbar für viel Ermutigendes, das Gott ermöglicht hat. Vom ersten „Verbotssonntag“ an konnten unsere Gottesdienste über Video und Telefon in die Häuser gesendet werden. Ein anonymer Spender hat uns mit 10.000 Euro eine Kameraanlage für die Kirche finanziert. Mittlerweile existiert eine Internetgemeinde mit erstaunlichen Besucherzahlen. Ein 80-Jähriger sagte mir kürzlich beim Geburtstagsbesuch an der Haustür: „Wir waren früher nie in der Kirche, aber nun sitzen wir jeden Sonntagmorgen vor dem Fernseher und feiern mit. Das Thema Glaube war bei uns noch nie so präsent wie jetzt!“ Sonntags stelle ich mich mit dem Akkordeon vor das Altersheim und halte eine Andacht. Mit dabei sind Angehörige, Nachbarn, zufällige Zaungäste. Wir erleben uns wie eine neu entstandene „Quartiersgemeinde“. Ist das nicht Mission in der Sprache der Volkskirche? Meine digitale Lernkurve ist gewaltig. Videokonferenzen, die ich vor einem Jahr noch nicht kannte, sind mir nun zur Selbstverständlichkeit geworden, auch im Schul- und Konfirmandenunterricht.

Kirchenaustrittszahl hat sich halbiert

Und Seelsorge? Vieles geht auf Abstand und über den Gartenzaun hinweg. Großzügige Spenden finden auch ohne Opferkästen ihren Weg zur Gemeinde. Unsere Kirchenaustrittszahl hat sich gegenüber dem Vorjahr halbiert. Der Terminkalender ist wieder voll, und wir haben zu einer neuen Normalität gefunden. Aber ist deswegen auch schon alles gut? In meinem Kopf sind momentan nicht nur kreative Gedanken, sondern auch manche Sorgen. Wie werden wir aus der Krise hervorgehen? Corona ist für mich keine Strafe Gottes, aber eine göttliche Prüfung. Im Begriff der Prüfung steckt das Wort vom Ruf drin. Wird unser Volk den Ruf Gottes hören? Werden wir erkennen, dass es nicht darauf ankommt, dass der Kopf voller Gedanken, der Kalender voller Termine und das Konto voller Aktiengewinne ist, sondern dass das Herz voller Vertrauen auf Jesus Christus ist?

Rainer Köpf ist Pfarrer in Weinstadt-Beutelsbach und Mitglied der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Was geht weiter, was geht unter?

Man könnte ja meinen, dass sich für uns Pastoren durch Corona nicht viel geändert hat: Homeoffice – ein alter Hut. Jede zweite Reihe in der Kirche leer – sind wir gewohnt. Kontakthalten zu Gemeindegliedern – schon vorher schwierig. Aber das wäre doch mehr witzig als richtig.

Am Anfang lag neben Ungewissheit auch ein Hauch von Abenteuer in der Luft: Gottesdienste zu Ostern verboten? Wir haben das Beste daraus gemacht. Kreidemalaktionen auf der Straße, Andachten zum Mitnehmen, Sonder-Gemeindebriefe: Solche Kreativ- und Mitmachaktionen fanden Anklang – und werden hoffentlich auch in Zukunft das Gemeindeleben bereichern. Auch ein Einkaufsdienst der Gemeinde kam gut an – obwohl er dann gar nicht viel gebraucht wurde.

Nähe und Begegnungen sind nicht zu ersetzen

Die Kreativ-Lust kann zum Frust werden, wenn man sich zu viel Druck macht. Dankbar bin ich für Theologen-Netzwerke wie „Church Convention“, wo ein reger Ideen- und Materialaustausch stattfindet, auch die Zusammenarbeit im Kirchenkreis ist gut. Der Picasso-Satz „Gute Künstler kopieren, große Künstler stehlen“ findet hier einen neuen Sitz im Leben. Immer mit Copyright, klar. Geht auch nicht anders, mit halber Stelle. Digitales wurde wichtig: YouTube-Gottesdienste für Groß und Klein, ein Predigt-Podcast, Facebook-Gebete: Hier liegen auch künftig Chancen, wenngleich Nähe und Begegnungen nicht zu ersetzen sind. Eine neu entstehende Jugendarbeit liegt erst mal, von zwei Treffen im Sommer abgesehen, auf Eis.

Konfirmation mit Abstand und Masken: Das ging erstaunlich gut. Seelsorge in Häusern und Heimen ist schwierig. Was besonders fehlt, ist der Gesang in Gottesdiensten. Wir behelfen uns mit Vortragsliedern und Konserven-Klängen. Der Besuchsdienst zu Geburtstagen beschränkt sich auf Haustür-Begegnungen, der Seniorenkreis hat sich seit einem Jahr nicht getroffen. Ich griff in dieser Zeit öfter zum Telefonhörer und rief die Senioren reihum an. Auch Facebook und WhatsApp waren wichtig, um mit Einzelnen Kontakt zu halten und kleine Impulse per Video zu verschicken.

Aufbruch mit neuer Lust

Was nervt, ist die mangelnde Planbarkeit. Der Blick auf die Inzidenzzahlen entscheidet über Konfirmationstermine und Gottesdienste. Mit steigender Impfquote und nahendem Sommer stellt sich auch die Frage: Was von der bisherigen Gemeindearbeit geht weiter, was geht unter? Ich bin optimistisch, denn das Bedürfnis nach Gemeinschaft und gelebtem Glauben, nach Gesang und Geselligkeit wird nicht aufhören. Meine Hoffnung ist, dass die Gemeinde „nach Corona“ mit neuer Lust aufbricht – und die neu entdeckten Kreativ- und Digital-Elemente als Ergänzung und Bereicherung bestehen bleiben.

Simon Laufer ist Pastor der 1.300-Seelen-Gemeinde Iselersheim bei Bremervörde.

Ich habe viel Kraft gelassen

Als sich vor einem Jahr die Gesellschaftsmöglichkeiten verändert haben, wurde schnell klar, dass sich auch unsere Möglichkeiten als Kirche ändern werden. Uns wurde zunächst vieles genommen, was uns ausgezeichnet hat: Live-Gottesdienste, Kaffee im Anschluss, Zusammenstehen und auch persönliches Gebet waren schlagartig nicht mehr möglich. Zu Beginn der Pandemie hatte es für mich noch etwas Abenteuerliches, denn als Pastorin musste ich kreativ werden und neue Wege suchen. Unsere neuen Online-Gottesdienste konnten statt 250 Besuchern sogar bis zu 1.000 Zuschauer erreichen.

Doch je länger die Pandemie anhielt, desto näher kam ich dem Ende meiner Motivationskraft. Denn ich hatte nicht nur eine Kirche in der Pandemie, sondern auch eine Familie mit drei kleinen Kindern. Anstatt in Ruhe meiner gewohnten Arbeit nachzugehen, musste ich plötzlich unter viel Lautstärke neue Wege suchen und von zu Hause aus arbeiten.

Beistand für die Seele

Als Pastorin ist es nicht mein Job, Menschen durch diese Krise durchzumotivieren, ich muss sie durch diese Krise leiten. Ich muss also eine Gegenkultur setzen. Ältere Menschen unserer Kirche konnten keine Gottesdienste besuchen, hatten aber auch nur begrenzte Internetmöglichkeiten, so versorgten wir sie durch ein Team mit Predigt-CDs. Für persönliches Gebet haben wir einen Telefondienst  eingerichtet und Kleingruppen gestärkt. Als Gottesdienste wieder live stattfinden konnten, haben wir ein Hygienekonzept entwickelt und feiern sonntags nun drei statt zwei Gottesdienste. Durch diese Gegenkultur ist unsere Kirche in der Zeit der Pandemie gewachsen, doch auch das stellt uns vor neue Herausforderungen. Damit sich ein Besucher in einer Kirche wohlfühlt, muss er zwei Dinge wissen: „Ich bin gekannt“ und „Ich bin gebraucht“. Derzeit kann ich diesen beiden Fragen nur bedingt begegnen. Deshalb arbeiten wir an einem Konzept, um im nächsten Jahr eine weitere Anstellung für diesen Bereich zu schaffen.

Mein Job als Pastorin hat sich stark verändert, ist medialer geworden und musste kreativer werden. Ich habe sehr viel Kraft gelassen, aber auch erlebt, dass Jesus neue Kraft gibt und ich ein richtig gutes Team in der Kirche habe. Ich wünsche mir sehr, dass Gesundheit in unserem Land wieder ganzheitlicher gesehen wird, denn jeder Mensch hat eine Seele, und sie braucht gerade in der Krise Beistand.

Anjana Beyer ist Pastorin in der Freien Christengemeinde Steffenberg (bei Marburg).


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