Neurologen uneins: Wann ist ein Mensch tot?
Dem Neurologen Prof. Alan Shewmon (Los Angeles/USA) zufolge verfügen Hirntote noch über komplexe Steuerungsfunktionen. Es gebe den "äußeren Anschein der Lebendigkeit". So sei der Körper von Hirntoten in der Lage, Temperatur, Blutfluss und Hormonhaushalt selbstständig zu regulieren. Hirntote verdauten und schieden aus, zudem reagiere ihr Immunsystem mit Abwehrreaktionen auf Infektionen oder Verletzungen. Hirntote Kinder könnten sexuell reifen. Im Körper hirntoter Schwangerer könnten Föten heranwachsen. Laut Shewmon wirkt das Gehirn nicht als Integrationszentrale für alle menschlichen Körperfunktionen. Integrationskraft könne keinem einzelnen Körperteil zugeschrieben werden, sondern entstehe im Zusammenspiel des gesamten Organismus. Die Definition des Hirntodes sei daher problematisch. Bei den sogenannten Hirntoten handele es sich um "lebende, bewusstlose Menschen". Dem widersprach die Neurologin Stefanie Förderreuther (München). Die Feststellung des Hirntodes schaffe diagnostische Sicherheit und sei das sicherste Kriterium, das Ärzten zur Verfügung steht. Vorgeschrieben ist unter anderem, dass hirngeschädigte Menschen durch zwei erfahrene Ärzte unabhängig voneinander untersucht und mindestens zwölf Stunden beobachtet werden. Förderreuther zufolge ist ein Hirntoter "kopflos" und gewinnt durch eine monatelange Beatmung nichts: "Ohne Gehirn ist der Mensch als körperlich geistige Einheit nicht mehr existent."Ethiker: Zwischenstadium zwischen Leben und Tod
Nach den Worten des Philosophieprofessors Ralf Stoecker (Potsdam) bietet die Hirntod-Konzeption scheinbar eine Lösung für zwei ethische Probleme: Erstens: Wer tot ist, muss von der Intensivmedizin nicht mehr am Leben erhalten werden. Zweitens: Die Definition macht die Entnahme von unversehrten, knappen Spenderorganen möglich. Es bestehe jedoch ein ethisches Dilemma: Einerseits könnten Organspenden das Leben vieler Menschen retten. Andererseits bauten die Begründungen für die Organentnahme auf "fragwürdigen, mehr als fadenscheinigen Todeskonzeptionen". Er sei von der Hirntod-Konzeption nicht überzeugt, so Stoecker. Hirntote befänden sich in einem Zwischenstadium zwischen Leben und Tod: Weil sie noch keine Leichen seien, sei es richtig, Hirntote im täglichen Umgang so zu behandeln, wie andere, bewusstlose Patienten auch. Weil man sie jedoch keiner Zukunft mehr berauben könne, sei es richtig, wenn andere Menschen von ihren Organen profitieren, obwohl dies dazu führe, dass aus hirntoten Menschen tote Menschen werden.Mediziner: Transplantation dient dem Leben
Der Transplantationsmediziner und frühere Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Prof. Eckhard Nagel (Bayreuth), sagte, die Möglichkeit, Leben durch Organersatz zu erhalten, gehöre heute zum medizinischen Alltag im Krankenhaus. Eine Organtransplantation folge der ärztlichen Maxime, alles zu tun, was dem Erhalt des Lebens diene.Theologe: Hirntod ist ethisch wohl begründet
Nach Ansicht des Professors für Systematische Theologie und stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Eberhard Schockenhoff (Freiburg), darf kein Zweifel daran bestehen, dass ein Hirntoter keine lebendige Person mehr sei und kein leibhafter Organismus mehr bestehe. Zwar seien die Integrationsleistungen bei Hirntoten noch erheblich, dennoch sei die Hirntod-Konzeption "anthropologisch wohl begründet". Ein Hirntoter sei tatsächlich tot und erwecke nur durch die künstliche Beamtung noch den Anschein des Lebens.Der Deutsche Ethikrat besteht aus 26 Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen. Sie werden für vier Jahre vom Präsident des Deutschen Bundestags auf Vorschlag des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung berufen. (idea)