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Nawalny und die ungerechten Weingärtner

Am 1. März ist der russische Regimekritiker Alexej Nawalny beigesetzt worden. Seine Ehefrau bezichtigt Wladimir Putin des Mordes an ihrem Mann. Nun wird Putin nach der Wahl Mitte März für weitere sechs Jahre als Präsident Russland regieren. Menschenrechtler und auch Christen, die dem Auftrag Gottes, das Evangelium zu verkündigen, treu bleiben wollen, erwarten nichts Gutes von seiner Regentschaft. Prof. Armin Baum ist überzeugt, dass auch Putin seine Herrschaft verlieren wird.

„Man muss die Bibel lesen, damit man die Zeitung versteht.“ Denn Zeitunglesen ohne biblische Zukunftsperspektive kann niederschmetternd sein. Diese Maxime unseres ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau (1931–2006) hat sich in den letzten Wochen wieder einmal bestätigt. Am 1. März dieses Jahres wurde der russische Regimekritiker Alexej Nawalny beigesetzt. Er wurde nur 47 Jahre alt. Seine so beeindruckende wie deprimierende Passionsgeschichte hat mich besonders an einen Bibeltext erinnert: Jesu Gleichnis von den ungerechten Weingärtnern. Darin wird Gott mit einem Landbesitzer verglichen, der seinen wunderbaren Weinberg an einige Weinbauern verpachtet (Lukas 20,9). Der Weinberg symbolisiert das Volk Israel. Die Weinbauern stehen für die Könige und Priester, die es in alttestamentlicher Zeit regierten. Zur Zeit Jesu lag die Macht in den Händen des Jerusalemer Hohen Rats. Als die Zeit der Ernte gekommen ist, sendet der Eigentümer einen Diener zu den Pächtern (20,10). Er symbolisiert die Propheten Gottes, die im Alten Testament auch „Diener Gottes“ hießen. Der Diener soll als Pachtzahlung einen Teil des Ertrags eintreiben. Das klang bei den Propheten so: „Ich kenne euren Frevel … wie ihr die Gerechten bedrängt und Bestechungsgeld nehmt und die Armen im Tor unterdrückt … Hasst das Böse und liebt das Gute, richtet das Recht auf im Tor“ (Amos 5,12–15). Dem Diener wird der seinem Herrn zustehende Anteil am Ertrag verweigert. Er wird von den Pächtern verprügelt und mit leeren Händen weggejagt. So ergeht es auch einem zweiten und einem dritten Diener (Lukas 20,11–12). Dem entspricht in der Geschichte Israels die regelmäßige Verfolgung der Propheten Gottes durch die Leiter seines Volkes. Die Propheten wurden immer wieder zu Märtyrern, die für ihre Botschaft ihr Leben lassen mussten.

Nawalnys lebensgefährlicher Kampf

Unter anderen Vorzeichen setzt sich dieses jahrhundertealte Muster bis heute fort. Ich finde, dem Kremlkritiker Alexej Nawalny ist es ähnlich ergangen wie den Dienern des Weinbergbesitzers im Gleichnis. Nawalny war zwar kein alttestamentlicher Prophet, aber ein bis zum Äußersten entschlossener Kämpfer für Wahrheit und Gerechtigkeit. Nawalny hat im Laufe seiner politischen Tätigkeit auch problematische Positionen vertreten. Aber von Anfang an kämpfte er gegen die Korruption in Russland. Als Jurist strengte er Dutzende von Gerichtsverfahren wegen Veruntreuung von Staatsgeldern an. 2021 veröffentlichte seine Antikorruptionsstiftung den Dokumentarfilm „Ein Palast für Putin“, in dem Nawalny sogar dem russischen Präsidenten vorwarf, sich auf illegalen Wegen märchenhafte Luxusgüter verschafft zu haben. Nawalnys politische Vision für Russland orientierte sich am Prinzip der demokratischen Gewaltenteilung, wie sie für uns in Deutschland selbstverständlich ist: Die staatliche Gewalt soll nicht in einer Hand liegen, sondern auf Parlament, Regierung und Gerichte verteilt werden, damit diese sich gegenseitig kontrollieren. Die russischen Behörden reagierten auf die politische Arbeit Nawalnys und seiner Mitarbeiter mit vielfältigen Repressalien: Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und Verhaftungen. Zu einer dramatischen Zuspitzung kam es bereits im August 2020, als Nawalny auf einem Flug nach Moskau zusammenbrach. Während er in der Berliner Charité behandelt wurde, stellte sich heraus, dass er mit einem in Russland entwickelten tödlichen Nervenkampfstoff vergiftet worden war. Nachdem Nawalny sich von diesem Giftanschlag erholt hatte, kehrte er im Januar 2021 freiwillig nach Moskau zurück. Alle, die vor drei Jahren in den Fernsehnachrichten gesehen haben, wie er sich am Moskauer Flughafen von seiner Frau Julija verabschiedete, wussten: Das kann nicht gutgehen! Nawalny wurde noch am Flughafen in Untersuchungshaft genommen und bis 2022 in mehreren Gerichtsprozessen zu insgesamt 19 Jahren Arbeitslagerhaft unter verschärften Bedingungen verurteilt. Am 16. Februar 2024 brach er in der westsibirischen Strafkolonie „Polarwolf“ laut Gefängnisleitung nach einem Spaziergang zusammen. Das medizinische Personal konnte nur noch seinen Tod feststellen. Für mich war Alexej Nawalny, der im Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit sein Leben verloren hat, einer der mutigsten Freiheitskämpfer unserer Zeit.

Gott liebt auch schlimmste Rebellen

Das Weinberggleichnis Jesu endet nicht mit der Verfolgung ungezählter Boten. Denn schließlich sendet der Weinbergbesitzer seinen über alles geliebten Sohn. Er hofft, dass die skrupellosen Pächter es nicht wagen werden, sich an diesem zu vergreifen (Lukas 20,13). Die erschütternde Naivität des Eigentümers gegenüber seinen gewissenlosen Pächtern steht für die unglaubliche Liebe Gottes gegenüber den brutalen Leitern seines Volkes. Gott will auch seine rebellischsten Geschöpfe nicht vernichten, sondern durch Liebe zurückgewinnen. Darum eröffnet er ihnen jede nur denkbare Möglichkeit zur Umkehr. Aber die Pächter nutzen seine Naivität gewissenlos aus und bringen seinen Sohn kurzerhand um. Sie hoffen, durch den Tod des Erben werde der Weinberg zum herrenlosen Gut, das sie sich problemlos aneignen können (Lukas 20,14–15a). Die anschließende Passionsgeschichte Jesu berichtet darüber in aller Ausführlichkeit: wie der Jerusalemer Hohe Rat Gottes geliebten Sohn gefangen nehmen und misshandeln ließ, gegen ihn beim römischen Prokurator Pilatus ein Todesurteil erwirkte und am Karfreitag mit Genugtuung seine bestialische Hinrichtung zur Kenntnis nahm.

Gott ist kein naiver Schwächling

Glücklicherweise endet das Gleichnis nicht mit dem Tod der Boten, sondern mit einer Gerichtsankündigung. Sonst wäre die Weltgeschichte eine zutiefst deprimierende Tragödie. Der Weinberg wird nicht in den Händen der Mörder bleiben. Der Besitzer wird sie töten und seinen Weinberg anderen Pächtern anvertrauen (Lukas 20,15b–16a). Diese Ankündigung Jesu hat sich in den nächsten Jahrzehnten erfüllt. Gott hat ein Herz voller Liebe. Aber er ist kein naiver Schwächling. Und seine Geduld ist nicht unendlich. Darum ist ausgeschlossen, dass Lüge und Unrecht siegen. Am Ende werden alle Tyrannen zur Rechenschaft gezogen. Das gilt ebenso für Wladimir Putin. Auch er ist nur ein Pächter. In nicht allzu langer Zeit wird er die Herrschaft über seinen Weinberg verlieren und sich vor dessen Eigentümer verantworten müssen. Dagegen wird Alexej Nawalny am entscheidenden Punkt recht behalten. Als er sich im Februar 2021 vor einem Moskauer Berufungsgericht zum christlichen Glauben bekannte, zitierte er die Bergpredigt Jesu: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden“ (Matthäus 5,6). Am Ende wird sich die Wahrheit durchsetzen und der Durst nach Gerechtigkeit gestillt werden.


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