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Mitgliederschwund in Kirchen: Was jetzt zu tun ist

Der Hauptauftrag der Kirche ist die Mission. Und zwar nicht um ihrer selbst willen. Vielmehr geht es um Heil und Wohl der Menschen und letztlich um die Ehre Gottes. (Foto: NSP)

Auch im Corona-Jahr 2020 hat sich der Mitgliederschwund in beiden großen Kirchen fortgesetzt. Durch Austritte, Sterbefälle und den demografischen Wandel summierte er sich in beiden Kirchen auf rund 884.000 Menschen. IDEA fragte kirchlich engagierte Persönlichkeiten, was die Kirche gegen diesen Trend tun kann.

Wir haben noch lange nicht alles ausprobiert!

Die Kirche ist seit Generationen ganz nah bei den Menschen, sei es mit der Arbeit in Kirchengemeinden oder in Kindergärten, sei es durch wissenschaftlich qualifizierte Ausbildung oder guten Religionsunterricht, sei es durch liberale Gesetzgebung oder innovative Liturgien. Die Kirchen haben sehr viel zu unserer heutigen Gesellschaft und zur Weitergabe des Evangeliums beigetragen. Niemand kann sagen, wie unsere Kirche und unsere Gesellschaft heute aussähen, wenn all diese Arbeit nicht passieren würde.

Aber sicher müssen wir als Christen mutiger sein und „Gott neu denken“, ihn neu suchen, immer wieder neu nach ihm fragen und vor seiner Stille auch mal selbst still werden. Und wir müssen von ihm erzählen. Man kann den Trend zur Gottesvergessenheit nicht einfach umkehren. Da ist jeder Einzelne gefragt, an sich selbst und seiner persönlichen Beziehung zu Gott zu arbeiten und andere einzuladen, den Weg gemeinsam zu gehen. Da gibt es keinen Trail, den man mit dem Mountainbike einmal runterfährt und im Tal Kirchenmitglied ist, sondern viele verschlungene Pfade, die kurvenreich und manchmal auch steinig sind.

Wir haben noch lange nicht alles ausprobiert! Kleiner wird eine bestimmte Form von sichtbarer Kirche, an die wir uns gewöhnt hatten und in der wir uns gut eingefunden hatten, die aber weder einen Ewigkeitsanspruch besitzt noch unbeweglich ist. Wir haben mit den 12 Leitsätzen schon viele Gedanken für die Zukunft der Kirche formuliert. Nun müssen wir diese auch umsetzen. Dafür müssen wir uns nicht nur an Bewährtem orientieren, sondern uns auch fragen, was suchen die Menschen und was können wir ihnen geben? Dazu aber braucht und verdient es eine Vielzahl von Zugängen zur Gottessuche, und hier ist in traditionellen Formen ebenso wie in neuen ungewöhnlichen Formaten noch sehr viel zu entdecken.

Was also will die Kirche gegen den Trend tun? Beten und Tun des Gerechten (Bonhoeffer).

(Die Autorin, Anna-Nicole Heinrich (Regensburg), ist Präses der EKD-Synode sowie Mitglied der bayerischen Landessynode.)

Der Hauptauftrag der Kirche ist die Mission

Angesichts stetig sinkender Mitgliederzahlen in den großen Kirchen gibt es drei Möglichkeiten:

1. Einfach weitermachen wie bisher. Augen zu und durch! Das Boot wird sich schon zurechtruckeln.

2. In Depression verfallen. Da kann man sowieso nichts machen! Unsere Aufgabe ist, die alte Oma Kirche beim Sterben zu begleiten, wie mir einmal ein Bischof sagte.

3. Die Krise als Chance begreifen. Neue Konzentration auf das Wesentliche. Die Kernkompetenz stärken und im Vertrauen auf Gott mutige Schritte gehen.

Natürlich ist das Dritte dran. Aber was ist die Kernkompetenz? Und was sind die notwendigen Schritte? Die Antwort liegt auf der Hand. Der Hauptauftrag der Kirche ist die Mission. Und zwar nicht um ihrer selbst willen. Vielmehr geht es um Heil und Wohl der Menschen und letztlich um die Ehre Gottes.

Natürlich muss Mission ganzheitlich sein und schließt Evangelisation und Diakonie mit ein. Doch das Primat muss bei der Verkündigung liegen. Der Glaube kommt aus dem Wort (Römer 10) von Jesus Christus. So sollten wir alles stärken, was zur Erweckung des Glaubens beiträgt. Und da haben wir große Chancen. Noch ist Geld da. Missionarische Projekte müssen gefördert werden. Glaubensstärkende theologische Arbeit und Lehre sind notwendig. Christen sollten ermutigt und sprachfähig gemacht werden. Ein Schulterschluss mit den missionarisch aktiven Migrantengemeinden kann uns neue Dynamik einflößen. In Zukunft wird die Kirche zwar kleiner und auch ärmer sein, doch sie wird internationaler, „evangelikaler“ und charismatischer sein. Die Christen aus anderen Ländern, die zu uns kommen, sind ein Hoffnungszeichen, das Gott uns schenkt.

(Der Autor, Roland Werner, ist Vorsitzender von proChrist und von der Koalition für Evangelisation (Lausanner Bewegung).)

Christentum wächst, wo Herzen erreicht werden

Um es gleich vorweg zu sagen: Gemeinde im Namen Jesu wird es immer geben. Ich glaube „an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen …“. Als Kind und junge Erwachsene erlebte ich Kirche als Lebensbegleiterin und offen für alle. So habe ich es im Pfarramt auch selbst gehalten. Volkskirche und zugleich Minderheitserfahrung in der DDR waren für mich keine Gegensätze.

Rückzug von Kirche aus der Fläche, Kirchensteuer ohne persönlich erfahrbaren Mehrwert, Verschwisterung mit dem Zeitgeist, wo ein wenig Strahlkraft vom „Morgenglanz der Ewigkeit“ erwartbar wäre … Das verunsichert, lässt Christen ihrer Kirche den Rücken kehren. Mit „Zwölf Leuchtfeuern“ wollte die EKD den Trend der Kirchenaustritte schon vor Jahren stoppen und den damaligen Anteil von 31,3% evangelischen Christen an der deutschen Gesamtbevölkerung im Jahr 2006 bis zum Jahr 2030 stabil halten. Nun sollen „Zwölf Leitsätze zur Zukunft einer aufgeschlossenen Kirche“ als Orientierung dienen. Ich fühle mich an den ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel erinnert, der zwar voller Bewunderung über die europäischen Vertragswerke eines aber „auf bedenkliche Weise“ vermisste: „die geistige oder sittliche oder emotive Dimension … Angesprochen wurde bloß mein Verstand, nicht mein Herz.“

Ein Blick in die Welt zeigt: Das Christentum wächst, wo Herzen erreicht werden. Vor allem sind es charismatische Gemeinden. Die Kirchen der EKD als charismatische Erlebniskirchen? „Aufgeschlossen“ für das „Brausen vom Himmel“? Die Bibel als Fundament? Ja, Leidenschaft ist gefragt, Brennen für die Botschaft Jesu Christi, Mut und Gottvertrauen.

(Die Autorin, Christine Lieberknecht (Ramsla bei Weimar, CDU), war von 2009 bis 2014 Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen sowie von 1984 bis 1990 Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen.)

Sagen, was allein Kirche sagen kann

Verabschiedung von einer Illusion tut not. Ja, beide großen Kirchen in Deutschland haben im Jahr 2020 rund 1 Million Kirchenglieder verloren. Die Hoffnung, diesen Trend aufhalten zu können, wird eine Illusion bleiben. Warum? Schon 1990 kamen in den Gebieten der ehemaligen DDR die Menschen nicht wieder in Scharen zur Kirche. Sie hatten sich seit Jahrzehnten ohne Gott und Kirche eingerichtet und lebten gut damit. Ersatzfeste und -riten waren gefunden. Inzwischen boomen auch in den westdeutschen Gebieten die Hochzeits- und Trauerredner wie auch Baby-Begrüßungsfeste. Teilweise sind die Agierenden sogar studierte Theologen. Man bezahlt den Event und braucht nicht ein Leben lang Kirchensteuer zu zahlen. Immerhin gaben 75 % der Ausgetretenen die Steuer als Hauptgrund an. Und: Die gebuchten Eventausstatter machen alles, wie man es gerne hätte. Keine Voraussetzungen bei Paten, keine kirchengesetzliche Liturgie bei Hochzeiten – das kommt der herrschenden Individualisierung sehr entgegen.

Diese Selbstbezüglichkeit verbunden mit fortschreitender Säkularisierung, die aus der Wissenschaftsgläubigkeit des 20. Jahrhunderts erwuchs, ist der wirkliche Trend unserer Zeit. Die Zeiten, wo Kirche, Familie und Gemeinschaft Schutz und Sicherheit boten, festliche Höhepunkte garantierten und alle verbanden, sind ein für allemal vorbei. Deshalb haben es auch Parteien, Vereine und andere Gruppierungen schwer. Was ist nun trotzdem zu tun? Nicht das Gesetz, sondern das Evangelium ist grundlegend. Nicht Verbeamtung sei zu finanzieren, sondern ausreichend Mitarbeiterschaft im „Weinberg des Herrn“. Hauptamtliche, insbesondere die Pfarrerschaft, müssen als Koordinatoren der „Priesterschaft aller Glaubenden“ ausgebildet sein, fundiertes Bibelwissen inklusive. Und das öffentliche, bischöfliche Wort muss furchtlos das sein, was ALLEIN Kirche sagen kann. Mission heißt säen und nicht ernten, aber fröhlich und zuversichtlich im Herrn.

(Die Autorin, Gudrun Lindner (Weißbach/Erzgebirge), war 18 Jahre Mitglied der sächsischen Landessynode, zwölf davon als Präsidentin. Sie war die erste Frau in diesem Amt in der damals 130-jährigen Geschichte des Gremiums. Von 2003 bis 2009 gehörte Lindner zudem dem Rat der EKD an.)

Kein Heranwanzen an den Trend!

Wie sich die Zahlen gleichen! Nach der neuesten Statistik sind in etwa so viele Menschen aus der evangelischen Kirche ausgetreten wie aus der katholischen – je etwa 220.000 Menschen. Nun liegt die Annahme ebenso fern, evangelische Christen könnten wegen katholischer Missbrauchsskandale ausgetreten sein, wie die Annahme, katholische Christen könnten ihre Kirche verlassen haben, weil sie die gesinnungsethische Politisierung der evangelischen Kirche nicht teilen. Die Wahrheit ist viel einfacher: So viele haben den lebendigen Bezug zur Kirche verloren; es interessiert sie schlicht nicht mehr, was irgendwelche konturlosen Sakralbeamten zu irgendwelchen allgemeinen Sachverhalten meinen. Der Blick auf die Lohnsteuerkarte genügt, um verwaltungstechnisch nachzuholen, was man sich in der Lebenswirklichkeit schon längst von der Backe hält. Die definitiv falsche Strategie der Kirchen ist church mainstreaming – das Heranwanzen, Trittbrettfahren, Lieb-Kind-machen mit jedem Trend, der gerade vorüberweht. Nach dem Evangelium zu leben war immer etwas Besonderes – etwas, das Mut verlangte. Wenn ich evangelisch wäre und dort hätte austreten können, dann, weil dieser Kirche nichts zum „Menschenrecht auf Abtreibung“ einfiel. Die beiden Großkirchen werden erst dann wieder anziehend für junge Leute (und solche mit Hirn und Haltung), wenn die Ersten sie verlassen, weil sie politisch inkorrekt spricht, die Minderheitsmeinung Jesu vertritt – weil sie eine Kirche ist, die

Ärgernis gibt, die den Widerspruch wagt, die nicht im Boot ist, wenn z. B. alle die Regenbogenfähnchen ordern. Wie meinte doch Kurt Tucholsky: „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“

(Der Autor, Bernhard Meuser (Aschau/Chiemsee), ist Publizist und Initiator des katholischen Jugendkatechismus YOUCAT.)

Vom Glauben erzählen!

Schon vor Jahren hat der Berliner Theologe Wolf Krötke postuliert: „Die Menschen haben die Kirche in Scharen verlassen. Wir werden sie nur als Einzelne zurückgewinnen.“ Wir können ergänzen: Nur als Einzelne werden wir Menschen, die bereits auf dem Absprung sind, noch halten können. Doch genau hier liegt das Problem: Wer soll das tun? Wer soll ins Gespräch mit den im letzten Jahr ausgetretenen 220.000 Menschen kommen – und wer soll die nächsten 220.000 davon abhalten, es ihnen gleichzutun?

An dieser Stelle wird ein eklatanter Mangel in unserer heutigen kirchlichen Landschaft offenbar. Wir sind in vielerlei Hinsicht eine Hauptamtlichenkirche geworden. So dankbar wir für professionell ausgebildete vollzeitliche Kräfte sein können: Es fehlt über weite Strecken ein „allgemeines Priestertum“, das in den ganz normalen Bezügen des Alltags seinen Glauben bezeugt, vorlebt und weitergibt.

Von Anfang an lag die Dynamik des Christentums darin, dass sich Menschen spirituell vernetzten und andere in ihren Glauben, ihr Leben und ihre Liebe mit einbezogen. Christentum ist Beziehungsreligion. Es breitet sich nicht so sehr durch Predigten, Veranstaltungen oder Konzerte aus, sondern vor allem durch Gespräche, praktische Hilfe und gemeinsame religiöse Erfahrungen.

Das Gebot der Stunde ist darum, Christen zu helfen, ihren Glauben mit anderen zu teilen: auf Augenhöhe, glaubwürdig, zupackend und attraktiv. Das ist eine sehr langwierige Aufgabe. Schnelle Erfolge werden sich nicht einstellen. Ob wir damit die Kirche retten werden, weiß ich nicht. Wohl aber viele Menschen um uns herum.

(Der Autor, Klaus Douglass, ist Pfarrer und Direktor der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung midi in Berlin (www.mi-di.de).)

Zeit für einen neuen evangelischen Aufbruch

Die Zahlen zeigen: Es ist Zeit für eine evangelische Aufbruchsbewegung. Die große Gefahr ist, dass wir uns in Kürzungsdebatten erschöpfen. Spar- und Pfarrpläne und zunehmend Verteilungskämpfe bestimmen die Agenden und belasten die Gemüter. Aber kaum Innovation. Dafür scheint kaum Raum, keine Kraft, keine Freiheit. Wir bleiben bei uns. In unserem Milieu. In unserer Struktur. Und gerade so verlieren wir uns selbst. Entscheidend ist, dass wir zurück zu den Wurzeln gehen und unser Wesen neu entdecken. Jede Erneuerung der Kirche wird nur durch ein neues Hören auf Jesus Christus und sein Wort geschehen. Sie bleibt unverfügbar, aber das Wunder ist: Sie bleibt auch verheißen. Also aufgepasst: Wer einen lamentierenden Abgesang auf die Kirche anstimmt, verachtet leichter das Versprechen Gottes, seine Gemeinde immer wieder neu zu bauen.

Dass dies aber geschieht, braucht es zumindest dreierlei:

1. Einen inneren geistlichen Aufbruch zu Jesus Christus hin: Wir brauchen den Mut, unverdrossen fromm zu sein. Der Glaube an Jesus Christus ist unsere Mitte. Er erfüllt unser Herz. Das muss deutlicher werden in allem, was wir sagen und tun. Nur dann gibt es eine „Herzensresonanz“.

2. Einen missionarisch-diakonischen Aufbruch: „Wir bezeugen Jesus Christus in der Welt.“ So beginnt der sehr bemerkenswerte vierte Leitsatz des EKD-Zukunftspapiers zur Mission. Wir laden zum Glauben an Jesus Christus ein. Wort und Tat, Evangelisation und Diakonie sind zwei Seiten einer Medaille. Das alles auf vielfältige kreative Weise. Unser Maßstab muss sein: „Keine Gemeinde ohne Diakonie!“.

3. Einen missional-strukturellen Aufbruch: Unsere Gemeinde- und Gottesdienstformen erreichen einen zunehmend kleiner werdenden Teil der Gesellschaft. Viele Milieus etwa in den Städten, aber auch in der digitalen Welt sind außerhalb kirchlicher Reichweite und auch außerhalb des kirchlichen Blicks. Hier brauchen wir mehr Mut zu neuen Strukturen.

(Der Autor, Steffen Kern, wird im September in sein Amt als Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes eingeführt. Der Pfarrer ist Mitglied der EKD-Synode.)


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