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Dein digitales Reich komme

So kann man sich in einem „Herzspaziergang“ Bibeltexte mit „kleinen Aha-Erlebnissen“ schenken lassen – mit einer Mini-Andacht, die auf eine Smartphone-Bildschirmseite passt. (Foto: Matthias Mueller/ churchphoto.de)

Wie kann das Evangelium in der digitalen Welt verkündigt werden? Damit beschäftigte sich eine im Internet durchgeführte Tagung der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung. IDEA-Reporter Karsten Huhn stellt sechs Projekte vor.

Pastoren zum Anklicken

Sie rollen mit dem Skateboard in die Kirche, tragen zerrissene Jeans statt Talar und teilen sich in der Bremerhavener St.-Emmaus-Gemeinde eine Pastorenstelle: Christopher Schlicht (trägt sein Basecap verkehrt herum auf dem Kopf) und Maximilian Bode (trägt einen Knopf im linken Ohr) wollen Vorurteile aufbrechen und so jüngere Leute in die Kirche ziehen. Der Stadtteil Grünhöfe ist kein Hipster-Viertel. Bode beschreibt ihn mit „viel Einsamkeit, viele zerbrochene Familien, viele mit gebrochener Berufslaufbahn“. Er und sein Kollege Schlicht nutzen intensiv Soziale Medien, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Sie wollen „Pastoren zum Anklicken“ sein und posten dafür regelmäßig auf Instagram Bilder, Texte und kurze Videos aus ihrem Alltag – und machen sich dabei gerne über sich selbst lustig. „Im Netz gibt es keine Ortsgemeinde mehr“, sagt Bode. Stattdessen scharen sich die Nutzer um Pastoren, die ihre Sprache sprechen. Schlicht und Bode wollen nicht „churchy“ klingen, also nicht so salbungsvoll kirchlich wie viele ihrer Amtsbrüder. Stattdessen sagen sie gerne „mega“ „cool“ „voll Bock“ oder „krass“ – und meiden Theologen-Sprech wie „kybernetisch“ oder „ekklesiologisch“. „So sprechen, dass einen die Kids an der Grundschule verstehen“, empfiehlt Schlicht. „Wenn ich einen Pfarrer nicht verstehe, ist es nicht für mich bestimmt.“ Und Bode verrät: Wenn er im Theologiestudium etwas gelernt hat, hat er es nach drei Bier einem anderen Studenten erzählt, so dass dieser es versteht. „Mittlerweile schaffe ich das auch ohne drei Bier – was meiner Leber ganz guttut.“ Und damit man im Netz keinen Unsinn verbreitet, schiebt Bode gleich noch einen Rat hinterher: Nur posten, was man sich auch auf ein T-Shirt drucken würde, um damit über den Markt zu laufen. Instagram begann für die beiden Pastoren als Hobby und gehört für sie jetzt zu ihrem Job. Auf Instagram führt Schlicht etwa „3.000 Fernbeziehungen“ – und bietet dort auch Seelsorge-Chats an. Die Hürde für ein Gespräch ist gering, man bleibt auf Distanz und ist dennoch super nah dran, sagt Schlicht. Und inzwischen folgten ihm auch viele ältere Gemeindeglieder auf Instagram.

Gebetsanliegen per WhatsApp

Der Aufwand ist fast so groß wie bei einem ZDF-Fernsehgottesdienst: Seit Mitte März 2020 lädt der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg dazu ein, „Liveline“ (Rettungsleine), einen aus der Lübecker St.-Jürgen-Kapelle ins Internet übertragenen Gottesdienst, mitzuverfolgen. Zum Team aus 20 Haupt- und Ehrenamtlichen gehören neben Pastoren, Musikern und Moderatoren mehrere Kameraleute, Mitarbeiter für Aufnahmeleitung, Bildregie und den Teleprompter, berichtet das Lübecker Pastorenpaar Katja und Heiko von Kiedrowski. Ein Fürbittenteam sammelt Gebetsanliegen, die von Zuschauern während der Übertragung per WhatsApp, E-Mail und Chat eingesandt und dann verlesen werden können. Die Gottesdienste werden in Gebärdensprache übersetzt und untertitelt. Die Live-Zuschauerzahl auf der Internetplattform YouTube lag zum Start im Frühjahr bei etwa 250, sank im Sommer auf etwa 150 und stieg in der Adventszeit auf 400. Der Rekord wurde am Heiligabend erreicht: Etwa 600 Zuschauer verfolgten das Geschehen, dazu kamen 300 weitere auf Facebook. Wer nicht live dabei sein kann, kann das Versäumte jederzeit nachholen: Die Ausstrahlungen sind auf YouTube dauerhaft abrufbar; die Zahl der gesamten Aufrufe liegt dort zwischen 800 und 6.200. Weitere Zuschauer kommen auf dem Fernsehkanal Bibel.TV hinzu – dort wird der Gottesdienst einmal im Monat übertragen.

Eine App als „Training für die Seele“

Meditationsapps fürs Smartphone gibt es viele, die wenigsten davon sind christlich inspiriert. Eine Ausnahme ist die XRCS-App. Das kryptische Kürzel ist abgeleitet vom englischen Wort „exercise“ (Übung) und bezieht sich auf die christliche Tradition der Exerzitien. Die vom Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers herausgegebene App soll dazu anleiten, „achtsam zu werden und die Gegenwart Gottes in deinem Alltag wahrzunehmen“. So kann man sich in einem „Herzspaziergang“ Bibeltexte mit „kleinen Aha-Erlebnissen“ schenken lassen – mit einer Mini-Andacht, die auf eine Smartphone-Bildschirmseite passt. Auf dem Exerzitienweg wird man um 7 Uhr, 12 Uhr und 18 Uhr (auf Wunsch auch zu anderen Zeiten) dazu aufgefordert, den Alltag für einen Moment ruhen zu lassen und wahlweise für fünf, zwölf oder 20 Minuten zu meditativer Musik innezuhalten. Dazu bekommt man Fragen gestellt, zum Beispiel: „Was hat dich heute Vormittag bewegt?“, „Wofür bist du in diesem Moment dankbar?“ Dazu heißt es: „Werde dir mit jedem Atemzug bewusst: Gott ist bei dir – hier und jetzt.“ Die Meditationen sollen helfen, Stress abzubauen, Dankbarkeit zu üben und seinen Blick auf Gott zu richten. Das Konzept für die App entwarf die Geschäftsführerin der Hamburger Kommunikationsagentur Gobasil, Eva Jung. Von Nutzern bekommt das „Workout für die Seele“ überwiegend Höchstbewertungen. Ärgerlich ist eigentlich nur eines: dass die App mit dem rätselhaften Namen den meisten noch unbekannt sein dürfte.

Goldene Hochzeit im Internet

„Ich bin eigentlich ein ganz normaler Gemeindepastor“, sagt Gunnar Engel. Das stimmt, aber es ist natürlich eine Untertreibung. Wöchentlich erreicht er im Internet etwa 25.000 Menschen. Für ihn sind die Möglichkeiten des Netzes die „größte Revolution der Kommunikation seit 500 Jahren“. Engel ist seit 2017 mit Gottesdiensten, Bibelarbeiten und Frage-Antwort-Formaten auf YouTube aktiv. Damals hatte er sich gefragt: Warum gibt es im Internet eigentlich kein gescheites Video „Wie bete ich?“ oder „Was ist der Unterschied zwischen verschiedenen Bibelübersetzungen?“. Kurzerhand produzierte er sie selbst. Als die Corona-Pandemie kam, hatte er – anders als die meisten anderen Pastoren – schon viel in die eigene Technik investiert, zahlreiche Videos hochgeladen und eine Anhängerschar gewonnen, die weit über die eigene Gemeinde hinausgeht. Die Arbeit im Internet ist nicht Teil von Engels Stellenbeschreibung; den Großteil erledigt er in seiner Freizeit. Engel befeuert neben YouTube auch Facebook, Telegram und WhatsApp: „Das Internet baut Hürden ab und bringt Menschen leichter in Verbindung.“ So hat Engel eine Goldene Hochzeit kurzerhand ins Netz verlegt: Mit dem Jubiläumspaar zelebrierte er Corona-konform in der Kirche, die Festgesellschaft konnte zumindest an den Bildschirmen mitfeiern. „Wir trennen digital und analog nicht mehr“, sagt Engel. „Die Menschen tun das auch nicht.“

Den „Algorithmus-Gott“ gnädig stimmen

In der Kirche haben viele den „Algorithmus-Gott“ noch nicht verstanden. Die Folge: Kirchliche Digital-Angebote, etwa auf YouTube, werden kaum abgerufen und werden nicht mit anderen Nutzern geteilt. Das beklagt der Redaktionsleiter beim Evangelischen Kirchenfunk Niedersachsen-Bremen in Hannover, Lukas Schienke. Algorithmen sind mathematische Verfahren, die darüber entscheiden, was einem Nutzer angezeigt wird, wenn er auf Internetseiten wie Google oder YouTube eine Suche startet – zum Beispiel zur Frage „Gibt es Gott?“.

Um einen „gnädigen Algorithmus-Gott“ zu bekommen und mit dem eigenen Angebot im Netz besser auffindbar zu sein, müsse man vieles beachten, so Schienke. Er gibt folgende Experten-Tipps weiter:

1. Mach es spannend! Ein Beitrag sollte möglichst einen aufregenden Einstieg, eine durchdachte Dramaturgie, überraschende Details und einen pointierten Schluss enthalten.

2. Hol sie ab! Um sein Publikum zu erreichen, muss man es kennen. Welches Wissen kann vorausgesetzt werden? Was will der Zuschauer unbedingt erfahren? Womit kann man ihn begeistern?

3. Beteilige sie! Welche Möglichkeiten gibt es, das eigene Publikum zu beteiligen? Wie kann es reagieren – zum Beispiel durch Fragen und Kommentare?

4. Was ist die Kernbotschaft? Wie lässt sich die Botschaft, die man vermitteln will, in einem kurzen, knackigen Satz auf den Punkt bringen?

5. Relevanz: Ist das Angebot nützlich und aktuell? Liefert es Gesprächs- und Unterhaltungswert?

6. Kommuniziere mit Bildern und Beispielen: Anschauliche Geschichten bleiben besser in Erinnerung als abstrakte Lehrsätze.

7. Minimal kommunizieren: Konzentrier dich aufs Wesentliche! Worauf kann ich verzichten? Wie kann der Beitrag kürzer und schneller werden?

8. Ich glaube, ich habe Spaß! Der beste Beitrag ist der, an dem man selbst Freude hat – diese Freude überträgt sich dann auch auf den Zuschauer.

9. Riskier etwas! Belohnt wird, wer von der Norm abweicht, etwas Überraschendes, Unerwartetes anbietet.

Als Beispiel für ein riskantes Projekt nennt Schienke das von der EKD geförderte Projekt „Anders Amen“. In dem YouTube-Kanal erzählen die lesbischen Pastorinnen Ellen und Stefanie Radtke aus dem niedersächsischen Dorf Eime aus ihrem Alltag, etwa einer künstlichen Befruchtung und  Schwangerschaft. Ihr Ziel: Queere Lebensweise und Kirche zusammenbringen. Schienke: „Wir haben dafür ordentlich auf die Mütze bekommen, aber das Risiko hat sich gelohnt.“ Der Kanal – derzeit in Elternzeit – verzeichnet durchschnittlich etwa 20.000 Aufrufe.

Um auf YouTube ein großes Publikum zu erreichen, rät Schienke dazu, einen möglichst einzigartigen Videotitel zu finden sowie regelmäßig und häufig Videos zu veröffentlichen. Zudem müsse man schnell zur Sache kommen: Schon nach vier bis acht Sekunden entscheiden Zuschauer, ob sie weiterschauen oder wegklicken. Wer etwa eine Gottesdienstübertragung mit Glockenklang und vier Minuten Orgelspiel beginnt, muss mit hohen Abbruchzahlen rechnen. Besser wäre es mit einer kurzen Vorschau zu starten, die Spannung verheißt. Im Internet sei das Publikum besonders ungeduldig.

„Wer zu viel will, wird scheitern“

Mit einem iPad und einer Webcam für 350 Euro startete der Pfarrer der Lemgoer St.-Pauli-Gemeinde, Helge Seekamp, ins Zeitalter digitaler Gottesdienste. „Wir verzichten auf Präsenz-Gottesdienste. Von zu Hause lässt sich kommentieren und auch mitsingen! Zeig dich mit einem Gruß“, heißt es auf der Internetseite der Gemeinde. Dem digitalen Gottesdienst mit Liedern und Predigt folgt ein Predigtnachgespräch von 15 Minuten. Die wöchentlich ausgestrahlten Gottesdienste werden von durchschnittlich 600 Personen verfolgt. „Kirche ist nicht etwas, wohin wir gehen, sondern etwas, was wir sind“, sagt Seekamp. Er spricht auch über seinen größten Fehler in der Corona-Zeit: „Ich war mit zu viel Engagement drin.“ Er fühlte sich gestresst und überfordert, die Folge seines digitalen Eifers war ein Herzkammerflimmern. Heute sagt Seekamp: „Wer zu viel auf einmal will, wird scheitern.“ Weil ein Ende der Pandemie derzeit nicht in Sicht ist, wollen Seekamp und sein Team nun noch mal nachrüsten und 13.000 Euro in Technik investieren.


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