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Advent im Hospiz: Ein Haus voller Leben

Wir versuchen, es dem Menschen gutgehen zu lassen, und arbeiten bedürfnisorientiert“, betont Eckstein. (Foto: Eduardo Barrios/ Unsplash.com)

Im kirchlich getragenen Hospiz in Bremervörde finden Schwerkranke eine letzte Heimat. Die freie Journalistin Martina Albert war dort zu Besuch.

Betritt man das Hospiz in Bremervörde, umfängt einen die warme Atmosphäre. Viel Holz, schönes Licht, weihnachtliche Dekoration. Ein großer Adventskranz erinnert daran, dass bald Heiligabend ist – für viele Gäste wird es der letzte sein. 780 Menschen hat das kirchlich getragene Haus seit seiner Eröffnung 2014 auf ihrer letzten Station des irdischen Lebens begleitet.

Ein Zuhause für die Gäste

Nichts hier erinnert an die kühle und sterile Atmosphäre in einem Krankenhaus. „Das Hospiz ist das Zuhause unserer Gäste“, sagt Sabine Eckstein. Die 56-Jährige leitet das Hospiz seit seiner Eröffnung. Elf schwerkranke Menschen erhalten hier die Pflege, medizinische Versorgung und soziale Unterstützung, die für ein würdevolles Leben bis zuletzt nötig sind. Ein Team von 15 Pflegekräften kümmert sich um die Gäste. Niedergelassene Palliativmediziner, Hausärzte, kirchliche Seelsorger und Ehrenamtliche komplettieren die Betreuung. 2013 errichtete der evangelische Kirchenkreis Bremervörde-Zeven das Haus. In einer Betriebsgesellschaft kooperiert der Kirchenkreis mit Partnern – darunter Kommunen, Lebenshilfe und Krebsfürsorge. Seit 2020 wird das stationäre Hospiz ergänzt durch ein Tageshospiz mit vier zusätzlichen Plätzen.

Die Nachfrage ist groß

Das Hospiz schließt eine Versorgungslücke im Elbe-Weser-Raum. Gerade sind zwei Plätze frei, denn in den vergangenen Wochen sind innerhalb kurzer Zeit fünf Gäste gestorben. Lange werden die Zimmer, die alle über einen eigenen mit dem Bett befahrbaren Balkon verfügen, nicht unbelegt bleiben. Die Nachfrage ist groß. Die Zeit, die die Gäste im Hospiz bleiben, ist sehr unterschiedlich – von einer halben Stunde bis 15 Monate.

Befreit die letzten Tage erleben

Es ist nicht selten, dass die Gäste im Hospiz noch einmal aufleben. Hier dürfen sie loslassen, sind befreit von Krankenhausaufenthalten, leben in einer familiären Gemeinschaft und müssen nicht leiden. Einige Bewohner konnten sogar noch einmal nach Hause, weil sich ihr Zustand stabilisiert hatte. Die Leiterin erinnert sich an eine krebskranke Mutter mit einem achtjährigen Sohn, die vor einigen Jahren kurz vor Weihnachten doch noch einmal nach Hause zurückkehren und mit der Familie das Fest der Geburt Christi im vertrauten Umfeld feiern konnte. Verstorben ist die Frau dann zu Hause – auch dort palliativmedizinisch betreut. Die Palliativmedizin ist ein wichtiger Baustein im Hospiz: Denn die Gäste sollen ihre letzten Tage und Wochen möglichst „symptomfrei“ sein – also frei von Atemnot, Schmerzen, Angst oder anderen Beschwerden. Palliativmedizinische Begleitung macht das möglich.

„Es geht mir gut hier“

„Dass ich keine Schmerzen mehr habe, ist das Wichtigste“, sagt auch Anni Tiedemann. Die 85-Jährige lebt seit Ende Oktober im Hospiz. Gerade sitzt sie mit Katrin Buck vom Pflegeteam am Tisch und bastelt Weihnachtssterne aus Papier. 2020 wurden, nachdem ihr Hausarzt sie wegen starker Schmerzen im Brustbereich ins Krankenhaus eingewiesen hatte, gleich drei Tumore entdeckt – einer davon drückte auf einen Nerv und verursachte die starken Schmerzen. Zwei Tumore konnten operiert werden, gegen den Lungentumor lässt sich nichts tun. „Wenn mein Tag kommt, bin ich bereit“, sagt sie und schluckt die aufsteigenden Tränen hinunter. Katrin Buck streichelt ihre Hand. „Und so lange sind wir für dich da.“ Anni Tiedemann nickt dankbar. „Ja, es geht mir gut hier“, sagt sie. Dennoch: Der Schritt, ins Hospiz zu gehen, sei ihr unbeschreiblich schwergefallen. Doch jetzt fühlt sie sich wohl: „Hier wird mir jeder Wunsch von den Lippen abgelesen.“

Hier werden Wünsche erfüllt

Wünsche zu erfüllen ist dem Hospiz-Team wichtig. Am Anfang steht der Besuch des betreuenden  Palliativmediziners an. Er stellt fest, welcher Bedarf an Medikation besteht. Schmerz- und Symptomlinderung ist essenziell für das Befinden, weiß Eckstein: „Schmerzen sind in der Regel die Höchstbelastung, die ein Mensch hierher mitbringt“, sagt sie. Hinzu kommen psychosoziale Sorgen: Was wird aus meiner Familie? Was muss ich noch erledigen, wo komme ich hin? „So vielfältig, wie die Gäste sind, so vielfältig sind auch ihre Anliegen“, sagt Eckstein. Ein guter Personalschlüssel, aufgestockt durch Ehrenamtliche und Seelsorger, fängt den Gesprächsbedarf auf. Auch bei der täglichen Pflege bleibt viel Raum für das Gespräch. „Wir haben hier keine Zeitnot, müssen nicht von Zimmer zu Zimmer hetzen.“ Man könne Menschen kennenlernen und Bedürfnisse erkennen. „Hier wird nichts auf die lange Bank geschoben“, sagt die Hospizleiterin. Bei dem einen ist es das Ausschlafen am Morgen, beim anderen wird noch einmal der Friseur ins Haus bestellt oder ein lange nicht gesehener Angehöriger zum Besuch eingeladen. „Wir versuchen, es dem Menschen gutgehen zu lassen, und arbeiten bedürfnisorientiert“, betont Eckstein.

Zum Wohlfühlen gehört gutes Essen

Zum Wohlfühlen gehört auch gutes Essen. Heute stehen Hauswirtschafterin Kathrin Müller und Ehrenamtlerin Silke Korte in der zentral gelegenen Küche und bereiten das tägliche Drei-Gänge-Menü zu. Der würzige Duft von Wirsingeintopf ist schon im Vorraum zu riechen. So soll es auch sein – damit der Appetit angeregt wird. Auch die Gäste selbst dürfen mithelfen, wenn sie mögen. Beim Möhren- und Kartoffelschälen habe sie schon so manches gutes Gespräch geführt, sagt Müller. Für den Nachmittag wollen die beiden noch einen gefüllten Butterkuchen backen. Wie wichtig diese Mahlzeiten sind, bestätigt auch eine 45-Jährige, die seit Mai drei Tage die Woche ins Tageshospiz kommt. „Ich bin versorgt, kann mich entspannen und muss mich um nichts kümmern“, sagt sie. Ein Jahr geben ihr die Ärzte noch, die Krebserkrankung sei nicht zu stoppen. Gerade sitzt sie mit der 79-jährigen Irmgard, ebenfalls Gast des Tageshospizes, im Aufenthaltsraum in den Sesseln und entspannt – nebenbei unterhalten sich die beiden Frauen. „Hier kann man offen sprechen, wir sitzen ja alle im selben Boot“, so die Frauen. Später wollen sie noch ein Gesellschaftsspiel spielen. Es sind kleine Dinge wie diese, die sich für die Gäste – egal ob im stationären Teil oder im Tageshospiz – gut anfühlen, weiß Sabine Eckstein. „Es wird hier auch viel gelacht – wir sind kein trauriges Haus.“

Unbelastete Momente

Gerne erinnert sie sich an einen ihrer schönsten Momente. Vor einigen Jahren organisierte das Hospiz ein Oktoberfest für Gäste, Mitarbeiter und Ehrenamtler im Gemeindesaal, mit blauweiß geschmückten Tischen und bayerischer Musik. Aufgespielt haben – ermöglicht durch eine Spende – die Echten Oberkrainer, die sonst große Säle füllen. Der stellvertretende Bürgermeister habe das Fass angeschlagen und ganz so, wie es sein müsse, habe das nicht auf Anhieb geklappt, erinnert sie sich mit einem Schmunzeln. Was sie auch Jahre später noch berührt: Einer der Gäste, der eigentlich schon lange auf den Rollstuhl angewiesen war, sei bei der mitreißenden Musik ins Stehen gekommen, habe mitgeklatscht und gefeiert. „Ein schönes Fest und für alle ein unbelasteter Moment.“

Doch natürlich gibt es sie auch, die schweren Momente im Haus. Der Tod gehört hier zum Leben dazu, und doch ist er nie alltäglich. Die Anteilnahme unter den anderen Bewohnern ist immer groß. „Letztlich spiegelt das Sterben des anderen wider, was auf jeden der Gäste zukommt“, sagt Eckstein.

Viele Rituale

Ist einer der Gäste gestorben, wird im Eingangsbereich eine Kerze angezündet. Der Leuchter hat elf Kerzen, für jeden der Gäste eine. Daneben steht der Erinnerungstisch, auf ihm liegen Kondolenz- und Erinnerungsbücher, die an all die Menschen erinnern, die hier gelebt haben. Auch für den letzten Weg gibt es ein Ritual. Die Pflegekräfte bilden ein Spalier, um den Gast durch den Haupteingang hinauszugeleiten, wenn der Bestatter kommt. Rituale wie diese sind auch für die Mitarbeiter wichtig. Viele haben früher in Pflegebereichen gearbeitet, wo zu wenig Zeit ist, um Menschen einen würdevollen Abschied zu bereiten – das jetzt tun zu können, gibt ihnen ein gutes Gefühl. Auch die Angehörigen werden begleitet und unterstützt. Sie bekommen nach dem Tod ihres Angehörigen einen Stein mit nach Hause, den sie individuell gestalten und im Garten des Hospizes ablegen dürfen.

Eine intensive Zeit beginnt

Jetzt, im Advent, beginnt eine besonders intensive Zeit, denn für die meisten Gäste dürfte es das letzte Weihnachtsfest sein. Dennoch – oder gerade deshalb – machen die Mitarbeiter das Fest besonders schön. Musste im vergangenen Jahr jeder Gast pandemiebedingt mit seinen Angehörigen auf dem Zimmer speisen, hofft das Team, dass es in diesem zweiten Corona-Winter möglich ist, das Weihnachtsessen wie geplant gemeinsam an Familientischen einzunehmen. Es wird eine Andacht geben, und Eckstein wird ein paar Worte sagen. Meist auch etwas Lustiges, damit das Fest nicht zu schwer wird. Begonnen haben sie die Weihnachtszeit schon ganz stimmungsvoll. Am ersten Advent kam der örtliche Posaunenchor und spielte im Garten. Die Gäste standen oder saßen an den offenen Türen. Es sind Momente wie diese, die dem Weg am Lebensende ein bisschen von seiner Last nehmen und den Tagen, die bleiben, Leben verleihen.


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