Vor 1700 Jahren, am 3. März 321, erklärte Kaiser Konstantin den Sonntag zum allgemeinverbindlichen Ruhetag für die Stadtbevölkerung im Römischen Reich. In seinem Artikel „1700 Jahre Sonntagsgesetz“ in der März-Ausgabe 2021 der Kirchenzeitschrift „adventisten heute“ befasst sich Dr. theol. Johannes Hartlapp, Dozent für Kirchengeschichte an der adventistischen Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg, mit der Frage, was Konstantin damit beabsichtigte.
Laut Hartlapp gab es im Jahr 300 n. Chr. im Römischen Reich mehr als sechs Millionen Christen. Das entsprach etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Der römische Kaiser Diokletian (284-305 n. Chr.) sah darin eine Bedrohung für das auseinanderdriftende Weltreich. Deshalb erließ er im Jahr 303 n. Chr. die bislang umfangreichsten Verordnungen zur Eindämmung des Einflusses der Christen. Nach seinem Tod blieben die nachfolgenden Mitkaiser dieser harten Linie der Ausrottung des Christentums treu.
Christliche Werte für den Zusammenhalt des Römischen Reiches
Der Platz der Christen im öffentlichen Leben konnte jedoch nicht dauerhaft zurückgedrängt werden. Das führte zu der Einsicht, die Verfolgungen aufzugeben. Im Westen des Reiches beendeten die Mitkaiser Konstantin und Licinius 313 n. Chr. im sogenannten „Mailänder Toleranzedikt“ alle Christenverfolgungen. Sie erkannten die christliche Religion als gleichberechtigt an, ließen das konfiszierte Eigentum zurückgeben und zerstörte Kirchen wiederaufbauen. Weitere Zuwendungen und Vergünstigen stellten das Christentum den anderen Kulten nicht nur gleich, sondern ließen sogar eine bevorzugte Behandlung erkennen.
Konstantin schien davon überzeugt, so Hartlapp, dass die hohe Moral, das Rechtsempfinden und die Werte der Christen einen wesentlichen Beitrag für den Zusammenhalt des Reiches leisten könnten. Mit großem Eifer setzte er sich dafür ein, den christlichen Glauben von allem sichtbaren Makel, wie internen Spannungen, zu reinigen. Kleriker wurden von öffentlichen Verpflichtungen und steuerlichen Abgaben befreit, um sich sozialen Aufgaben des Reiches, etwa der Armenpflege widmen zu können Auf diese Weise hoffte der Kaiser, die Organisation der christlichen Kirche für das Gesamtwohl nutzbar machen zu können. Die Bischöfe erhielten richterliche Befugnisse auch auf dem Gebiet des Zivilrechts.
Die beiden Sonntagsgesetze
In dieses Bild reihten sich die zwei Gesetze aus dem März 321 n. Chr. ein, von denen das erste in folgendem Wortlaut überliefert ist: „Alle Richter, ebenso wie das Volk in den Städten, und die Ausübung aller Künste und Handwerke, sollen am heiligen Tag der Sonne ruhen. Dagegen dürfen diejenigen, welche auf dem Lande wohnen, dem Ackerbau frei und ungehindert nachgehen, weil es sich oft trifft, dass nicht gut an einem anderen Tag das Getreide in die Furchen gesät oder die Weinstöcke in die Reihen gegraben werden können, damit nicht zugleich mit der Gelegenheit des Augenblicks der durch die himmlische Vorsicht verliehene Vorteil verloren gehen.“
Die andere Verordnung, wenige Tage später und ebenfalls an Elpidius, den Stadtpräfekten von Rom adressiert, schützte den Sonntag vor Unwürdigem und fordert stattdessen Taten, die Gott wohlgefällig sind, etwa die Freilassung von Sklaven. Beide Gesetze sind uns nicht aus der Regierungszeit Konstantins überliefert, sondern befinden sich in den Rechtssammlungen des Kaisers Justinian I. (527–565 n. Chr.).
Johannes Hartlapp weist darauf hin, dass die beiden sogenannten Sonntagsgesetze ohne die dazugehörenden Gesetzesbegründungen überliefert seien. Deshalb wäre unklar, aus welchem Grund und mit welcher Absicht und Argumentation Konstantin diese Gesetze erlassen habe. Im knappen Gesetzestext finden sich keine typisch christlichen Begriffe jener Zeit. So wird weder vom „Herrentag“ als Hinweis auf die Feier der Auferstehung Jesu am Sonntag noch von Gott als dem Urheber aller Dinge gesprochen.
Deshalb stelle sich die Frage, warum in späteren Jahrhunderten diesen Verordnungen eine so umfassende Bedeutung beigemessen wurde. Während der Regierung Konstantins änderte sich der Status der Christen im Reich grundlegend. Einer „gewissen Verstaatlichung der Kirche entsprach die Verchristlichung des Staates“. Doch erst in der frühen Neuzeit, vor allem im englischen Puritanismus des 16. und 17. Jahrhunderts, lebte neben dem verpflichtenden Gottesdienstbesuch im Mittelalter das strikte Arbeitsverbot am Sonntag, das vom Sabbatgebot auf den Sonntag übertragen wurde, als Zeichen der Sonntagsheiligung wieder auf, gab Hartlapp zu bedenken.
Sonntagsfeier zur Abgrenzung von den Juden
Bereits am Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts lasse sich eine Verschiebung des Gottesdienstes vom Sabbat auf den Sonntag nachweisen. Zwar sei die Auferstehung Jesu für die ersten Christen das alles überragende Ereignis gewesen, doch gebe es im Neuen Testament keinen Hinweis darauf, dass die Apostel dem Sonntag als Tag der Auferstehung eine besondere Bedeutung zugemessen hätten und ihn gegenüber dem Sabbat qualifizierten.
Erst die politischen Ereignisse nach den jüdischen Aufständen 66-74 und 132-136 n. Chr. bewirkten bei manchen Christen ein Umdenken. Die ersten Christen hätten von den Privilegien der jüdischen Mitbürger profitiert, so von der Befreiung vom obligatorischen Opfer für den Kaiser. Das mag nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass die christlichen Gemeinden im 1. Jahrhundert ohne größere Verfolgungen schnell wachsen konnten, meint Hartlapp. Doch nach dem jüdischen Bar-Kochba-Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht (132–136 n. Chr.) hätten sich die Christen immer mehr von den Juden distanziert.
Das erste Erkennungszeichen der Juden sei die Feier des wöchentlichen Sabbats gewesen. „Mit der Verlegung des Gottesdienstes traten antijüdische Tendenzen in den Raum, aus denen sich eine Judenfeindschaft bildete, die in der Judenvernichtung der Nazis ihren beschämenden Höhepunkt erlebten“, so Hartlapp. Christen meinten, sie müssten die Selbstbelastung der Juden vor Pilatus „Sein (Jesu) Blut komme über uns und unsere Kinder“ (Mattäus 27,25) in die Tat umsetzen. Um nicht länger als Juden zu erscheinen, hätten wohl erst einzelne, dann aber immer mehr Christen begonnen, den Sonntag als Gottesdiensttag zu nutzen. Zeitweise wären in den christlichen Gemeinden Sabbat und Sonntag gleichwertig nebeneinander gestanden. Konstantin habe mit seiner Gesetzgebung jedoch neue Tatsachen geschaffen.
Politische Absicht des Sonntagsgesetzes
Im Römischen Reich habe es bis zu diesem Zeitpunkt keinen wöchentlichen Feiertag und keine allgemeingültige Staatsreligion gegeben. Aber gerade in einem für alle Bürger geltenden Kultus hoffte der Kaiser die Einheit des Staates wiederherstellen zu können. Dazu schien ihm der weithin verbreitete christliche Ruhetag, der schon von etwa zehn Prozent der Bevölkerung gefeiert wurde, genau richtig zu sein, schlussfolgert Johannes Hartlapp. Der Tag der Sonne habe sich geradezu angeboten. Die Verehrung der Sonne sei Bestandteil vieler Religionen gewesen. Und es schien auch der Kirche nicht schwer, eine Analogie zum christlichen Glauben herzustellen: Jesus Christus, die Sonne der Gerechtigkeit. Konstantin sei es dabei wohl mehr um den einheitlichen Kultus als um Glaubensinhalte gegangen.
Konstantins Sonntagsgesetze nur für eine Minderheit
Ungewöhnlich erscheint dem Autor des Artikels, dass Konstantin nach den Sonntagsverordnungen des Jahres 321 andere Gesetze in Kraft setzte, die einer Sonntagsheiligung und Arbeitsruhe entgegenstanden, beispielsweise ein Gesetz, in dem regelmäßige Handelsmärkte am Sonntag festgesetzt wurden. Es sollte auch nicht übersehen werden, dass von den Konstantinischen Sonntagsgesetzen nur eine Minderheit betroffen war. Die Landbevölkerung, die übergroße Mehrheit der Bürger des Römischen Reiches, war ausgeschlossen und konnte ihren normalen Arbeiten auch am Sonntag nachgehen. Außerdem hätten die Gesetze, die Konstantin 321 erließ, nur den Westteil des Römischen Reiches betroffen. Teilweise erst im Jahr 324 n. Chr. hörten die Verfolgungen im Ostteil des Römischen Reiches auf. Es mag nicht uninteressant sein, so Hartlapp, dass gerade dort noch Jahrhunderte später Christen den Sabbat feierten.
Auf die Frage, warum gerade jetzt das historische Jahr 321 wieder so stark betont werde, antwortet der Dozent für Kirchengeschichte am Schluss seines Beitrags: „Mir scheint, dass in einer globalen Gesellschaft, in der immer mehr traditionelle Werte auf dem Altar der Gewinnmaximierung geopfert werden sollen, der wöchentliche Ruhetag einen Wert darstellt, dessen Bedeutung erneut ins Gedächtnis gerufen werden soll.“
Der Artikel von Johannes Hartlapp „1700 Jahre Sonntagsgesetz“ ist in der März-Ausgabe 2021 der Kirchenzeitschrift „adventisten heute“ ab Seite 8 nachzulesen: https://www.advent-verlag.de/media/pdf/8d/d6/33/AH_2021_03.pdf.