Der Krieg in der Ukraine führt es uns vor Augen: Europa ist in seiner friedlichen Existenz gefährdet. Bedroht ist aber auch der soziale Frieden. Seit Jahrzehnten verzeichnen Europa und unser Land wirtschaftliches Wachstum, gleichzeitig jedoch werden das gesellschaftliche Klima und der politische Diskurs immer rauer. Auch viele Deutsche erleben, dass soziale Probleme und Unzufriedenheit zunehmen, dass sich die Gesellschaft spaltet. Es sind schwere Zeiten für den Frieden und damit für viele von uns. Und so stellt sich die Frage, was wir tun können, um den Zusammenhalt zu stärken.
Viele Vorteile für Gesellschaft und Absolventen
Das beste Mittel zum Schutz des sozialen Friedens ist eine tief verankerte gesellschaftliche Solidarität. Wir benötigen daher eine sozialpolitische Initiative, mit der wir gesellschaftlichen Zusammenhalt nachhaltig sichern. Deshalb plädiere ich für die Einführung eines Allgemeinen Sozialen Jahres (ASJ) für alle Schulabgänger in Deutschland – und perspektivisch auch in der Europäischen Union. Das ASJ wird soziale Kompetenz und Intelligenz der Absolventinnen und Absolventen fördern, weil diese ein besseres Verständnis für die Herausforderungen ihrer Gemeinwesen entwickeln. Es wird durch intensiven Austausch und Begegnungen zwischen sozialen Gruppen und Schichten Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit ermöglichen. Das ASJ ist ein wertvoller Beitrag zur dringend benötigten Linderung des zu erwartenden Pflegenotstands in Deutschland. Und es trägt dazu bei, eine solidarische europäische Bürgeridentität zu entwickeln, die Europa als grenzüberschreitende Wertegemeinschaft erlebbar macht.
Das Grundgesetz ändern
Umfragen zeigen schon seit Jahren, dass die Mehrheit der Deutschen eine solche soziale Pflichtzeit befürwortet. Jetzt ist die Politik aufgerufen, für die rechtlichen Rahmenbedingungen zu sorgen, indem sie das Grundgesetz im Sinne unseres schutzbedürftigen Gemeinwesens um ein Allgemeines Soziales Jahr als Bürgerpflicht ergänzt. Mit einem Pflichtjahr, das nicht bloß ein Wehrersatzdienst ist wie früher der Zivildienst, würden wir ein wirkungsvolles neues Instrument zur Stärkung gesellschaftlicher Solidarität schaffen. Sozialer Dienst ist ein Wert an sich und muss nicht nur mit der Ablehnung des Dienstes an der Waffe begründet sein.
Neue große Nöte bedürfen neuer, mutiger Gedanken: Nie war dieser Satz Friedrich von Bodelschwinghs aktueller. Deshalb plädiere ich für die Einführung eines Allgemeinen Sozialen Jahres.
Der Autor, Pastor Ulrich Pohl (Bielefeld), ist Vorstandsvorsitzender der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel.