Menü
Sie sind hier:

Deutschland muss sich ändern (Kommentar)

Von: ADVENT VERLAG Datum Beitrag: 22.01.2016 Kommentare: Keine Kommentare Tags:

(“Adventisten heute-Aktuell”, 22.1.2016) Wo immer man sich in Europa und den USA aufhält – beinahe überall begegnet man einem strahlenden Deutschland-Bild. Deutschland gilt als wohlhabend und sozial, und alle Welt traut dem Land zu, noch schwerere Lasten zu schultern. Das schmeichelt uns und entlastet die anderen. Aber trifft dieses Bild auch zu? Nach Silvester hatten wir einen kurzen Wintereinbruch. Der erinnerte uns wieder prompt an die notorische Schieflage bei der Bahn. Wie jedes Jahr froren Weichen ein und versagte manche Heizung in den Zügen. Kurz darauf war ich zu einem Vortrag im Norden Norwegens. Dort kennt man derlei Probleme nicht, obwohl es in Norwegen bekanntlich sehr viel länger Schnee und Frost gibt als bei uns. Ein Ausweichen auf die Straße ist ebenfalls kaum möglich, weil jahrelang zu wenig in die Sanierung von Straßen und Brücken investiert wurde und ein großer Teil des europäischen Lastwagenverkehrs durch Deutschland rollt. Der immer mehr anschwellende, weil günstige Fernbus-Verkehr erschwert das Durchkommen noch mehr. Es gibt kaum eine der großen Autobahnstrecken durch die Republik, die sich nicht innerhalb von 300 km mindestens zwei Mal zu einspurigen Langzeitstaus verengt.

Zwischen Beruhigungsrhetorik und Skandalgeschrei

Die Silvester-Übergriffe, vor allem von Migranten, in Köln, Hamburg und anderen deutschen Städten erinnern uns daran, dass aufgrund der eisernen Sparpolitik in Bund und Ländern – gegen alle Warnungen – auch die Zahl der Polizeikräfte immer mehr reduziert wurde. Es fehlt an allem, vor allem aber an einer schonungslosen Analyse und am Aussprechen der Wahrheit. Nach anfänglichen Versuchen von Politikwissenschaftlern, Historikern, Soziologen und anderen Wissenschaftlern, auf die Probleme im Zusammenhang mit dem massenhaften Zuzug von Menschen aus anderen Kulturen – insbesondere auf die hohe Zahl junger Männer – aufmerksam zu machen, hüllten sich die Analytiker der Republik meist in Schweigen. Denn jeder, der Einwände vorbrachte, musste fortan mit der Diffamierung leben, ein wirklicher oder potenzieller Rechtsradikaler zu sein.Vielleicht ist dieser eingeschränkte Diskurs unser ärgstes Problem. Vollmundig erklären die Verantwortlichen, was sie alles schaffen und dass sie die Probleme in den Griff bekämen. Lösungsansätze aber nimmt der Bürger nicht wahr. Vielmehr sieht er ein meist hilfloses Stochern hier und da – in der Hoffnung, dass sich die Dinge schon irgendwie wieder von selbst zurechtziehen werden. Der Aufschrei nach Köln, Hamburg usw. ist verlogen. Plötzlich will keiner mehr die Bedenken jener, die frühzeitig gewarnt hatten, kleingeredet und lächerlich gemacht haben. Im beständigen Wechsel zwischen kraftmeierischer Beruhigungsrhetorik und hilflosem Skandalgeschrei kann der Bürger eine klare Lösungsstrategie nicht erkennen.

Nur symbolische Einsätze der Bundeswehr

Die allgemeine Wehrpflicht wurde rasch abgeschafft. Der Dienst in der Bundeswehr ist aber so wenig attraktiv, dass auch aufwändige Werbung kaum dazu führt, die erheblichen Lücken im Personalbestand zu füllen. Dennoch übernimmt die Bundeswehr eine neue Verpflichtung nach der anderen. Sie kann dies aber meist nur symbolisch tun, weil ihr nicht genug Soldaten und vor allem kaum funktionsfähiges Gerät zur Verfügung steht. Schon jetzt ist beispielsweise abzusehen, dass die geringe Verstärkung der Truppe in Afghanistan die Taliban nicht aufhalten wird. Warum sagt das nur keiner offen? Man kann allein darauf hoffen, dass die deutschen Soldaten vor dem nächsten Sturm rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden.

Die deutschen Hochschulen platzen – bis auf die Theologischen Fakultäten – aus allen Nähten, sind chronisch unterfinanziert und können in Lehre und Forschung das Niveau vergleichbarer Industriestaaten nicht halten. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, tauchen sie auf der weltweiten Uni-Bestenliste gar nicht mehr auf. Wie können wir unter diesen Umständen vermeiden, von anderen Nationen restlos abgehängt zu werden?

Die Kirchen fügen sich nahtlos ein

Die beiden großen Kirchen fügen sich bestens ins Bild dieser großmäuligen und doch so maroden Republik. Obwohl die Zahl der Kirchenmitglieder Jahr für Jahr dramatisch zurückgeht, nehmen die Kirchen immer mehr Steuergelder ein und zelebrieren öffentlich große Staatskirche. Ihre Bischöfe ergehen sich in christlich-sozialen Allgemeinplätzen und suchen die Regierung in ihrer wirren Flüchtlingspolitik noch zu stützen, die Kritiker in den eigenen Reihen dagegen mundtot zu machen.

Kaum einer interessiert sich noch wirklich für kirchliche Stellungnahmen, aber die Fassade einer politisch einflussreichen Kirche vor großem Publikum soll bestehen bleiben. Alle sollen tolerant miteinander umgehen, Verständnis füreinander haben und sich ruhig und brav verhalten – eine richtige Mutti-Republik eben. Gegensätze werden nicht mehr ausgetragen, sondern medial untergepflügt. Margot Käßmann verbreitet über die “Bild am Sonntag”, wir möchten doch die positiven Seiten mehr betonen als die negativen.

Eine schonungslose Bestandsaufnahme ist nötig

Das Land bedarf einer grundlegenden Bestandsaufnahme. Was können wir mit welchen Mitteln – Geld, Menschen und Wissen – noch leisten und was nicht? Wie ist es in Wahrheit mit den Werten und Normen in unserem Land bestellt, die wir stets wie einen Bauchladen vor uns hertragen? Vertreten wir sie denn auch glaubwürdig? Welche Weichenstellungen sind jetzt nötig, und was müssen wir in Zukunft vermeiden? Noch wird die ganze Misere von der wirtschaftlichen Prosperität des Landes überdeckt. Aber dunkle Wolken – etwa die ökonomische Situation in China – tauchen am Horizont auf. Ist das Land für die nächste Finanz- und Wirtschaftskrise gerüstet? Wenn nicht, werden alle Defizite schonungslos zutage treten. Dann ist die marode Republik endlich ganz nackt. (idea) Gerhard Besier (Dresden) ist habilitierter evangelischer Theologe, promovierter Historiker und Diplom-Psychologe. Er lehrt an verschiedenen europäischen Universitäten und an der Stanford Universität in Kalifornien.

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert