Verschwörungsmythen und Antisemitismus bilden schon seit Tausenden von Jahren eine Symbiose. Das sagte die Islamwissenschaftlerin und Journalistin Carmen Shamsianpur (Tübingen) auf dem Kongress „Antisemitismus heute“ in Schwäbisch Gmünd. Veranstalter waren die Arbeitsgemeinschaft für das missionarische Zeugnis an Israel (amzi), die Christliche Medieninitiative pro, die Deutsche Evangelische Allianz, der Evangeliumsdienst für Israel (EDI), das Europäische Institut für Migration, Integration und Islamthemen (EIMI) und das Christliche Gästezentrum Württemberg (Schönblick) in Schwäbisch Gmünd. Insgesamt nahmen 280 Gäste daran teil. Bereits in 2. Mose 1 werde berichtet, dass der Pharao einen Mord an den Kindern der Israeliten plane. Er habe befürchtet, dass sie zu zahlreich würden und sich bei einem Krieg mit den Feinden Ägyptens verbünden könnten. Auch heute seien antisemitische Vorurteile eng mit Verschwörungsmythen verbunden. „Eine Beziehung zwischen der angenommenen Verschwörung und den Juden wird schnell hergestellt.“ Leider seien gerade religiöse Menschen, auch Christen, anfälliger für derartige Verschwörungsmythen als nichtreligiöse Menschen, was Umfragen immer wieder bestätigten. „Das liegt daran, dass wir Christen grundsätzlich von der Existenz des Bösen und der unsichtbaren Welt ausgehen. Und deshalb sind wir eher bereit, Verschwörungstheorien für wahr zu halten.“ Christen sollten sich jedoch weniger damit beschäftigen, was andere Menschen möglicherweise für böse Dinge täten, als mit der eigenen Sündhaftigkeit. „Wir sind nicht die Guten, die gegen Verschwörungen kämpfen müssen, sondern selbst begnadigte Sünder.“
Antisemitismus: Juden meiden heute wieder bestimmte Orte
Die deutsche „Mehrheitsgesellschaft ignoriert, dass Juden zunehmend bestimmte Orte meiden, jüdische Symbole ablegen, seltener am jüdischen Religionsunterricht teilnehmen und ihre jüdische Identität verschweigen“. Diese Ansicht vertrat der evangelische Schuldekan für die Kirchenbezirke Calw-Nagold und Neuenbürg, Thorsten Trautwein, auf dem Kongress. Er habe diesen Eindruck durch Gespräche mit und Umfragen unter jüdischen Mitbürgern gewonnen. Die Mehrheitsgesellschaft nehme deren Situation jedoch kaum wahr, bagatellisiere sie oder reagiere allenfalls kurzfristig betroffen. Angesichts einer jahrhundertelangen Geschichte mit Duldung, Assimilation und immer wiederkehrenden Verfolgungen besäßen Juden jedoch eine hohe Sensibilität gegenüber Antisemitismus, so Trautwein. Ein Problem sehe er auch darin, dass nur wenige Menschen Juden persönlich kennen oder schon einmal in Israel gewesen sind. Der Antisemitismus nehme „die Wirklichkeit verzerrt wahr“ und sei keine Meinung, sondern ein Angriff auf Juden sowie auf „die demokratische Grundordnung unseres Landes“. Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dem Antisemitismus zu begegnen. Trautwein stellte jedoch auch fest: „Es wird immer Antisemitismus geben und er nimmt wahrscheinlich zu – in Quantität und Schärfe.“