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„Stille Nacht, heilige Nacht“ – ein Lied für Milliarden

In der Christmette sagen dann Mohr und Gruber die beiden Solo-Männer-Stimmen, während Mohr die Gitarre spielte und der Kirchenchor den Refrain sang. Die Gemeinde reagierte begeistert. (Foto: Gareth Harper/ unsplash.com)

Das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“ erklang erstmals am 24. Dezember 1818 in der Dorfkapelle St. Nikola im salzburgischen Oberndorf. Schon im darauf folgenden Jahr trat es seinen unglaublichen Siegeszug durch die Welt an. In mehr als 320 Sprachen ist es übersetzt worden und gehört zum nationalen UNESCO-Kulturerbe.

Wie auch sonst bei Traditionellem ist dieses geistliche Volkslied nicht nur beliebt, sondern auch umstritten, verhöhnt und verspottet, ja regelrecht bekämpft worden. Welcher Jugendliche hat nicht gegen diesen „Kitsch“ rebelliert, um später wieder von diesem Lied in seinen Bann gezogen worden zu sein? Der Startenor Placido Domingo meinte, dieses Weihnachtslied sei am besten geeignet als Welt-Friedenslied. Tatsächlich ist dieses Lied aber keine stimmungsvolle Utopie, sondern voll Freude über das Kommen des Retters Jesus für die Menschen aller Völker. Es war das biblische Weihnachtsevangelium, das die zwei jungen Männer – der Hilfspriester Joseph Franz Mohr und der Aushilfsorganist Franz Xaver Gruber – bei der heimatlichen Christmette zum Klingen bringen wollten: „Jesus, der Retter, ist da!“ So heißt es in der ursprünglichen Fassung des Liedes. Vor der Geburt in Bethlehem hatte ein Engel Josef im Traum den Namen Jesus gedeutet: „Er wird sein Volk retten von ihren Sünden.” Auf dem Hirtenfeld von Bethlehem wird das Kind in der Krippe dann „Heiland“ genannt, also Retter, „Christus und Herr“, somit Messias und Weltenherrscher. Im später abgeänderten Text heißt es jetzt „Christ, der Retter, ist da!“.

Aus ärmlichen Verhältnissen

Der Text des Liedes war schon zwei Jahre zuvor im österreichischen Mariapfarr im Herzen des Salzburger Landes als Gedicht von dem Hilfspriester Joseph Franz Mohr verfasst worden. Mohr, 1792 in Salzburg unehelich geboren, brauchte, um Priester werden zu können, eine päpstliche Sondererlaubnis. Mohrs Vater war ein desertierter Infanteriesoldat und hatte die ledige Stickereiarbeiterin mit dem Kind sitzen lassen. Ein Domvikar in Salzburg wurde auf den aufgeweckten Jungen aufmerksam und finanzierte ihm das Gymnasium und dann das Theologiestudium. 1815 wurde er zum Priester geweiht. Heute bezeichnet sich Mariapfarr als sonnenreichster Ort Österreichs.

Die Not weckte die Frömmigkeit des Volkes

Damals aber, als Mohr sein Gedicht verfasste, gab es nach den napoleonischen Kriegen unsagbar viel Hunger, Elend und Not. Tausende von Straßenkindern irrten hungernd und frierend umher. Durch eine Naturkatastrophe – ausgelöst durch eine riesige Aschewolke des Vulkans Tambora in Indonesien – fiel der Sommer aus. Es regnete fast pausenlos. Gewitterstürme und Hagel vernichteten große Teile der Ernte. Was noch übrig blieb, wurde schon im Herbst unter Schnee begraben. Es folgte dann das „Hungerjahr“ 1817, in dem der Getreidepreis bis auf das Dreifache anstieg. Die große wirtschaftliche Not weckte die Frömmigkeit des breiten Volkes, drängte aber auch viele zur Auswanderung nach Amerika und Russland. Das in dieser Zeit geschriebene Gedicht von Josef Mohr war ursprünglich umfangreicher als das heute dreistrophige Lied. So waren zwischen dem jetzt bekannten zweiten und dem letzten Vers weitere drei Strophen eingeschoben:

Stille Nacht! Heilige Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
aus des Himmels goldenen Höhn
uns der Gnade Fülle lässt sehn:
Jesus in Menschengestalt.
 
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Wo sich heut alle Macht
väterlicher Liebe ergoss
und als Bruder huldvoll umschloss
Jesus die Völker der Welt!
 
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Lange schon uns bedacht,
als der Vater, vom Grimme befreit,
in der Väter urgrauer Zeit
aller Welt Schonung verhieß.

„Stille Nacht“ ohne Orgel

1817 wurde Joseph Franz Mohr als Hilfspriester in das kleine Grenzdorf Oberndorf versetzt, das damals vom Königreich Bayern nach Österreich angeschlossen wurde. In seiner burschikosen Art eckte der junge Priester an. Sein Vorgesetzter meinte: Es zieme sich nicht, mit der langen Tabakspfeife auf der Gasse zu gehen und im Wirtshaus mit der Gitarre weltliche Lieder zu singen. Mohr hatte aber auch Freunde. Dazu gehörte der Aushilfsorganist Franz Xaver Gruber, ein Dorfschullehrer in Arnsdorf. Er stammte als Sohn eines Leinenwebers aus ärmlichen Verhältnissen aus Hochburg-Ach im Innviertel. Der 20-jährige Lehrer verheiratete sich mit der 13 Jahre älteren Witwe seines Vorgängers im Küsterdienst. Als Aushilfsorganist verdiente er sich noch in Oberndorf etwas Geld.

Es muss eine spontane Idee gewesen sein

Durch ein vor 20 Jahren aufgefundenes handschriftliches Dokument ist eindeutig geklärt, wie das Weihnachtslied entstand. Bei der Vorbereitung zum Gottesdienst am Heiligen Abend 1818 übergab der Hilfspriester Mohr dem musikalisch begabten Lehrer und Organisten Gruber sein vor zwei Jahren entstandenes Gedicht mit der Bitte, innerhalb weniger Stunden bis zum Abend eine passende Melodie zu komponieren. Es muss eine spontane Idee gewesen sein. Dass die Orgel schadhaft war und nicht benutzt werden konnte, wird erzählt. Aber warum musste gerade dann ein neues Lied her und nicht ein traditionell bekanntes? Das gab Anlass für viele Erzählungen und Legenden. In der Christmette sagen dann Mohr und Gruber die beiden Solo-Männer-Stimmen, während Mohr die Gitarre spielte und der Kirchenchor den Refrain sang. Die Gemeinde reagierte begeistert.

Tönt es laut von fern und nah

Durch einen Orgelbauer aus Fügen, der das Instrument in Oberndorf reparierte, soll im darauf folgenden Jahr das Weihnachtslied schon bei der Christmette im vorderen Zillertal gesungen worden sein. Und wenig später wurde es bei einem Besuch des habsburgischen Kaisers Franz I. und des russischen Zaren Alexander I. im Schloss des Grafen Dönhoff in Fügen vorgetragen. Die Zillertaler Sängerfamilien Rainer und Strasser machten bei ihren Konzerten das Lied über Leipzig, St. Petersburg und London weit bekannt. Schon 1839 trugen sie es in der Trinity Church an der Wallstreet in New York vor. Der preussische König Friedrich Wilhelm IV. wollte im Jahr 1854 den Urheber des Liedes wissen und fragte in Salzburg nach. Man meinte, es sei wohl der berühmte Michael Haydn gewesen. Der Melodienschöpfer Franz Xaver Gruber aber klärte schriftlich die Urheberschaft und fügte zum Beweis eine Kopie des Originals bei.

Der Priester Joseph Mohr war schon ein Jahr nach der Entstehung des Liedes auf verschiedene Aushilfsstellen versetzt worden, bis er im salzburgischen Wagrain die letzten zehn Jahre seines Lebens wirkte. Unermüdlich setzte er sich für die Armen ein, gründete eine Schule und einen Hilfsfonds, der armen Kindern den kostenlosen Schulbesuch ermöglichte. Auch ein Alten- und Pflegeheim geht auf ihn zurück. In großer Armut starb er mit 56 Jahren an einer Lungenlähmung am 4. Dezember 1848. Ganz anders der Melodienschöpfer Franz Xaver Gruber. Er brachte es als „Stadtpfarrchorregent“ in Hallein zu Ansehen und auch bescheidenem Wohlstand. Dort starb er im Alter von 76 Jahren.

Stille Nacht, heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
nur das traute, hochheilige Paar.
Holder Knabe im lockigen Haar,
schlaf in himmlischer Ruh.
 
Stille Nacht, heilige Nacht!
Gottes Sohn, o wie lacht
Lieb aus deinem göttlichen Mund,
da uns schlägt die rettende Stund,
Christ, in deiner Geburt.
 
Stille Nacht, heilige Nacht,
Hirten erst kundgemacht!
Durch der Engel Halleluja
tönt es laut von fern und nah:
Christ, der Retter ist da!
 

Die Autoren, Beate und Winrich Scheffbuch, leben in Stuttgart. Sie forschen und schreiben über Kirchenlieder, ihre Komponisten und Dichter.

 


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