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Soldaten ohne Eid und Waffen

Das Erkennungszeichen der Bausoldaten: der Spaten. (Foto: Peter Smola/ pixelio.de)

Ihre Waffen waren nicht Panzer oder Gewehr, sondern Überzeugung und Gottvertrauen. Rund 15.000 junge Männer leisteten in der DDR zwischen 1964 und 1989 den Wehrdienst zwar innerhalb der Nationalen Volksarmee (NVA), aber ohne Waffe – die meisten von ihnen wohl wegen ihres christlichen Glaubens. Bis heute trifft sich eine Gruppe der Ehemaligen – die Bausoldaten-Gemeinschaft ’64 – regelmäßig. Ein Bericht von idea-Redakteurin Lydia Schubert.

Der frühere Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) war einer, der Dresdener Theologe Harald Bretschneider und der neue Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, ebenso. Die Rede ist von den Bausoldaten. Zwei Jahre nach Einführung der offiziellen Wehrpflicht in der DDR wurde 1964 ein Gesetz erreicht, das jungen Männern in der DDR diese Alternative zum Wehrdienst ermöglichte. Das Abweichen von der Norm machte sie zu Außenseitern – sorgte aber auch für eine besondere Verbundenheit. Dass diese teilweise bis heute anhält, zeigen unter anderem die zehn Männer, die sich in Schilbach (bei Schöneck) im sächsischen Vogtland versammelt haben. Manche von ihnen sind mit Ehefrau angereist. Sie alle trugen einst den Spaten – das Erkennungszeichen der Bausoldaten. Anfangs noch in Gold auf den Schulterklappen, wurde er später lediglich aufgestickt. An den Grund kann sich Eckart Wicher, der Organisator des Treffens, noch gut erinnern: „Einige der Offiziere der NVA kannten das Zeichen nicht und salutierten vor uns – in der Annahme, einen Ranghöheren vor sich zu haben.“

Zehn Tage im Militärgefängnis

Wichers Musterung fand im Frühjahr 1964 statt. Gerade noch rechtzeitig wurde im darauffolgenden Herbst dann die Bausoldatenordnung eingeführt. Die Gruppe der sogenannten 64er war damit die erste, die den waffenlosen Wehrersatzdienst antrat. „Unmittelbar nach Erscheinen des Gesetzes eingezogen zu werden, verschaffte uns vielleicht einige Vorteile – man wusste noch nicht so richtig, wie mit uns umzugehen war. Es machte uns aber auch zu Exoten“, erinnert sich der heute 80-Jährige. Wie er standen auch seine Kameraden mit Mitte zwanzig fest im Berufsleben und/oder waren dabei, eine Familie zu gründen. Andere wurden in der Regel bereits früher, mit 18 oder 19 Jahren eingezogen – Christen und Verweigerer aus Schikane erst Mitte oder Ende 20. Für Wicher ging es nach Bärenstein im Erzgebirge. Seine Frau Helga musste er – gerade zwei Jahre verheiratet – schweren Herzens in Eisenach zurücklassen. So wie dem Paar erging es auch vielen anderen. Aber selbst dort wurde versucht, auch auf Helga Wicher Einfluss zu nehmen. „Meine Frau bekam die Anweisung, jeden Brief an mich an ‚Genosse Eckart Wicher’ zu adressieren“, so der Diakon. „Sie hat sich geweigert – und ihre Briefe an mich wurden zurückgehalten.“ Auch Wicher selbst machte nicht alles mit, was seine Vorgesetzten verlangten. Als die Bausoldaten etwa beim Bau von Schießgärten und -plätzen eingesetzt werden sollten, war für ihn eine Grenze überschritten. „Damit hätte ich indirekt ja doch die Arbeit der Soldaten unterstützt.“ Weil er sich weigerte, ging es zehn Tage ins Militärgefängnis in Leipzig. Immerhin durfte Helga ihn dort besuchen.

Der Glaube hält uns zusammen

Auch aufgrund solcher Gespräche, sagt Wicher heute im Rückblick, möchte er die Zeit nicht missen. „Ich habe vieles gelernt, vor allem im Umgang mit Menschen“, erklärt der Rentner. „Und wir haben mit unserer Entscheidung auch ein Zeichen gesetzt und damit wohl an vielen Stellen zum Nachdenken beigetragen.“ Umso wichtiger ist ihm der Zusammenhalt unter den Ehemaligen, der auch heute – mehr als 50 Jahre nach der Einberufung – noch da ist. Seit ihrer Entlassung trifft sich die Gruppe alle zwei Jahre an verschiedenen Orten. Auch wenn die Zahl aufgrund von Krankheiten oder Todesfällen zurückgeht – wer es irgendwie einrichten kann, kommt. „So eine Zusammenkunft ist wohl einzigartig unter den Bausoldaten. Heute sind wir fast alle über 80, aber die Treffen sind uns wichtig“, freut sich Wicher. Doch nicht allein die Erinnerung verbindet. „Wir verstehen uns als geistliche Gemeinschaft. Zu uns gehören evangelische Christen, Adventisten, ehemalige Zeugen Jehovas. Was uns zusammenhält, ist der Glaube, darum treffen wir uns.“ Das bestätigen auch andere Teilnehmer. Neben den Ausflügen und gemeinsamen Mahlzeiten sind darum auch die Morgenandacht, Gebetszeiten und Angebote zur Seelsorge feste Bestandteile der viertägigen Versammlung.

Verlorene Monate

Auch der ehemalige Bausoldat Georg Harpain ist Diakon. Für ihn sind die 18 Monate Wehrersatzdienst in Bärenstein jedoch welche, die er gerne aus seinem Lebenslauf streichen würde. „Meine Frau war damals gerade schwanger geworden. Ich konnte das alles nicht miterleben. Diese Zeit fehlt mir, ebenso das erste Jahr mit meiner Tochter“, stellt er klar. Gleich bei seiner Einberufung stellten ihn die Offiziere zudem auf die Probe – und zwar mit Hilfe einer Aussage des damaligen Thüringer Bischofs Moritz Mitzenheim. Dieser hatte 1962 in einem Pfarrbrief betont, dass die Kirche dem Staat aufgrund der bisherigen lutherischen Lehre „nicht das Recht bestreiten könne, zum Schutze der Bevölkerung seine Bürger an der Waffe auszubilden und zum Wehrdienst heranzuziehen“. Im Rückblick sieht es Harpain heute als eine Art himmlische Eingabe, dass er den sieben anwesenden Offizieren erwidern konnte: „Ich muss dereinst vor Gott verantworten, was ich getan habe, Sie ebenso und unser Landesbischof auch.“ Darin ist sich die Gruppe einig: Trotz aller Bewahrung war die Zeit auch von Angst und Ungewissheit geprägt. „Jedes Mal, wenn die Einberufung kam, haben wir gezittert, ebenso unsere Frauen“, erinnern sie sich. Auch die Verwandtschaft stand nicht immer hinter der Entscheidung. Dazu kam die Frage nach der Zukunft: Wie geht es nach dem Dienst weiter – beruflich, privat? „Damals wusste ja auch keiner, wie viele in der DDR eigentlich sagten: Ich nehme keine Waffe in die Hand“, ergänzt Harpain. „Man wusste von Einzelnen, die eingesperrt wurden – dass es einige Hundert waren, ahnten wir aber nicht.“

Baustein der Friedlichen Revolution

Einer dieser einigen Hundert war auch der Berliner York Albrecht. Der 81-Jährige ist ebenfalls zu dem Treffen ins Vogtland angereist. Als überzeugten Antikommunisten sah er sich bereits mit Anfang 20. Die Wehrdienstverweigerung brachte ihm zehn Tage Haft – und schließlich einen Platz bei den Bausoldaten. In Bärenstein teilte er sich sein Zimmer mit sieben anderen Männern. „Das war manchmal nervig, hat aber auch zusammengeschweißt.“ Jeden Tag schrieben die Männer nach Hause und bekamen auch fast jeden Tag Post von ihren Lieben, manchmal sogar Pakete mit Kuchen. Während der Grundausbildung hielten die Männer ihre Gottesdienste sonntags in der Kaserne ab. Danach bekamen sie Ausgang, um eine der umliegenden Gemeinden zu besuchen. „Da wurden wir auch öfters von Gemeindemitgliedern zum Mittagessen eingeladen. Manche Bekanntschaften hielten danach an.“ Auch eine eigene Zeitung für die Bausoldaten brachte er heraus, die BP aktuell (BP für Baupioniere). „Im Grunde war es eine lehrreiche Zeit“, sagt Albrecht nachdenklich. „Nur manchmal, wenn ich im Wald war und der Zug nach Berlin vorbeirauschte – da kamen mir doch die Tränen.“ Umso wichtiger war es den 64ern, ihre Nachfolger zu unterstützen, jeder an seinem Ort. Die Friedliche Revolution von 1989 sehen sie in erster Linie als Segen und Ergebnis vieler „Tropfen“, die schließlich „den Stein höhlten“: „Es wäre vermessen, nur die Rolle der Bausoldaten herauszustellen. Wir waren ein Baustein, ein anderer die Dokumentation der Wahlfälschung, die Initiativen in den Gemeinden und Friedensgebete.“ In die versonnene Stille hinein stimmt Wicher den Kanon „Dona Nobis Pacem“ an, dessen Liedzeilen die gemeinsame Haltung, den Wunsch und die Hoffnung aller Versammelten  ausdrückt: „Herr, gib uns Frieden“.

Bausoldaten

Auf dem Gebiet der DDR gab es mehrere Standorte, an denen Bausoldaten zum Einsatz kamen. Etwa 3.300 dienten in Prora auf der Insel Rügen,  wo heute ein Bildungs- und Forschungszentrum an die Waffendienstverweigerer erinnert. Zu ihren Aufgaben gehörte es, Panzerplatten aus Beton zu legen, Schächte auszuheben oder in Unterseeglocken Verstrebungen an den Stahlträgern zu schweißen. In späteren Jahren folgten Einsätze als Hausmeister, Dienstpersonal oder Heizer im NVA-Erholungsheim. Ab den 1980ern wurden die jungen Männer schließlich auch zur Arbeit in der Chemieindustrie sowie auf Großbaustellen verpflichtet. Neben der schweren körperlichen Arbeit erwartete sie dabei oft Schikane von Vorgesetzen. Für die jungen Männer hatte die Verweigerung des Waffendienstes auch nach Ableistung der 18-monatigen Pflichtzeit Auswirkungen: Ein Studium blieb ihnen verwehrt, allein Theologie war noch erlaubt.


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