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Gourmetmenü statt Gotteslob - Ehemalige Gotteshäuser nutzen

Statt Kirchen abzureißen, lieber überlegen, wie man sie stattdessen nutzbar machen könnte. (Foto: keem ibarra/ unsplash.com)

Die beiden großen Kirchen geben wegen des anhaltenden Mitgliederschwunds und der hohen Betriebskosten immer öfter Kirchengebäude auf. Während in manchen auch weiterhin Jesus Christus gelobt wird, erleben andere eine zweite, weitaus profanere Nutzung. Was eine angemessene Nutzung für die ehemaligen Gotteshäuser ist – darüber sind Experten nicht immer einer Meinung. Ein Bericht von idea-Redakteur David Wengenroth.

 

Für den Reformator Martin Luther (1483–1546) war die Sache klar. Wenn in eine Kirche keine betenden Christen mehr kämen, „sollt man dieselben kirchen abbrechen, wie man allen anderen

hewßern thutt, wenn sie nymmer nütz sind“. Anders als zur Zeit Luthers stellt sich das Problem heute ganz praktisch: Die großen Kirchen verlieren Gottesdienstbesucher und Mitglieder. Nach den jüngsten Zahlen der EKD gibt es in Deutschland rund 20.000 evangelische Kirchen und Kapellen. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz verfügt in ihrem Bereich über rund 23.000 Gotteshäuser. Immer öfter kommt es vor, dass die Unterhaltskosten für ein Kirchengebäude einer schrumpfenden Gemeinde über den Kopf wachsen – oder eine Kirche wegen der schwindenden Zahl der Gottesdienstbesucher schlicht nicht mehr gebraucht wird.

Das Problem tritt längst (noch) nicht überall auf. In den ländlichen Regionen der westdeutschen Bundesländer kommt es selten vor. Auf die Frage, wie viele Kirchenbauten etwa die Evangelische Kirche der Pfalz seit 1990 aufgegeben habe, antwortet Pressesprecher Wolfgang Schumacher (Speyer) knapp: „Keine“. In Ostdeutschland und in westdeutschen Großstädten häufen sich dagegen die Fälle von Kirchen, die niemand mehr braucht – zumindest nicht, um Gottesdienst darin zu feiern.

Abriss ist die Ausnahme

Entgegen dem Rat des Reformators kommt aber nur selten die Abrissbirne zum Einsatz. Das hat verschiedene Gründe. So sind Kirchen in vielen Städten und Dörfern die interessantesten Bauwerke überhaupt. Sie haben, wie Stadtplaner sagen, „einen hohen Identitätswert“ für die örtliche Bevölkerung – auch für die Nichtchristen. Deshalb besteht in vielen Fällen die staatliche Denkmalschutzbehörde auf den Erhalt eines Kirchenbaus – manchmal sehr zum Ärger der kirchlichen Hausherren. Vor allem bei Kirchen, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden, gehen die Meinungen über ihre Erhaltungswürdigkeit oft auseinander. So beschloss das katholische Ruhrbistum im Jahr 2005, die 1961 erbaute St.-Elisabeth-Kirche in Gladbeck-Ellinghorst abzureißen. Die Denkmalschutzbehörde erhob Widerspruch. Gerade die „Nachkriegskirchen“ seien bauhistorisch besonders interessant, erklärte sie zur Begründung –und bekam nach langem Streit 2016 vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen recht. St. Elisabeth durfte nicht abgerissen werden. Aber meistens sehen auch Gemeinden und Kirchenämter selbst einen Abriss nur als letzte Möglichkeit. Die Kirchengebäude seien zwar nach evangelischem Verständnis keine „heiligen Räume“, erklärte 2006 der damalige Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Wolfgang Huber, aber sie hätten eben „eine besondere Aura“. Es sei „in ihnen zu spüren, dass sie durchbetete, dem Wort Gottes gewidmete Räume sind“.

Basketball im Kirchenschiff

Dann aber stellt sich die Frage, wie die alten Mauern auf andere Weise mit Leben gefüllt werden können. Denn so viel ist klar: Wenn Kirchen besondere Gebäude sind, kommt für sie nicht jede Nutzung infrage. „Sie sind und bleiben Orte von besonderem Charakter. Ungezählte Glaubens- und Lebenserfahrungen, gute und schlechte, verbinden sich mit Kirchräumen“, so die stellvertretende Pressesprecherin der westfälischen Landeskirche, Andrea Rose (Bielefeld). Deshalb dürfe mit ihnen „nichts geschehen, was diesem besonderen Charakter widerspricht“. Dabei geht es nicht zuletzt um die Außenwirkung, erklärt der Leiter des Bauamtes der berlin-brandenburgischen Kirche, Matthias Hoffmann-Tauschwitz. Seine Kirche gab 2006 eigens eine Broschüre zum „lebendigen Gebrauch“ von nicht mehr benötigten Kirchenbauten heraus. „Was immer auch in und mit Kirchen geschieht, in der Öffentlichkeit werden sie zunächst stets als Orte des christlichen Glaubens und Lebens wahrgenommen“, heißt es darin. Deshalb müsse in jedem Fall eine „angemessene Nutzung“ gefunden werden.

Aber was genau ist eine „angemessene Nutzung“? In Trier dient zum Beispiel die ehemalige Reichsabtei St. Maximin heute als Turn- und Veranstaltungshalle. Wo früher die Gläubigen in Kirchenbänken knieten, spielen heute die Schüler der katholischen Realschule unter den gotischen Dachbögen Basketball. Ähnliches soll mit der ehemaligen evangelischen Lukas-Kirche in Düsseldorf-Eller passieren. Anfang Januar hat die Stadt Düsseldorf beschlossen, sie von der Kirchengemeinde zu kaufen und dort ein Jugendzentrum einzurichten. Im ehemaligen Kirchenschiff sollen bald Fußballtore, Basketballkörbe, Skateboardbahnen und eine Kletterwand aufgestellt werden. Was manchem konservativen Kirchgänger kalte Schauer über den Rücken jagen dürfte, ist für Hoffmann-Tauschwitz kein Problem. Eine angemessene Nutzung für einen ehemaligen Kirchraum sei grundsätzlich alles, was der Allgemeinheit diene, meint der Kirchenoberbaurat. „Deshalb ist eine Nutzung als Turnhalle im Prinzip möglich.“

Vom Gotteshaus zum Gourmettempel

Für problematisch hält Hoffmann-Tauschwitz dagegen, was aus der ehemaligen evangelischen Martini-Kirche in Bielefeld geworden ist. In ihr betreibt der Gastronom und Geschäftsmann Achim Fiolka das Szene-Restaurant „Glück und Seligkeit“. Er war 2005 der Erste, der eine Kirche dieser Größenordnung komplett zum Gastronomiebetrieb umbaute. Wo einst Christen Gott die Ehre gaben, können sich Gäste heute auf insgesamt 620 Quadratmetern kulinarisch verwöhnen lassen. Kleinere Kirchenbauten beherbergen mittlerweile auch andere gastronomische Angebote. So dient die ehemalige katholische Josef-Kapelle in Köln dem „Hopper-Hotel S. Josef“ heute als Frühstücksrestaurant und Hotelbar. In der ehemaligen Friedhofskapelle auf dem Schafsberg in Limburg an der Lahn hat das Restaurant „Himmel und Erde“ Einzug gehalten, in dem Gastronomin Dorothee Strieder ihren Gästen erlesene regionale Spezialitäten auftischt.

Das findet nicht jeder gut. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz würde eine ehemalige Kirche nicht für so etwas hergeben, erklärt Hoffmann-Tauschwitz. Ihn stört nicht, dass in einem ehemaligen Gotteshaus Gäste mit Essen und Trinken bewirtet werden: „Problematisch ist, dass das rein gewinnorientiert geschieht.“

Wenn der Fußballprofi in der Kirche wohnt

Als wenig glückliche Lösung sieht der Bau-Experte auch an, wenn Kirchengebäude zu Privathäusern umgewandelt werden. „Das lehnen wir ab, weil sie dann nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich sind.“ Nur in Ausnahmefällen stimme die Kirche einer solchen privaten Folgenutzung zu. So etwa bei einer verfallenen Kirche im westbrandenburgischen Bartschendorf. Dort fand die Gemeinde nach jahrelanger Suche endlich einen Käufer, der sich bereiterklärte, die denkmalgeschützte Barockfassade des ehemaligen Gotteshauses zu erhalten. Dass Privatleute sich eine ehemalige Kirche als Wohnhaus leisten können und wollen, kommt aber ohnehin selten vor. Einen aktuellen Fall gibt es im schwäbischen Oppenweiler: Dort kaufte der Fußballprofi Julian Schieber (spielt zurzeit für Hertha BSC Berlin) vor kurzem die ehemalige Methodistenkirche und richtete sich dort mit seiner Familie ein.

Kirchen sollen nicht Moscheen werden

Auch wenn über manche Nutzungen die Meinungen der Landeskirchenämter auseinandergehen, in einem Punkt herrscht breite Einmütigkeit: Die ungenutzten Kirchen sollen nicht zu Moscheen werden. Beim Verkauf von kirchlichen Gebäuden müsse grundsätzlich darauf geachtet werden, „dass die neue Nutzung in keinem Widerspruch zu ihrer ursprünglichen Bestimmung stehen darf“, heißt es etwa in den Richtlinien der westfälischen Landeskirche. „Das schließt den Verkauf an eine Moscheegemeinde aus.“ Trotzdem gibt es in Hamburg eine ehemalige Kirche, in der jetzt Muslime beten. Im Stadtteil Horn veräußerte die evangelische Kirchengemeinde 2002 ihre Kapernaumkirche an einen Investor. Der verkaufte sie 2012 an einen islamischen Verein weiter, der sie zur Moschee umbaute. Der damalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider nannte die Entwicklung damals ein „Missgeschick“. Im Zuge des Umbaus verschwand das christliche Kreuz vom Turm der Kirche und wurde durch den arabischen Schriftzug für „Allah“ ersetzt. Im bunten Glas der Kirchenfenster ist das Kreuz aber immer noch deutlich zu erkennen – sie stehen unter Denkmalschutz. An jüdische Gemeinden geben die Landeskirchen bereitwillig leerstehende Gotteshäuser ab. Zu Synagogen wurden etwa die Schlosskirche in Cottbus, die Gustav-Adolf-Kirche im niedersächsischen Leinhausen, die Maria-Magdalena-Kirche in Hannover, die Paul-Gerhardt-Kirche in Gütersloh und die Kreuzkapelle in Köln-Riehl.

Freikirchen und Orthodoxe übernehmen

Wenn eine Gemeinde der Landeskirche einen Kirchenbau nicht halten kann, sei die beste Lösung, wenn eine andere christliche Gemeinde sie übernimmt, meint Hoffmann-Tauschwitz. So übernahm bereits in den 1990er Jahren die englischsprachige American Church die ehemals landeskirchliche Lutherkirche in Berlin-Schöneberg. Auch orthodoxe Gemeinden füllen immer wieder verlassene Kirchen mit neuem Leben. Das kommt nicht zuletzt deshalb in letzter Zeit öfter vor, weil diese Gemeinden durch Zuwanderer und Flüchtlinge aus dem Nahen Osten stark wachsen. So überließ die württembergische Landeskirche 2014 die Martin-Luther-Kirche in Göppingen der syrisch-orthodoxen Gemeinde. Ein weiteres Beispiel aus jüngerer Zeit ist die ehemalige Reformierte Kirche in Altena im Sauerland, die seit 2008 leer stand: Dort zogen im Dezember 2017 koptisch-orthodoxe Christen ein. Die koptisch-orthodoxe Kirche in Deutschland hat 26 Gemeinden und rund 12.000 Mitglieder. Davon kamen 6.000 in den vergangenen vier Jahren als Flüchtlinge nach Deutschland. Auch freikirchliche Gemeinden finden immer wieder ein neues Domizil in ehemals landeskirchlichen Gotteshäusern. Die hannoversche Kirche übertrug 2010 ein Kirchengebäude in Verden „für einen symbolischen Kaufpreis“ an russlanddeutsche Baptisten, berichtet Pressesprecher Johannes Neukirch. Im bergischen Overath kaufte 2015 die Freikirche Overath der evangelischen Kirchengemeinde für 600.000 Euro die aufgegebene Friedenskirche ab. Das war ein Kraftakt für die kleine Gemeinde, berichtet Pastor Andreas Siemens. Der Kauf konnte schließlich nur deshalb abgewickelt werden, weil die evangelische Kirchengemeinde zustimmte, nicht gedeckte Nebenkosten für die Kirche in fünfstelliger Höhe selbst zu tragen. Das habe deutlich gezeigt, wie sehr dem Presbyterium „daran gelegen war, dass dieses Gotteshaus bei Christen bleibt“.


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