Was er tut, tun nur etwa eine Handvoll anderer Leute auf der ganzen Welt: Andreas Ladach handelt mit gebrauchten Orgeln. Er bringt sie von der Schweiz nach Danzig, manche verschifft er schon mal bis Taiwan. Die Königin der Instrumente ist zu wertvoll, um sie zu verschrotten. IDEA-Reporterin Julia Bernhard hat ihn besucht.
In Wuppertal regnet es an 260 Tagen im Jahr. Für eine Orgel ist das nicht optimal. Im Winter empfiehlt der Bund deutscher Orgelbaumeister „überlegtes Lüften“ an solchen Tagen. Heute ist kein solcher Tag. Es ist kalt, aber die Sonne lacht durch die großen Fenster der Trinitatiskirche und erhellt den sonst eher dunklen Raum ein wenig. Andreas Ladach lacht auch, als er die Tür öffnet. Das tut er oft. Man sagt, das Wetter drücke außerdem dauerhaft aufs Gemüt der Einwohner im Bergischen Land – ein Sonnentag im Winter hin oder her. „So weit kommt es bei mir nie. Dafür bin ich zu viel unterwegs“, zwinkert er.
Die Nische in der Nische
Ladach kommt rum. Kein Wunder, denn Leute wie ihn gibt es auf der Welt höchstens noch fünfmal, meint er: „Ich habe die Nische in der Nische gefunden.“ Ladach handelt mit gebrauchten Orgeln. Wird irgendwo auf der Welt eine Kirche abgerissen oder profaniert, ist der 53-Jährige zur Stelle, schaut sich das Instrument an, baut es ab und verkauft es weiter. Er findet neue Verwendungszwecke für die kleinen, aber auch für ganz große. Etwa hundert Stück gehen pro Jahr durch seine fachkundigen Hände. Auch Ersatzteile kann man bei ihm bekommen. Inzwischen hat Ladach Orgeln in der Schweiz, in Frankreich, England, Italien, Taiwan, Kolumbien oder Indien gehandelt – um nur ein paar Länder zu nennen. Sonst würde die Liste zu lang, ist er sich sicher.
Seine allererste Orgel brachte er 1996 von Düsseldorf nach Polen. Damals studierte er noch Elektrotechnik und spielte nebenbei in seiner katholischen Kirchengemeinde sonntags die Orgel. Seit einem Kirchbauprojekt in Polen, bei dem er als Jugendlicher mitgemacht hatte, hatte er gute Kontakte zum östlichen Nachbarland, spricht die Sprache fließend. Davon wusste ein Bekannter, der ein Instrument loswerden wollte, und meinte, in Polen könne dafür noch Verwendung gefunden werden. „Ich hatte natürlich zu dem Zeitpunkt überhaupt keine Ahnung, was für unterschiedliche Orgeln es gibt. Ich bin mit einem Freund nach Düsseldorf gefahren und habe das Ding abgebaut. Wir hatten ziemliches Glück, dass es ein relativ einfaches Instrument war“, gibt er unumwunden zu. Inzwischen kennt er sich genau aus, begutachtet und hört jede Orgel vor dem Abbau, um festzustellen, wohin sie am Ende passen könnte. Sein bislang größtes Projekt war der Abbau der Orgel in der Kathedrale von Lausanne und ihr Wiederaufbau in der Philharmonie in Danzig.
Ein Raum für Geschichten
„Jede Orgel ist einzigartig“, erklärt Ladach, während er durch seine „Ausstellung“ wandert. Dass er mit der Trinitatiskirche einen passenden Raum für seine Orgeln gefunden hat, war großes Glück, aber kein Zufall, so sagt er. In seinem Leben gebe es einen roten Faden, den er aus der Rückschau inzwischen erkenne. Vor 22 Jahren baute er in der 1878 eingeweihten Kirche die Orgel ab. Das Gotteshaus sollte entwidmet werden. Wie so viele in Nordrhein-Westfalen: „Hier kaufe ich tatsächlich nach wie vor die meisten Orgeln ein. Das Kirchensterben im Ruhrgebiet und den angrenzenden Städten ist massiv.“ Nach der Profanierung folgte der Verkauf. Ladach kam zum Zug: „Mein Vater war damals alles andere als begeistert und riet mir dringend ab vom Kauf des Gebäudes, das unter Denkmalschutz steht. Auf seinem Sterbebett sagte er mir vor ein paar Jahren, es sei die beste Entscheidung meines Lebens gewesen.“ Die ersten zwei Jahre sei es durchaus noch komisch gewesen, eine Kirche zu besitzen: „Inzwischen fühlt es sich nicht mehr merkwürdig an. Es ist mein Arbeitsraum.“
Ladach hat aber wenig geändert an seiner Kirche. Eine Toilette und eine Küchenzeile wurden eingebaut, und die Telekom hat eine Woche gebraucht, um durch die dicken Wände ein Telefonkabel zu legen. Vorne befindet sich das Büro, das durch Glaswände vom restlichen Kirchenraum abgetrennt ist. Die Decke der Kirche ist 12 Meter hoch. Hier ist Platz für Geschichten. Ein großes Glück für einen Geschichtenerzähler wie Andreas Ladach. Er weiß zu jedem Instrument, das er im Laufe der letzten 27 Jahren gehandelt hat, Kleines und Großes zu berichten. Einmal habe er in Indien einen Kollegen aus England getroffen. Dabei gebe es in Indien nur etwa 40 Pfeifenorgeln. Das sei unglaublich gewesen. Ladach freut sich über alle seine Anekdoten.
Ein ehrbarer Kaufmann
Derzeit lagern in der Trinitatiskirche ein Dutzend Orgeln. Heute ist John Barr da. Seit vielen Jahren setzt der gebürtige Amerikaner, der nach seinem Studium in Deutschland hängen blieb, ehrenamtlich alte Dorforgeln in Brandenburg instand. Jetzt sucht er ein kleines Instrument, das er für ein Projekt mit Kindern braucht. Seine Gemeinde möchte Orgelnachwuchs finden. Es ist nicht die erste Orgel, die Barr hier kauft. „Jeder, der Orgeln oder Orgelteile braucht, kennt ihn. Es ist eine reine Wonne, mit Andreas zu tun zu haben. Er ist so ehrlich“, sagt Barr und nimmt dankend einen Zollstock entgegen, um die Größe der Orgel auszumessen. Passt sie in den Raum?
Nichts mehr zu retten – das tut weh
„Jedes Instrument ist eine individuelle Anfertigung und wurde mit viel Herzblut gebaut. Da hängt mehr als der Materialwert dran“, sagt Ladach. Wenn er mal eine Orgel verschrotten muss, weil sie so vernachlässigt wurde, dass nichts mehr zu retten war, tut ihm das weh, berichtet er. Ladach brennt für das, was er tut. Sicherlich ist dieser merkwürdige Beruf eine Berufung. Da klingelt sein Handy. Ein Anruf aus Polen, der Händler wechselt problemlos den Zungenschlag. Musik sei die gemeinsame Sprache der Menschheit, heißt es. Aber Andreas Ladach braucht da noch ein paar mehr: Neben Polnisch spricht er auch Englisch, Französisch und Italienisch.
Immer dieses Wetter
Andreas Ladach öffnet das Hauptportal, um seine Gäste nach draußen zu verabschieden. Morgen werde er nach Norwegen starten. In Saltstraumen, das nördlich des Polarkreises liegt, sei es momentan nur zwei Stunden am Tag hell. Es geht also schlimmer als Wuppertal. Immer dieses Wetter. Aber die Orgel, die er dort abbauen will, sei kunterbunt. Und top in Schuss. Das sei typisch für Norwegen, der geringen Luftverschmutzung sei Dank. Dann schließt Ladach die große Holztür schnell wieder. Lüften ist ja heute nicht nötig.