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Luthers Lehren für heute

Von: nicole Datum Beitrag: 31.10.2025 Kommentare: Keine Kommentare Tags: , , , , , ,

Vor über 500 Jahren stellte Martin Luther die Welt auf den Kopf. Er rüttelte an den Fundamenten der römischen Kirche und stieß weitreichende kirchliche und politische Veränderungen an. Zum Reformationstag am 31. Oktober erklären drei engagierte Protestanten, was sie heute noch von Luther lernen – über Glauben, Freiheit und den Mut zur Wahrheit.

Jesus Christus ist Dreh- und Angelpunkt seines theologischen Denkens

Gewiss – die monumentale Lutherfigur der traditionellen evangelisch-deutschen Erinnerungskultur hat Patina angesetzt und viel an Glanz verloren: Weder als Schöpfer der deutschen Sprache noch als nationalen Heros, weder als unerschütterlichen antipäpstlichen Bekenner noch als unbeugsamen Juden- und Türkenfeind können wir ihn bewundern. Im Gegenteil. Kann man von einem „lernen“, der in vieler Hinsicht, auch weit jenseits jedes Wokeismus, quersteht zu dem, was zum Wertefundament unserer Gesellschaft gehört? Von einem, der gesetzlich festgeschriebene Menschenrechts-, Diversitäts- und Gleichheitsstandards nicht kennt? Diese Frage im Sinne einer generalisierbaren, gleichsam allgemeinverbindlichen Antwort anzugehen, ist problematisch. Denn auch früher wurde Luther wegen Aspekten verherrlicht, die für ihn nicht zentral waren. Von Luther „lernen“ sollte man eigentlich nur, wenn man ihn als das begreift, was er vor allem sein wollte: als christlichen Denker, Bibelinterpreten, Prediger, Theologen. Bestimmte Voraussetzungen, elementare Behauptungen des christlichen Glaubens mit ihm zu teilen, ist dabei gewiss förderlich: dass ein Gott ist; dass er in besonderer Weise in Jesus von Nazareth da war; dass dieser ein redender, sich im Wort mitteilender, in menschlicher Rede anwesender Gott ist. So oder ähnlich ließen sich Kernthesen des Wittenberger Reformators reformulieren.

Was Christsein im innersten Kern ist

Das Verständnis der Person Jesu Christi bildet den Dreh- und Angelpunkt von Luthers theologischem Denken. Was ist das Besondere an Luthers Christus? Zunächst und vor allem, dass er in dem Krippenkind, dem verletzlichen Neugeborenen den Schöpfer und Erhalter der Welt sieht – die extremsten Gegensätze also, paradox und die Vernunft überschreitend, in ihm vereint sind. „Den aller Welt Kreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß“, heißt es in einem Weihnachtslied des Reformators. In solcher Radikalität war die Gemeinschaft von Gott und Mensch bisher nicht gedacht, geglaubt und empfunden worden.

Der Mensch gewordene Gott, der „ins Fleisch gewickelte“, nahbare, die Nähe der Menschen suchende Gottmensch, ist der, an den sich der Glaube halten kann und muss. Ihm begegnet er im Wort der Predigt und der Schrift. Er ist im Abendmahl da. Er ist der offenbarte, sich an sinnliche Präsenzmodi bindende und mit Menschen verbindende Gott für mich. Er schenkt uns Glauben und Hoffnung. Er befähigt uns zur Liebe. Was über ihn hinausgeht – all das Grollende, Finstere, aufwühlend Unverständliche unseres eigenen kleinen und des großen, weltgesellschaftlichen Lebens und Treibens – all das lassen wir im Hintergrund, denn nur hier, nur in ihm, nur im Mensch gewordenen Gott ist er für uns, ganz und gar für uns, da. Von Christus her das Gottesverhältnis des Menschen zu denken, wie Luther es lehrte, verdeutlicht vor allem eines: Mit unserer Macht ist nichts getan! Vor diesem Gott, der uns alles und sich selbst schenkt, stehen wir mit leeren Händen da, sind wir allein Empfangende und verstehen wir, was den Kern des christlichen Glaubens ausmacht: Dankbarkeit. Und dass dieser Glaube sich nicht in sich selbst verschließt – sondern wie ein Brunnquell überfließt, unseren Mitmenschen zugute. Von Luther können wir lernen, was das Christsein in seinem innersten Kern ist. Er ist ein Lehrer des Glaubens, mit dem mir nie langweilig geworden ist und dessen Sprachkraft mich immer wieder neu fasziniert.

Der Autor, Thomas Kaufmann, ist Theologe und Professor für Kirchengeschichte an der Georg-August-Universität Göttingen.

Verantwortung übernehmen und unterscheiden, was Gottes und was des Menschen ist

Die Bezugnahmen auf Martin Luther sind so vielfältig, wie es die zeitgeschichtlichen Prägungen und Vorlieben seiner Rezipienten sind. Ganz gleich ob Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) oder Thomas Mann (1875–1955): Sie alle haben Luthers Bedeutung für Freiheit (Hegel), für die Rückkehr zu den Ursprüngen (Goethe) oder als Vorkämpfer für Demokratie (Thomas Mann) gewürdigt. Unbeschadet der mannigfaltigen und zu allen Zeiten zu findenden Inanspruchnahmen Luthers haben für mich zwei seiner Lehren besonders an Bedeutung gewonnen.

Persönlich ist mir Luthers Überzeugung „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) zum Leitsatz meines Lebens geworden. Luther bringt die fundamentale Bedeutung des paulinischen Freiheitsrufs aus Galater 5,1 auf den Punkt: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan (im Glauben). Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan (in der Liebe).“ Unter den Bedingungen äußerer Unfreiheit als Christin in der DDR hat mich die Kraft meiner inneren Freiheit ermutigt, gegenüber staatlichen Machthabern Furcht zu überwinden. Zugleich war es mir ein Anliegen, mich für eine freiere und gerechtere Welt in meiner Gemeinde einzusetzen.

An meinem Kraftquell für tätige Nächstenliebe und aktive Weltgestaltung aus der Freiheit der Kinder Gottes hat sich für mich mit meinem Leben im wiedervereinten freien Deutschland nichts geändert. Im Gegenteil. Auch in einer äußerlich freien Gesellschaft kann es nötig werden, unbequeme Wahrheiten zu äußern, den allgemeinen „Mainstream“ zu hinterfragen und sich für die Würde des Menschen auch dort einzusetzen, wo diese nicht mehr voraussetzungslos von allen geteilt wird.

Zur Freiheit aus dem christlichen Glauben gehört für mich ganz im lutherischen Sinne auch die Gabe zur Unterscheidung dessen, was Gottes und was des Menschen ist.

„Nicht Verbote helfen, sondern Bildung!“

In seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit und wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ (1523) weist Luther darauf hin, dass „man die beiden Regimente sorgfältig voneinander unterscheiden und beide bleiben lassen (muss): eins, das fromm macht, und das andere, das äußerlich Frieden schafft und bösen Werken wehrt“. Und weiter heißt es: „Mit Eisen die Seelen und mit Briefen den Leib regieren. Was hat der Teufel sonst zu schaffen auf Erden, als dass er mit seinem Volk so gaukele und Fasnachtsspiele treibe?“ Verblasst mit dem Bedeutungsverlust des christlichen Glaubens für viele Menschen auch das Wissen um die Unterscheidung dessen, was Gottes und was des Menschen ist, verliert der Mensch nicht nur das Bewusstsein für seine Verantwortung vor Gott. Er verliert seine von Gott gegebene Freiheit.

Für den aufmerksamen Beobachter ist es mit Händen zu greifen, wie das dadurch entstehende Vakuum neu gefüllt wird. Debatten um Meinungsfreiheit haben Medien und öffentliche Diskurse erreicht. Neue, vom Menschen erhobene Absolutheitsansprüche, verbunden mit der Verfolgung abweichender Meinungen, ideologische Übertreibungen, Populismus, Fanatismus und Fundamentalismus dringen immer spürbarer bis ins Alltagsleben vieler Menschen durch. Wer das nicht einfach hinnehmen möchte, dem empfehle ich Luthers Wegbegleiter Philipp Melanchthon (1497–1560): Nicht Verbote helfen, sondern Bildung!

Die Autorin, Christine Lieberknecht, war von 2009 bis 2014 Ministerpräsidentin des Freistaats Thüringen (CDU). Die schon in der DDR politisch engagierte evangelisch-lutherische Theologin war bis 1990 Pfarrerin im Kirchenkreis Weimar.


DIE REFORMATION

(lat.: reformatio „Wiederherstellung, Erneuerung“) war eine kirchliche Erneuerungsbewegung im 16. Jahrhundert. Sie erstreckte sich über ganz Europa und führte zur Spaltung des abendländischen Christentums in verschiedene Konfessionen – die protestantischen Lutheraner, Reformierten und Täufer wurden entweder aus der katholischen Kirche ausgeschlossen oder spalteten sich selbst ab. Am 31. Oktober 1517 nagelte der Augustinermönch und Theologieprofessor Martin Luther 95 Thesen gegen den katholischen Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Damit wollte er die Kirche nicht spalten, sondern erneuern. Der Thesenanschlag gilt als Beginn der Reformationsbewegung, die sich nicht mehr stoppen ließ. Als Epoche endete die Reformation 1648 mit dem Westfälischen Frieden.

LUTHERS LEBEN UND DER AUFTAKT ZUR REFORMATION

1483 Martin Luther wird am 10. November in Eisleben geboren und am darauffolgenden Tag getauft.

1505 Beginn seines Jurastudiums in Erfurt. Am 2. Juli, auf dem Rückweg von einem Elternbesuch in Mansfeld, überrascht ihn bei Stotternheim ein schweres Gewitter. In Todesangst gelobt Luther, für seine Rettung ein Mönch zu werden.

1507 Priesterweihe und Beginn seines Theologiestudiums in Erfurt

1510–1511 Pilgerreise zu Fuß nach Rom

1511 Luthers Beichtvater Johann von Staupitz (1465–1524) schickt ihn in das Wittenberger Kloster. Die Stadt wird für den Rest seines Lebens Mittelpunkt seines Wirkens.

1512 Promotion zum Doktor der Theologie in Wittenberg und Professur des Augustinerordens

1517 Am 31. Oktober schlägt Luther seine 95 Thesen gegen den kirchlichen Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg und schickt sie als Brief an den Erzbischof von Mainz, Albrecht von Brandenburg. Der sendet sie an den päpstlichen Hof in Rom.

1518 Reise zum Reichstag in Augsburg, bei dem im Oktober der Ketzerprozess gegen Luther eröffnet wird. Beim Verhör durch den päpstlichen Gesandten, Kardinal Cajetan (1469–1534), weigert sich Luther, zu widerrufen.

1520 Luther veröffentlicht seine einflussreichsten Reformschriften: „An den christlichen Adel deutscher Nation“, „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“, „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Papst Leo X. (1475–1521) schreibt im Juni eine Bulle (Erlass) und gibt Luther 60 Tage Zeit, um sich in Rom den Häresievorwürfen zu stellen.

1521 Nach Ablauf der 60 Tage wird Luther vom Papst per Bannbulle exkommuniziert und ist aus der Kirche ausgeschlossen. Luther verbrennt die Bulle und andere päpstliche Schriften.

1521 Im April erscheint Luther auf dem Reichstag in Worms vor Kaiser Karl V. (1500–1558). Bei dem Verhör weigert er sich wiederum, zu widerrufen. Der Kaiser verhängt im Wormser Edikt die Reichsacht über Luther, verbietet die Lektüre und Verbreitung seiner Schriften und erklärt Luther als Häretiker für vogelfrei. Im Mai lässt der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise (1463–1525), Luther „entführen“ und auf die Wartburg bringen.

1522 Inkognito auf der Wartburg übersetzt Luther in drei Monaten das Neue Testament ins Deutsche. Im März kehrt er nach Wittenberg zurück und übernimmt die Führung der Reformation in Wittenberg.

1523 Im Februar erscheint das Neue Testament auf Deutsch. Anfang März veröffentlicht Luther die Schrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“, in der er seine später so benannte „Zwei-Reiche-Lehre“ oder Lehre von den „zwei Regimenten“ ausführt.

1525 Der Bauernkrieg tobt in weiten Teilen Deutschlands. Im Juni heiratet Luther in Wittenberg die ehemalige Nonne Katharina von Bora (1499–1552). Das Paar bekommt sechs Kinder.

1526 Der Reichstag in Speyer lässt Fürsten und Städte die Wahl, sich der Reformation anzuschließen oder katholisch zu bleiben. Erste lutherische Landeskirchen gründen sich. Die Reformationsbewegung schreitet im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ und in Europa voran; einige Fürsten protestieren gegen die römische Kirche und geben dem Protestantismus damit seinen Namen. 1545 beruft Papst Paul III. (1468–1549) das Konzil von Trient ein. Die römische Kirche berät bis 1563 über eigene Reformen.

1546 Am 14. oder 15. Februar hält Luther in Eisleben seine letzte Predigt. Er stirbt dort am 18. Februar und wird in Wittenberg begraben.

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