Die Abschlusspredigt des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Nürnberg polarisierte. Neben den Debatten über theologische Fragen wurde vor allem kritisiert, dass sich Pfarrer Quinton Ceasar zu aktuellen politischen Diskussionen in der Predigt äußerte. Sollten sich Geistliche von der Kanzel tagespolitisch äußern?
PRO
Nicht zwingend. Es ist eine Kann-Option. Alles, was Menschen beschäftigt, kann in einer Predigt zum Thema werden. Vom Glauben sprechen heißt, ihn in Beziehung setzen mit dem Leben der Zuhörerinnen und Zuhörer. Wer die biblische Aufforderung „Suchet der Stadt Bestes“ (Jeremia 29,7) ernst nimmt, wird das Weltgeschehen im Kleinen und im Großen nicht ausblenden.
Entscheidet sich der Prediger bzw. die Predigerin, (Tages-)Politik in der Predigt aufzunehmen, wächst seine/ihre Verantwortung, formal wie inhaltlich. Denn die Predigt ist ein Monolog. Die Klärung politischer Themen geschieht üblicherweise im Diskurs – mit Perspektivenwechsel und Widerspruch. Was gut und richtig ist, lässt sich nicht immer eindeutig bestimmen. Auf jedes „So ist es!“ folgt üblicherweise die Frage: „Ist es (wirklich) so?“
Die Predigt setzt einen eigenen Akzent. Sie soll Evangelium (Frohe Botschaft) verkündigen. Die ist aber nicht unpolitisch. Sie öffnet den Raum zum Mitdenken, welche Verantwortung der Einzelne in der Kirchengemeinde und im politischen Gemeinwesen hat. Sie will ermutigen, mitzudenken, und anregen, aktiv zu werden, einen individuellen Beitrag zu leisten, die Gesellschaft zu gestalten: Zusammenhalt fördern, Brücken bauen, Hass widerstehen, Rassismus und Antisemitismus couragiert entgegentreten.
Eine Gratwanderung – mit der Gefahr, abzustürzen: die Polarisierung fördern oder lebensfremd predigen. Das eine wie das andere ist zu vermeiden. Die Aufgabe besteht darin, die Balance zu wahren und das zu ermöglichen, was den Mehrwert einer Predigt ausmacht: mit der Bibel die Welt besser verstehen.
(Der Autor, Pfarrer Udo Hahn, ist Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing am Starnberger See.)
KONTRA
Gehört Tagespolitik in die Predigt? Natürlich gehört das „Tagesgeschehen“ zur Predigt. Der evangelische Theologe Karl Barth (1886–1968) prägte den Satz: „Wir haben die Bibel und die Zeitung nötig.“ Eine Predigt muss eine Brücke von der Bibel in die Gegenwart schlagen. Tut sie es nicht, wird sie schnell abstrakt und weltfremd. Und natürlich enthalten gelungene Predigten auch „Politik“. Die biblischen Auffassungen vom Menschen, von Gut und Böse, Gerechtigkeit und Staat machen Predigten automatisch politisch. Man kann nicht nicht politisch predigen.
Wenn heute jedoch manchmal der Eindruck formuliert wird, Predigten oder Predigtpersonen seien zu „tagespolitisch“, dann geht es meist um etwas anderes. In solchen Fällen herrscht der Eindruck vor, das Gesagte klinge zu parteipolitisch. Es ist dann das berechtigte Unbehagen, dass hier nicht die Heilige Schrift ausgelegt und das Evangelium gepredigt wird, sondern bekannte Zeitansagen von politischer Stelle wiederholt werden. Gottes Parteinahme für die Menschen und gegen die Sünde wird dann ganz geräuschlos mit Parteiprogrammatik in eins gesetzt. Kein Wunder, wenn die Zuhörerschaft hier unruhig wird. Und als „tagespolitisch“ werden auch solche Predigten erlebt, bei denen gesellschaftliche Gegenwartsprobleme auf Dauer die Botschaft von Erlösung und Ewigkeit in den Schatten stellen.
Man kann es drehen und wenden, doch weder Christus noch die Apostel predigten tagespolitisch. Es ging ihnen eben meist um mehr. In diesem Sinn denke ich: Gute Predigten sind sowohl tagesaktuell als auch politisch, aber besser nicht tagespolitisch.
(Der Autor, Arndt Schnepper, ist Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Hochschule Ewersbach.)