(“Adventisten heute”-Aktuell, 9.3.2012) Zwischen den Evangelikalen in den USA und in Deutschland gibt es starke Unterschiede. Darauf hat die Professorin für multisprachliche und multikulturelle Studien an der Universität von New York, Marcia Pally, hingewiesen. Sie sprach bei der Tagung des christlichen Netzwerkes “Gemeinsam für Berlin”, die Ende Februar in Berlin stattfand. Daran nehmen rund 180 Pastoren und Ehrenamtliche teil. Sie beschäftigt sich mit der Frage “Wie kann es Gerechtigkeit in der Großstadt geben?”
Entstehung der USA wesentlich durch Evangelikale geprägt
Pally zufolge ist die evangelikale Landschaft in Deutschland stark von den Verhältnissen in den Landeskirchen geprägt. Dagegen ist die evangelikale Bewegung in den USA eine von unten aufgebaute Graswurzelbewegung. Zudem sei die Entstehung der USA wesentlich durch die Evangelikalen geprägt. Pally: “Der Versuch, die USA zu verstehen, ohne zu wissen, wer die Evangelikalen sind, gleicht dem Versuch, IKEA zu verstehen, ohne zu wissen, was eine Schraube ist.” Pally erinnerte daran, dass viele Vorfahren der Evangelikalen in den USA aus Europa ausgewanderte freikirchliche Christen waren, die von den Staatskirchen verfolgt wurden. Dadurch seien sie gezwungen gewesen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Diese Mentalität sei in den USA bis heute bestimmend.
Wie sich die Evangelikalen in den USA verändern
Pally zufolge vollzieht sich unter den Evangelikalen in den USA derzeit ein “langsames Erdbeben”. Die “neuen Evangelikalen” entdeckten ihr soziales Gewissen. Sie setzten sich ein für Armutsbekämpfung, Umweltschutz, Reform der Einwanderungsgesetze sowie die Versöhnung von Rassen und Religionen. Zudem kämpften sie gegen Militarismus, Folter sowie übermäßigen Konsum. Ein ausgeprägtes Kennzeichen der neuen Evangelikalen sei der Einsatz für Bildung, Gesundheit und Diakonie für Arme und Benachteiligte im eigenen Land und weltweit. Zudem versuchten sie ihre Geschäftspraktiken mit biblischen Prinzipien in Einklang zu bringen. Sie versuchten Gott zu dienen, um dem Allgemeinwohl zu dienen. Besonders die jüngere Generation der Christen interessiere sich verstärkt für ethische Themen. Zwar bleibe die “religiöse Rechte” in den USA eine machtvoll politische Stimme, jedoch gebe es heute eine Vielzahl evangelikaler Positionen, die nicht mehr diese Strömung vertreten. Selbst wenn die Mehrheit der Evangelikalen weiterhin die Republikaner wählen sollte, würde dies dazu führen, dass die Republikaner ihre Wirtschafts-, Einwanderungs- und Umweltpolitik reformierten. Einer Umfrage zufolge hatten bei den US-Wahlen im Jahr 2008 27 Prozent aller Evangelikalen die Demokraten gewählt; von den unter 30-jährigen waren es 32 Prozent.
Wie stehen die neuen Evangelikalen zur “Homo-Ehe”?
Pally äußerte sich auch zur Diskussion um gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Ihr zufolge ist die Mehrheit der “neuen Evangelikalen” gegen die Diskriminierung von Homosexuellen. Zwar hielten sie Homosexualität für eine Sünde, sie sei jedoch kein Verbrechen, für das man bestraft werden solle. Sie sprächen sich deshalb für die Zulassung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften aus. Im Blick auf Schwangerschaftskonflikte setzten sich die “neuen Evangelikalen” für eine stärkere Unterstützung von Schwangeren und den Ausbau von Adoptionen ein. Dagegen führe ein generelles Abtreibungsverbot nur zu mehr illegalen Abtreibungen. (idea)