(“Adventisten heute”-Aktuell, 31.7.2015) Gegen jegliche gesellschaftliche Bevormundung von Eltern bei der Kindererziehung hat sich die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann (Berlin), gewandt. Mütter und Väter sollten ohne Druck völlig frei entscheiden können, ob sie ihre Kleinkinder in Kindertagesstätten geben oder sie zu Hause selbst betreuen wollen. So argumentiert die heutige EKD-Botschafterin für das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017 in der Zeitung “Bild am Sonntag” (Berlin). Die Mutter vor vier Töchtern – seit 2012 ist sie auch Großmutter – nimmt darin zu den Folgen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Betreuungsgeld Stellung.
Das höchste deutsche Gericht hatte am 21. Juli in Karlsruhe befunden, dass das Betreuungsgeld Ländersache sei. Die Bundesregelung eines Zuschusses von 150 Euro monatlich für Eltern, die ihr Kind zwischen dem 15. und 36. Monat zuhause betreuen, verstoße daher gegen das Grundgesetz. SPD, Grüne, die Linkspartei und Teile der CDU wollen die frei werdenden Bundesmittel in den Ausbau der Kindertagesstätten investieren; die CSU will in Bayern weiter Betreuungsgeld zahlen.
Die Kirche hatte Bedenken gegen eine junge Mutter
Käßmann kritisiert, dass jeder genau zu wissen scheine, was für junge Mütter und Familien richtig sei. “Könnten wir das nicht mal den Frauen selbst überlassen und sie einfach supergut und wahlfrei ausstatten mit Kitas, Tagesmüttern, Steuererleichterungen und flexiblen Arbeitszeiten, damit jede ihren Rhythmus finden kann, der gut für das Kind ist und für sie und für den hoffentlich engagierten Vater?” fragt die Theologin. Es habe sie schon vor mehr als 30 Jahren genervt, dass alle meinten, kommentieren zu müssen, wie sie als Mutter zu handeln habe. 1982 beim ersten Kind sei sie Studentin gewesen: “Da hieß es, das sei doch zu früh. Und ein Professor fragte, ob ich denn meinte, so ein Examen zu schaffen.”
Die praktische Ausbildungsphase zur Pfarrerin habe sie “nur dank Tagesmutter, Freundin, Mutter und engagiertem Ehemann” bewältigt. Anschließend habe die Kirche gefragt, ob sie es sich tatsächlich vorstellen könnte, als Pfarrerin zu arbeiten angesichts der Zwillinge, die sie 1986 erwartete. Als sich 1991 das vierte Kind ankündigte, habe sie sich kaum getraut, das zu beichten: “Ein freundlicher Nachbar sagte, jetzt könnten wir ja vom Kindergeld leben. Ein anderer fragte, ob das ökologisch verantwortlich sei angesichts der Entwicklung der Weltbevölkerung.” Mit fast 34 Jahren habe sie endlich eine volle Arbeitsstelle bekommen, doch auch dann seien ihre Kinder immer wieder als “Problem” gesehen worden.
Die seit 2007 geschiedene frühere Landesbischöfin: “Ich kann nicht fassen, dass meine Töchter heute mit denselben Fragen zu kämpfen haben. Lasst doch endlich die Mütter und auch die Väter frei entscheiden!” Die Eltern sollten dazu alle Möglichkeiten haben, “ohne ständig von Finanznot oder später von Altersarmut bedroht zu sein”. (idea)