Kommentar zum Beschluss des Generalkonferenz-Exekutivausschusses auf der Herbstsitzung (Annual Council) in Battle Creek
Am 14. Oktober 2018 hat der Exekutivausschuss der Generalkonferenz (Weltkirchenleitung) der Siebenten-Tags-Adventisten ein Verfahren beschlossen, mit dem die Einhaltung von Kirchenbeschlüssen sichergestellt und durchgesetzt werden soll (s. APD-Bericht). Was eher wie ein verwaltungstechnischer Akt klingt, dürfte weitreichende Folgen für das Arbeitsklima, die Diskussionskultur und letztlich für das kirchliche und theologische Selbstverständnis unserer Kirche haben – und sie sogar auf den Kopf stellen.
Parallelen zur Debatte über die Ordination von Frauen
Bei dem Ergebnis gibt es eine auffällige Parallele zur Abstimmung über die Ordinationsfrage: 58,44 Prozent der Delegierten stimmten auf der Generalkonferenz-Vollversammlung 2015 in San Antonio dagegen, dass regional unterschiedliche Lösungen bei der Ordination von Frauen zum Pastorendienst zugelassen werden. Mit praktisch identischem Ergebnis (rund 59 Prozent) votierten die Ausschussmitglieder jetzt für die Annahme des Dokuments. Weltweit gesehen gibt es also eine knappe, gleichwohl stabile Mehrheit adventistischer Repräsentanten, die über bestimmte Fragen anders denkt, als viele Adventisten in Europa, Nordamerika und Australien. Dass hier eher kulturelle als theologische Einflüsse eine Rolle spielen, wurde vereinzelt thematisiert (beispielsweise im Beitrag „Salz und Licht“, Adventisten heute, Septemberausgabe 2015, nachzulesen unter dem Shortlink https://bit.ly/2yDbj8F). Aber dieser kulturelle Einfluss auf die Lesart der Bibel ist bislang meist ignoriert und kaum näher erforscht worden. Auch die überwältigenden Belege dafür, dass der Heilige Geist genauso durch Frauen wie durch Männer wirkt, spielten in der Ordinationsdebatte 2015 kaum eine Rolle, obwohl das Wirken des Geistes die Antwort Gottes auf die umstrittene Frage auf dem Apostelkonzil (Apg 15) war, ob auch Nichtjuden ohne das Bundeszeichen der Beschneidung gerettet werden. Wenn wir nicht auf das Wirken des Heiligen Geistes achten und es ernst nehmen, werden wir immer wieder an unseren intellektuellen, kulturellen und traditionellen Grenzen scheitern. Und wenn man sich in manchen Fragen nicht einigen kann, sollte unsere Kirche eine gewisse Vielfalt tolerieren. Wäre es an dieser Stelle – auch direkt während der Herbstsitzung – nicht weiser gewesen, einen Modus zu finden, der das gegenseitige Verständnis unterstützt, sodass echte geistliche Einheit wächst? Der Geist wird zeigen, wo es hingehen soll.
Einheit durch Zwang – gute Nacht
Statt Einheit zu schaffen, wird Misstrauen gefördert, und daran ändern auch die verschleiernden Formulierungen nichts; sie rufen zu Verdächtigungen, Bespitzelungen und Anklagen auf. Dadurch wird vermittelt, dass Einheit durch administrative Verfahren geschaffen und nicht als geistliche Qualität verstanden wird. Insofern heißt es konsequenterweise nun Compliance (Einhaltung von Vorschriften bzw. Konformität) statt Unity (Einheit). Offenkundig traut man dem Heiligen Geist nicht zu, ein ausreichendes Maß an Einheit herzustellen und will ihn daher mit administrativen Verfahrensweisen einhegen oder ihm zuvorkommen. Vielleicht lässt sich dieses „er weht, wo er will“ (nach Joh 3,8) doch ein wenig beeinflussen?
Katholisierung der Weltkirche?
In den letzten Monaten gab es auf beiden Seiten des Meinungsspektrums deutliche Kommentare. Manche Befürworter des Compliance-Verfahrens sehnen eine „Sichtung“ förmlich herbei, um die Gemeinde zu „reinigen“, manche Gegner setzen den Beschluss mit Babylon aus der Offenbarung gleich und befürchten eine Katholisierung der adventistischen Weltkirche. Es geht schon lange nicht mehr nur um die Frage, wer ordiniert werden darf, sondern um das kirchliche und organisatorische Selbstverständnis der Siebenten-Tags-Adventisten: Sind wir konsensorientiert oder autoritär? Zentralistisch oder föderal? Hierarchisch oder kooperativ? Welche Stellung haben Verbände? Wie hoch wird die persönliche Gewissensfreiheit der Gemeindeglieder und Angestellten geschätzt?
Wie geht’s weiter?
War dieser Beschluss eine Weichenstellung für eine zentralistische, autoritär geführte Kirche? Mehrere Szenarien sind denkbar: Entweder erfüllt sich das Motto „Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“ und die Wirkung hält sich in Grenzen (vielleicht auch, weil manche Divisionen den Beschluss kritisch sehen und ihn deshalb gar nicht oder nur halbherzig umsetzen). Oder man schnürt das Korsett erwünschten Wohlverhaltens im Laufe der Zeit immer enger, sodass mit der Zeit alle Aktivitäten von Gemeinden, Institutionen und auch Gemeindegliedern mit den prüfenden Augen unerbittlicher Richter betrachtet werden, denen es nicht darum geht, ob dadurch Gott verherrlicht wird oder Menschen zu Christus finden, sondern vor allem, ob sie mit den selbst gesetzten Compliance-Regeln völlig übereinstimmen. Es ist zu erwarten, dass dadurch unterschiedliche Auffassungen stärker hervortreten und derlei Debatten die Gemeinden noch mehr spalten und von ihrem eigentlichen Auftrag ablenken, als es ohnehin schon der Fall ist – auch wenn genau das Gegenteil beabsichtigt sein mag.
Kirche ganz weltlich
Die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten scheint in ihrer Entwicklung in eine Phase eingetreten zu sein, in der sie sich immer weniger von anderen säkularen und kirchlichen Institutionen unterscheidet. Dort werden Probleme nicht selten durch „Machtworte“ oder vermeintlich „einfache“ Lösungen unsichtbar gemacht. Bei der Generalkonferenz-Vollversammlung 2010 hatte man mit „Erweckung und Reformation“ noch eine geistliche Agenda. Jetzt versucht man es mit menschlichen Mitteln. Möglicherweise stehen die „Übrigen“ in der Gefahr, sowohl ihr Zentrum – Jesus Christus – als auch ihren Körper – die Gemeindeglieder – aus dem Fokus zu verlieren; und das zugunsten eines Systems, das ohne diese beiden nur eine leere, tote Hülle ist.
Jessica Schultka (Leiterin des Advent-Verlags), Thomas Lobitz (Chefredakteur Adventisten heute)
aktualisiert am 21.11.2018