Als König Hiskia in höchster Not stand, ließ er den Propheten Jesaja rufen – und gemeinsam suchten sie Gottes Angesicht (2. Könige 19; Jesaja 37). Dieses uralte Bild ist überraschend aktuell. Der Freistaat Sachsen ist das einzige Bundesland, in dem der Buß- und Bettag am 19. November noch gesetzlicher Feiertag ist. Das ist bemerkenswert, weil hier der Anteil der Kirchenmitglieder deutlich geringer ist als anderswo.
Die Präambel der Landesverfassung benennt ausdrücklich die Friedliche Revolution des Oktober 1989. Gerade wir Ostdeutschen wissen, welche Kraft gemeinsames Gebet entfalten kann: Denn die Friedliche Revolution von 1989 wäre ohne die Gebetsversammlungen und die kirchlichen Räume des offenen Wortes über Fehlentwicklungen undenkbar gewesen. Auch die jüngere Geschichte Europas erzählt davon: Als Großbritannien im Zweiten Weltkrieg einer möglichen Invasion durch die Nationalsozialisten entgegensah, rief König George VI. sein Volk mehrfach zu nationalen Gebetstagen auf – Momente kollektiver Demut und Hoffnung.
Chance statt moralischer Druck
Heute erleben wir erneut eine Zeit der Erschütterungen: politische Spannungen, wirtschaftliche Unsicherheit, Kriege, Naturkatastrophen – „die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen“ (Markus 13,25; Lukas 21,26). Zugleich wächst weltweit die Verfolgung der Christen. Studien und Berichte sprechen davon, dass Christen zu den weltweit am stärksten verfolgten Glaubensgemeinschaften gehören. Die Heilige Schrift bezeugt Gott als allmächtig und barmherzig. Jesu Ruf lautet: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15). Darum gewinnt Buße neue Aktualität. Schuld zu bekennen, unsere Anliegen vor Gott zu bringen und neu um Gnade und Segen zu bitten, ist kein moralischer Druck, sondern die Chance, dass Gott in unserem Herzen etwas neu lebendig macht – weil er der Lebendige ist. Wo Menschen umkehren und sich Gottes Maßstäben beugen, wächst schon jetzt die neue Schöpfung: Versöhnung, Wahrhaftigkeit, Mut (2. Korinther 5,17). Solche Zeichen können wir auch heute wahrnehmen.
Handeln wie Hiskia und Jesaja
Darum brauchen wir das Gebet – besonders für Politikerinnen und Politiker, die als Christen Verantwortung tragen (vgl. 1. Timotheus 2,1–2) und oft zuerst im Gegenwind stehen, wenn sie Fehlentwicklungen offen benennen und dem Gemeinwohl dienen wollen. Möge der Buß- und Bettag uns Gelegenheit sein, wie Hiskia und Jesaja zu handeln: nicht mit Resignation, sondern mit der Erwartung, dass Gott heilvoll eingreift. Lassen wir uns neu ermutigen, unser Land betend zu tragen – denn Gott kann mehr wenden, als wir zu hoffen wagen.
Der Autor, Falk Klemm, ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde St. Niklas in Ehrenfriedersdorf (Sachsen), Mitglied der EKD-Synode und des IDEA-Trägervereins.
