„Frieden schaffen ohne Waffen“ war der Wahlspruch der kirchlichen Friedensbewegung während des Kalten Krieges. Im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine wirkt dieser Ansatz überholt. Es scheint, dass nur noch Waffen helfen, den Frieden zu bewahren.
PRO
Der Krieg, den Präsident Putin mit der russischen Armee gegen das Brudervolk der Ukraine führt, entsetzt mich und verschlägt mir die Sprache. Wenn ich trotzdem das Wort ergreife, dann nur aufgrund der großartigen Erfahrung mit dem Bibelwort „Schwerter zu Pflugscharen“. Wir haben es erlebt: Das prophetische Wort von Micha 4,1–5 und Jesaja 2,2–5 mit der Friedensbotschaft „keine Gewalt“ und Gottvertrauen brachte die Diktatur in der DDR ins Wanken.
Mir leuchtet ein, dass die Bundeswehr das Land verteidigen können muss. Dass deswegen so plötzlich 100 Milliarden Euro als Sondervermögen zur Verfügung gestellt werden sollen, erstaunt mich. Dass Flugzeuge gekauft werden sollen, die US-Atombomben abwerfen können, kann ich mit meiner durch Christus geprägten pazifistischen Einstellung nicht verantworten. Ich stehe zur vorrangigen Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit.
Die Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung ist weiter geboten. Martin Luther hat Angriffskriege verurteilt, aber Verteidigung als Notwehr und Nothilfe gerechtfertigt. Insofern ist die Anwendung militärischer Gewalt zur Verhinderung von Leid legitimiert. Allerdings ist die atomare Abschreckung, die auf die unterschiedslose Vernichtung des Gegners mittels Atombomben abzielt, falls die Abschreckung versagt, weiter vehement abzulehnen.
Es bleibt der Weg der Diplomatie, die Interessengegensätze ausgleicht und die Gier nach mehr Macht und Einfluss durch Gespräche korrigiert. Deswegen bleiben die Gebete für den Frieden und die Kerzen, die von dem zeugen, der von sich sagt: „Ich bin das Licht der Welt!“, dringend geboten. Darum sind wir von Christus eingeladen, ihm zu folgen und um Verständigung zu ringen und unsere Mitmenschen einzuladen, sich mit Gott und untereinander zu versöhnen. Darum bitte ich: Herr, schmeiß Hirn vom Himmel und schenke uns neue Fantasie für den Frieden!
(Der Autor, Harald Bretschneider, ist Oberlandeskirchenrat i. R. Der Dresdner Pfarrer gilt als Initiator der Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“.)
KONTRA
Natürlich kann man Frieden schaffen ohne Waffen. So geschehen 1989 mit dem Mauerfall. Der Systemkonflikt zwischen Ost und West wurde ohne Waffen überwunden. Weil der Osten kollabierte und der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow mit großem staatsmännischen Geschick agierte. Und dafür 1990 den Friedensnobelpreis bekam. Aber heute von den Ukrainern „Frieden zu schaffen ohne Waffen“ zu verlangen ist zynisch.
Als ich 1979 für die Nationale Volksarmee gemustert wurde, habe ich den Dienst mit der Waffe verweigert. Der Offizier murmelte „pazifistisches Weichei“. Ich habe darauf voller Zorn gesagt: „Sie missverstehen mich. Wenn Sie mich jetzt für die UNO-Blauhelmtruppen mustern, bin ich heute Abend Soldat.“
Die Ukraine braucht heute Waffen. Daher ist es gut, dass die EU der Ukraine mehr Geld für Verteidigungswaffen zur Verfügung stellen will. Was wir heute angesichts dieser seit 2014 vorhersehbaren Bedrohung durch den Kriegsverbrecher Putin brauchen, ist eine Europäische Armee. Denn nicht Nationen, sondern Kontinente sollten sich verteidigen können. Auch die weiteren Ziele müssen wir im Blick behalten: Wir brauchen eine starke Armee der Vereinten Nationen. Und einen anders konstruierten Weltsicherheitsrat. Ohne Veto einzelner Staaten. Und wir brauchen – um überleben zu können, wie es Deutschlands wichtigster Philosoph Habermas fordert – eine Weltregierung. Nur so können wir die Erde für unsere Kinder bewahren. Ich ahne, dass Sie denken: „Träum weiter!“ Aber nur wer tief träumt und klar denkt, kann die Welt verändern. Dazu müssen wir doch wenigstens wissen, wo wir hin wollen.
(Der Autor, Steffen Reiche, ist Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Nikolassee in Berlin. Er war Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR und von 1994 bis 2004 Minister der SPD in Brandenburg.)