Welche Chancen und Herausforderungen Künstliche Intelligenz (KI) bietet und wie KI das christliche Weltbild herausfordert, berichtet Dr. Karl Teille im Interview mit IDEA-Redaktionsleiterin Daniela Städter. Er ist Manager bei der Volkswagen AG.
IDEA: Warum fordert Künstliche Intelligenz (KI) das christliche Wertesystem heraus?
Teille: Künstliche Intelligenz greift in das Selbstverständnis des Menschen ein: Wir haben eine Zivilisation geschaffen; wir haben Dinge aufgebaut, die größer sind als wir selbst. Aber jetzt kommt ein neues Element ins Spiel, das den Menschen nicht nur in Hinblick auf seine Körperkraft herausfordert, sondern auch seine kognitive Fähigkeit – also sein Denken und Erkennen. Das ist eine Zäsur in der Geschichte der Menschheit.
Vom Tier unterscheidet uns zum Beispiel die Sozialisation, die Gemeinschaft, unser Wertesystem und auch die Intelligenz. An dem Punkt der Intelligenz werden wir nun durch KI herausgefordert. Wenn es dabei zu ethischen Brüchen und Herausforderungen kommt, stellt sich die Frage insbesondere für uns Christen immer wieder, wie wir mit KI umgehen.
IDEA: Können Sie das an einem konkreten Beispiel verdeutlichen?
Teille: Stellen Sie sich berufliche Einstellungsverfahren vor, bei denen KI zum Einsatz kommt. Die KI kann viel mehr Daten auswerten und miteinander verknüpfen, als es ein Mensch jemals könnte. Die KI kann eine Vorauswahl bei den Bewerbern treffen oder auch einen Abgleich mit den Profilen von Mitarbeitern vornehmen und auf dieser Grundlage dann Vorschläge machen.
Beispiel: Sie bewerben sich bei einem Unternehmen, KI kommt zum Einsatz, Sie werden abgelehnt und Sie haben den Eindruck, dass Sie nicht genommen wurden, weil Sie eine Frau sind. Denn Sie haben mitbekommen, dass ein Mitbewerber – ein Mann – die Stelle bekommt, der schlechtere Qualifikationen mitbringt als Sie. Sie klagen, weil sie vermuten, dass Sie nicht genommen wurden, weil sie eine Frau sind. Dann ist es gar nicht so einfach zu analysieren, anhand welcher Kriterien die KI zu ihrem Ergebnis gekommen ist. Hier entsteht der Verdacht, die KI hat gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Die Nachweispflicht, dass dem nicht so ist, ist aber im Umgang mit den Neuronalen Netzen der KI nicht leicht zu führen. Das ist sowohl ethisch als auch rechtlich hoch problematisch.
IDEA: Wo sehen Sie darüber hinaus ethische Probleme?
Teille: Etwa bei autonom arbeitenden Drohnen, deren Ziel es ist, Menschen zu töten. Wir sollten ethische Entscheidungen nicht aus der Hand geben. Unsere Gesellschaft ist geprägt von christlich-jüdischen Grundsätzen. Damit ist eine Verantwortung verbunden.
Ein weiterer Bereich sind Informationen und Medien. Von KI ausgesuchte Informationen können zu den sogenannten „Blasen“ führen, in denen bestimmte Meinungen verstärkt werden. KI kann genutzt werden, um Klickraten zu steigern oder um politische Meinungen zu beeinflussen – siehe den Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Ein weiteres Beispiel sind sogenannte Deepfakes, bei denen Video- oder Tondateien mithilfe von KI verändert werden, so dass dann z.B. Politikern Falschaussagen in den Mund gelegt werden können.
IDEA: Diese Entwicklung kann einem Angst machen.
Teille: Ich würde da eher von Sorge sprechen. Es ist wichtig, dass sowohl die Chancen als auch die Risiken durchdacht werden. Angst hat etwas Abschreckendes. Sorge sagt aus, dass es Möglichkeiten gibt, die Digitalisierung zu nutzen und dass wir gleichzeitig die Augen aufhalten und für ethisch-kritische Fragestellungen offen sein sollten.
IDEA: Wie könnte es bei der KI-Entwicklung grundsätzlich weiter gehen?
Teille: Wir müssen unterscheiden zwischen schwacher und starker KI. Die schwache KI ist die, die im Augenblick die Industrie interessiert. Sie ist für einen ganz bestimmten Bereich optimiert. Sie ist beispielsweise in der Lage, eine Reise zu buchen. Aber ich kann mich mit dieser KI dann nicht über Kochrezepte unterhalten.
Die starke KI wiederum gleicht vollumfänglich der menschlichen Intelligenz und geht sogar über diese hinaus. Sie entwickelt ein eigenes Bewusstsein. Da ergeben sich dann ganz neue Herausforderungen, wenn wir an das Alte Testament und an die Aussage „Du sollst Dir kein Bildnis machen von Gott“ (2. Mose 20,4). Mit der starken KI schaffen wir ein Wesen, das uns überlegen ist. Dann sind wir diejenigen, die zuarbeiten. Eine starke KI kann die Fähigkeiten des Menschen mit den technischen Stärken verbinden. Sie kann etwa 24 Stunden durcharbeiten und unglaubliche Datenmengen auswerten. Das ist ein echter Eingriff in die Schöpfung und da stellen sich viele Fragen: Wollen wir da Grenzen ziehen, wo ziehen wir die Grenzen? Dann stellen sich ganz neue Herausforderungen. Diese starke KI gibt es allerdings noch nicht und es ist noch nicht klar, ob es sie jemals geben wird.
IDEA: Wo findet KI Anwendung im Bereich der Automobilindustrie?
Teille: Wir haben bei der Künstlichen Intelligenz vor allem den Bereich des autonomen Fahrens im Blick. Ich bin mir sicher, dass das autonome Fahren eines Tages unsere Mobilität verändern wird. Aber es wird länger brauchen, als man allgemein annimmt. Das liegt daran, dass die KI letztendlich als eine Maschine begriffen werden muss. Und Maschinen sind immer dann gut, wenn wir ihnen klar strukturierte Umgebungen zur Verfügung stellen. Im Straßenverkehr gibt es aber viele Situationen, die das erste Mal auftreten. In den USA beispielsweise gab es bei einem Test den einzigartigen Fall, das vor dem Auto eine vermutlich verwirrte alte Frau im Rollstuhl einer Gans im Zickzack über die Straße folgte. Menschen sind in der Lage, mit solchen Situationen umzugehen. Wir können in Bruchteilen von Sekunden entscheiden. Wir wissen: Die Gans ist egal, aber die Frau darf ich nicht überfahren. In einem solchen Fall versagt aber unter Umständen die KI. Wir können uns jedoch auf dem Gebiet des autonomen Fahrens keine Fehler erlauben. Wir erwarten, dass das Auto weniger Fehler macht als der Mensch.
KI findet zudem einen verstärkten Einzug im Fahrzeug selbst. Die Insassen können Informationen nutzen zum Verkehr, zur Straßenbeschaffenheit oder zu personalisierten Dienstleistungsangeboten in der Umgebung. Da ist die KI großartig.
Drittens wird zukünftig nicht nur die Automobilindustrie, sondern die gesamte Industrie KI zunehmend als digitales Assistenzsystem nutzen. Aufgaben können ausgelagert werden, wenn z.B. die KI vorab Texte liest und Informationen aufbereitet. Ich selbst kann dann meine Entscheidung auf dieser Grundlage fällen. Ich bin dadurch höher qualifiziert tätig, wegen der Zeitersparnis wird mein Arbeitsplatz wertiger. Gleichzeitig können mit der höheren Produktivität auch Arbeitsplätze verloren gehen. Es ist absehbar, dass dieser dritte Aspekt in den nächsten Jahren alle Büroarbeitsplätze, nicht nur in der Automobilindustrie stark betreffen wird.
Teille: Die Technik entwickelt sich. Dies muss transparent geschehen. Der einzelne Mensch muss begreifen können, was da gerade passiert und wir dürfen an ethisch-kritischen Punkten die Entscheidung nicht aus der Hand geben. Wir müssen sicherstellen, dass bei ethischen Entscheidungen die letzte Instanz der Mensch bleibt. Klar ist: Künstliche Intelligenz ist die Speerspitze der Digitalisierung und die aktuell größte Herausforderung.
IDEA: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Dr. Karl Teille ist Manager bei der Volkswagen AG. Der Protestant engagiert sich im Netzwerk Christen in der Automobilindustrie (CAI) und im Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer. Am 7. Juli 22 hält er im Rahmen der Impulsreihe des Kongresses Christlicher Führungskräfte (KCF) und des CAI-Netzwerks um 19 Uhr digital einen Vortrag zum Thema „Herausforderung des christlichen Weltbildes durch Künstliche Intelligenz“. Eine kostenlose Anmeldung ist hier möglich.