Vom 3. bis 5. Mai findet in Hamburg der 3. Deutsche Evangelische Posaunentag statt. Erwartet werden über 15.000 Blechbläser. Warum der Posaunentag ein Lärmschutzgutachten brauchte, erfuhr IDEA-Reporter Karsten Huhn vom Leitenden Obmann des Evangelischen Posaunendienstes, Pfarrer Frank Möwes.
IDEA: Herr Möwes, wie sind Sie zur Posaune gekommen?
Möwes: Ich habe eine klassische Karriere hinter mir: Mein Vater war Posaunenchorleiter, und es war für uns Kinder nie eine Frage, dass auch wir irgendwann ein Blechblasinstrument lernen. Das wurde dann zum roten Faden in meinem Leben – egal wo ich war, in einem Posaunenchor habe ich immer Anschluss gefunden.
IDEA: Wie lange braucht es, bis man leidlich gut Posaune spielen kann?
Möwes: Die wichtigste Bedingung ist Fleiß. Talent spielt nur zu fünf Prozent eine Rolle, alles andere resultiert aus der Zeit, die man investiert. Es braucht etwa zwei Jahre, bis man gerade Töne herausbringt und anfängt zu verstehen, wo es langgeht. Nach etwa fünf Jahren kann man ein souveräner Bläser sein.
IDEA: In der Bibel spielt die Posaune eine zentrale Rolle. Zum ersten Mal ertönt sie, als Gott Moses am Berg Sinai erscheint.
Möwes: Wichtig zu wissen ist, dass die Posaune, wie wir sie heute kennen, damals noch nicht existiert hat. Benutzt wurde in dieser Zeit ein Schofar, also ein Widderhorn. Martin Luther übersetzte das Wort mit Posaune. Das Schofar diente als lautes Blasinstrument, mit dem man Botschaften übermitteln oder auch auf Ereignisse aufmerksam machen konnte.
IDEA: Die Reaktion auf die Posaune am Berg Sinai beschreibt die Bibel so: „Das ganze Volk aber, das im Lager war, erschrak“ (2. Mose 19,16). Was ist am Klang der Posaune so schrecklich?
Möwes: Am Ton der Posaune ist gar nichts schrecklich, er ist wunderschön …
IDEA: … das müssen Sie als Leitender Obmann aller Posaunenchöre ja sagen!
Möwes: Schaut man sich die Musikgeschichte an, stellt man fest: Immer wenn eine Posaune einsetzt, geschieht etwas ganz Besonderes. Die Posaune ist oft so etwas wie das Sahnehäubchen in einer Symphonie. Die Musik erreicht dann meistens ihren Höhepunkt. Und zur Posaune am Berg Sinai: Ich vermute, das Erschrecken hatte weniger mit dem Klang der Posaune zu tun, sondern mit der Gegenwart Gottes, die durch die Posaune angekündigt wird. Wenn man es mit dem allmächtigen Gott zu tun bekommt, kann man sich schon erschrecken.
IDEA: Den meisten Bibellesern dürften als Erstes die Posaunen von Jericho einfallen: Posaunen wurden damals als Kriegswaffe eingesetzt, um die Mauern der Stadt zu Fall zu bringen (Josua 6).
Möwes: Es ist leider eine Tradition, dass diese Geschichte bei fast jedem Posaunenfest erwähnt wird. Ich persönlich tue mich mit dieser Geschichte schwer. Sie ist brutal und von ihrem Gottesbild für mich unverständlich. Es ist mir ein großes Anliegen, dass diese Geschichte im Zusammenhang mit Posaunenchören nicht immer wieder erzählt wird. Denn das Ziel unserer Posaunenchöre ist es nicht, zu erobern, zu zerstören und den Bann an unschuldigen Menschen zu vollstrecken, sondern mit unserer Musik Gott zu loben und auf seine Liebe aufmerksam zu machen.
IDEA: In der Erweckungsbewegung wurde die Posaune als Missionsinstrument eingesetzt.
Möwes: Die Sächsische Posaunenmission trägt dieses Anliegen noch in ihrem Namen. Die Posaune bietet viele Vorteile: Anders als die Orgel kann man sie überall mit hinnehmen. Sie hat eine Lautstärke, mit der man gut auf sich aufmerksam machen kann.
IDEA: „Schau nie die Posaunen an“, riet der Komponist und Dirigent Igor Strawinsky (1882–1971). „Du machst ihnen nur Mut.“
Möwes: Was ihre Lautstärke betrifft, haben Posaunen oft keinen guten Ruf. Die Blechblasinstrumente wurden im Lauf der Jahrhunderte immer größer gebaut und damit im Verhältnis zu den Streichinstrumenten zu laut.
IDEA: Wenn in Hamburg Tausende von Bläsern zusammenkommen, wird es sicher sehr laut.
Möwes: Klar, das wird schon kräftig. Witzigerweise mussten wir ein Lärmschutzgutachten erstellen, um die Genehmigung für den Posaunentag in Hamburg zu bekommen. Das Gutachten hat die Stadt Hamburg verlangt, um sicherzustellen, dass wir bei unserem Auftritt nicht so laut sind wie die Rolling Stones, die 2017 mal im Hamburger Stadtpark auftraten.
IDEA: In Hamburg regnet es häufig. Was machen Sie, wenn es während des Posaunentages Regen auf Ihren Mega-Chor schüttet?
Möwes: Dableiben und weiterspielen! Und selbst wenn es zwei Stunden am Stück regnet – na und? Man kann sich entsprechend anziehen. Blechblasinstrumente sind pflegeleicht und unempfindlich. Es ist egal, ob es regnet oder sehr heiß ist, und es braucht schon mehrere Minusgrade, bevor die Ventile einfrieren. Nur die Noten schauen nach einem Regen furchtbar aus, sie werden dann wellig. Aber das kann man auch als Auszeichnung nehmen: Schaut her, dieses Heft war im Regen – und ich war dabei!
IDEA: In der Bibel wird bei Festen, Kriegen und Krönungen die Posaune geblasen. Bei welchen Gelegenheiten haben Sie schon gespielt?
Möwes: Ich werde hoffentlich nie bei einem Krieg Posaune spielen. Ansonsten habe ich eigentlich alles gespielt, was man sich nur vorstellen kann: bei Gottesdiensten und Geburtstagen, Hochzeiten und Beerdigungen, bei Konzerten im Symphonieorchester, auf Volksfesten und zweimal bei Einführungen des bayerischen Landesbischofs.
IDEA: Wer will heute noch Posaune lernen?
Möwes: Die Situation ist bei uns nicht viel anders als in anderen Musikgruppen: Wir haben alle Nachwuchsprobleme. Einen kleinen Vorteil haben Posaunenchöre jedoch: Wir spielen generationenübergreifend, oft in drei, manchmal sogar in vier Generationen. Das ist ein stabilisierender Faktor. Wir versuchen den Leuten zu zeigen, dass sie bei uns nicht nur eine musikalische Ausbildung bekommen, sondern auch Sozial- und Glaubenskompetenz. Unsere Gemeinschaft hat einen spürbar anderen Geist. Dazu kommt: Der Leistungsgedanke ist bei uns nicht entscheidend. Manche sehen das als Problem, andere aber als Vorteil.
IDEA: Warum ist Leistung bei Ihnen nicht so wichtig?
Möwes: Natürlich muss die Musik so klingen, dass man sie auch gerne anhört. Ebenso wichtig ist uns aber, dass die Menschen zusammenkommen, um miteinander zu musizieren. Schwächere Bläser werden mitgetragen und motiviert dabeizubleiben.
IDEA: Braucht es einen langen Atem, um Posaune zu spielen?
Möwes: Das Spielen eines Blechblasinstrumentes ist für die Atemwege förderlich. Es wird zum Beispiel zur Therapie von Asthmatikern empfohlen. Durch das aktive Ausatmen wird das Atemsystem trainiert.
IDEA: Wozu ist so ein riesiger Posaunentag nötig? Jeder kann doch jederzeit in seinem Heimatchor spielen.
Möwes: Es ist ein identitätsstiftendes Gemeinschaftserlebnis, wenn ein großer Teil der Bläserfamilie aus Deutschland und weltweit zusammenkommt. Wir wollen uns nicht hinter Kirchenmauern verstecken, sondern rausgehen und die Liebe Gottes verkünden. Und dann hoffen wir, dass es den einen oder anderen berührt.
IDEA: Spielen Sie vor allem geistliche Lieder?
Möwes: Zugespitzt gesagt: Posaunenchöre können alles. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Repertoire deutlich erweitert – vom klassischen Choral über Rock und Pop bis hin zu Swing und Jazz. Unser Schwerpunkt liegt aber immer noch auf der geistlichen Musik.
IDEA: Was wird besonders gerne gespielt?
Möwes: Das ist schwierig zu beantworten. Bei „Lobe den Herrn“ spielen alle gerne mit. Ein klassisches Abschlussstück bei Posaunenfesten ist „Gloria sei dir gesungen mit Menschen- und mit Engelzungen“. Ansonsten unterscheiden sich die Vorlieben je nach Region und theologisch-musikalischer Tradition.
IDEA: Unter dem Dach des Evangelischen Posaunendienstes spielen auch freikirchliche Posaunenchöre. Sonst gehen die Kirchen ja oft getrennte Wege.
Möwes: In der innerevangelischen Ökumene sind wir sicher ein Vorbild. Das kann ich mit großem Selbstbewusstsein sagen. Wir haben eine Kultur des Respekts für die unterschiedlichen Traditionen und theologischen Überzeugungen entwickelt. Bei allen Meinungsverschiedenheiten können wir letztlich immer unsere Instrumente auspacken und miteinander musizieren.
IDEA: Vielen Dank für das Gespräch!
Moderne Posaunenchöre haben ihren Ursprung im Pietismus. Sie werden erstmals 1731 in der Herrnhuter Brüdergemeine (Oberlausitz) erwähnt. In der Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert galten Posaunen als Orgeln im Freien“, mit denen man auf Zeltmissionen und Freiluftgottesdienste aufmerksam machte. Im Evangelischen Posaunendienst in Deutschland sind 90.000 Bläser in 5.300 Posaunenchören organisiert.